Was bringen die Agglo-Programme des Bundes überhaupt? Die Wirkungskontrolle zeigt: Tram-Linien und Veloförderung lohnt sich

In den Agglomerationen ist der Auto-Anteil hoch. Bild: ricoreu/Unsplash

Bereits zum vierten Mal spricht der Bund über eine Milliarde Franken für Verkehrsprojekte in den Agglomerationen. Doch was bringen die Investitionen? Die Wirkungskontrolle zeigt: Gewisse Massnahmen wie neue Tramlinien sind höchst wirksam. Doch in kleineren Agglomerationen ist die Bilanz zwiespältig.

von Stefan Ehrbar
30. Oktober 2023

Mit 1,6 Milliarden Franken will der Bund im Rahmen der Agglomerationsprogramme der vierten Generation Projekte unterstützen, die den ÖV, den Velo- und Fussverkehr fördern sollen. Dazu gehören die Verlängerung der Glattalbahn vom Flughafen Zürich nach Kloten genauso wie das Tram Affoltern in der Stadt Zürich, eine ÖV-Drehscheibe am Bahnhof Riehen oder Fuss- und Velowege in Köniz.

In der Vergangenheit finanzierte der Bund auch Ortsumfahrungen etwa in Thun oder eine Verkehrsdrehscheibe in Wohlen. Von der Mitfinanzierung profitieren kleinere Städte überproportional (Mobimag berichtete). In den ersten drei Generationen erhielt kein Ort so viele Beträge pro Kopf wie Burgdorf, gefolgt von Langenthal. Kleine Agglomerationen erhielten durchschnittlich fast 1500 Franken pro Kopf, grosse nur 1000.

Die Wirkungskontrolle der ersten drei Generationen, die der Bund in Auftrag gegeben hat, zeigt nun: Obwohl dort besonders viel Geld pro Kopf investiert wurde, wirken viele Massnahmen vor allem in den grossen Agglomerationen.

Das geht aus der Untersuchung hervor, die das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) im Frühling veröffentlicht hat. Sie basiert auf einer Befragung der Behörden vor Ort und Daten, die durch spezialisierte Büros erhoben wurden. Beim Modalsplit beispielsweise, also dem Anteil der verschiedenen Verkehrsmittel an den zurückgelegten Kilometern, konnten die Programme in den kleinen und mittleren Agglomerationen zunächst keine nachhaltige Verbesserung erzielen.

Zwischen 2010 und 2015 ging der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) am Modalsplit in allen Agglomerationen von 66,4 auf 66,1 Prozent zurück. In der ganzen Schweiz stieg er währenddessen von 63 auf 65 Prozent. Doch es lohnt sich ein Blick auf die verschiedenen Agglomerationen: In den grossen Agglomerationen sank der Anteil des Autos von 61,3 auf 59,3 Prozent. In den kleinen Agglomerationen hingegen stieg er sogar von 63,8 auf 66,2 Prozent. «Ein leichter Rückgang des MIV-Anteils am Modalsplit ist vor allem in den grossen Agglomerationen zu beobachten», schreibt das ARE.

Zu den grossen Agglomerationen gehören derzeit Basel, Bern, Grand Genève, Lausanne-Morges sowie Zürich Glattal-Limattal. Zu den mittleren bis grossen gehören etwa das Aareland, Aargau-Ost, Luzern, St. Gallen-Bodensee, Zug und Winterthur und Umgebung. Zu den kleinen bis mittleren zählt das ARE beispielsweise Chur, Schaffhausen, Solothurn, Thun und Wil, zu den kleinen Agglomerationen Brig-Visp-Naters, Burgdorf, Frauenfeld, Interlaken, Langenthal, Nidwalden oder den Talkessel Schwyz.

Massnahmen mit einer «sehr positiven Wirkung» auf den Modalsplit sind laut dem ARE vor allem Verkehrsmassnahmen des ÖV und des Fuss- und Veloverkehrs und Massnahmen zur Verdichtung und Konzentration von Arbeitsplätzen und Bevölkerung.

«Die sehr positiven Wirkungen der Massnahmen im ÖV-Bereich zeigen sich besonders in den grossen Agglomerationen, wie beispielsweise in Lausanne-Morges», schreibt das ARE. Der Ausbau des Angebots der S-Bahn und der Busse mit neuem Linien oder höheren Taktfrequenzen sowie die Inbetriebnahme und der kontinuierliche Kapazitätsausbau der Metro m2 hätten dazu beigetragen, dass sich der MIV-Anteil zugunsten des ÖV verringert habe. In der Agglomeration Zürich-Glattal sei die Attraktivität des ÖV insbesondere durch die Inbetriebnahme der neuen Tramlinien Zürich West und Hardbrücke verbessert worden.

Massnahmen zur Verdichtung und Konzentration von Arbeitsplätzen und Bevölkerung wirkten ebenfalls vor allem in den grossen Agglomerationen und waren hier grösstenteils Resultat einer besseren ÖV-Erschliessung. In Grand Genève etwa sei entlang von Tramachsen in Onex und Lancy verdichtet worden oder rund um die Bahnhöfe des Léman Express.

Auch in den kleinen Agglomerationen zeigten sich positive Wirkungen – aber vor allem bei den Massnahmen zur Förderung des Fuss- und Veloverkehr. In Brig-Visp-Naters etwa wurde ein Fokus auf die Förderung des Langsamverkehrs gelegt. Dazu zählen Veloabstellplätze, der Bau von Fussgängerbrücken und die rote Meile von Bitsch nach Naters, ein rollstuhlgängiger Fuss- und Veloweg. Das hat sich laut dem ARE gelohnt.

Im Durchschnitt streben die Agglomerationen jeder Grösse eine Reduktion des MIV-Anteils um 7 Prozentpunkte bis 2040 an. Entscheidend dafür, ob das gelingt, ist der Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner mit sehr guter oder guter ÖV-Erschliessung. In den Agglomerationen hat dieser Anteil zwischen 2014 und 2017 leicht zugenommen. In den kleinen verbesserte er sich von 19 auf 21 Prozent, in den grossen von 54 auf 55 Prozent. In den mittel-grossen blieb der Wert stabil, in den mittel-kleinen verschlechterte er sich aber sogar geringfügig.

Siedlungsmassnahmen, die zur Verringerung der Zersiedlung und zur Aufwertung des öffentlichen Raums beitrugen, konnte das ARE wiederum nur in drei Agglomerationen identifizieren: Mobul (rund um Bulle), Grand Genève und Zug. Hier ist also noch viel Luft nach oben. In Mobul wurden in schlecht erschlossenen Gebieten keine Bauprojekte geplant, in Grand Genève wurde entschieden, Siedlungserweiterungen in landwirtschaftlichen und natürlichen Zonen stark einzuschränken und Zug beschloss eine Erhöhung der Ausnützungsziffer in Verdichtungsgebieten.

Die Dichte – also die Anzahl Einwohner und der Beschäftigten pro Hektare überbaute Wohn-, Misch- und Zentrumszone – erhöhte sich zwar in allen Agglomerationen, und zwar zwischen 2012 und 2017 um 4,7 Prozentpunkte. Die Verdichtung nahm allerdings vor allem in grossen Agglomerationen ihren Lauf, wo sie um 6,7 Prozent stieg. In allen anderen Agglomerationstypen legte sie sogar schwächer zu als im Schweizer Durchschnitt – keine gute Entwicklung, denn das Wachstum der Bevölkerung und Arbeitsplätze findet dennoch statt, aber in weniger zentralen Gebieten.

Das Fazit der Agglomerationsprogramme ist also zwiespältig, auch wenn nicht gesagt werden kann, wie sich die Indikatoren ohne diese entwickelt hätten. Die Autoren glauben denn auch an die Wirksamkeit der Programme – und loben die ambitionierten Ziele, die sich fast alle Agglomerationen gegeben haben. Sie haben für jedes Agglomerationsprogramm spezifische Empfehlungen erarbeitet. Die Prüfberichte mit den Empfehlungen sind auf der Internetseite des ARE zu finden. Die Autoren empfehlen etwa der Stadt Zürich, grosse Tramtangenten zu planen, die die Innenstadt umfahren, der Agglomeration Bern, mehr Push-Massnahmen wie ein agglomerationsweites Parkraummanagement umzusetzen und der Agglomeration Basel, multimodale Drehscheiben an den Bahnhöfen voranzutreiben.

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