Die SBB will grosse Bahnhöfe wie Zürich Hauptbahnhof, Basel SBB oder Bern aufwerten mit teuren Restaurants und Flagship-Stores grosser Marken. Dafür müssen oft Anbieter von günstigem Take-away oder Zeitungsverkäufer weichen. So steigert die Bahn ihre Einnahmen, aber profitieren auch die Reisenden?
von Stefan Ehrbar
5. Dezember 2023
Wenn es um Pizza geht, ist der SBB nur das teuerste gut genug. Im neu renovierten Südtrakt des Zürcher Hauptbahnhofs entsteht laut Informationen von Mobimag eine Pizzeria und Bar. Dahinter steht der Eigentümer der Zürcher Pizzeria San Gennaro. Zuletzt machte diese mit ihren Preisen Schlagzeilen. Eine Pizza Margherita kostet 24 Franken, eine Pizza Napoli 28.50 Franken. Seit das Lokal vom hippen Zürich-Wipkingen ins bodenständigere Schlieren umgezogen ist, häufen sich negative Kommentare auf Bewertungsportalen. Ehemalige Mitarbeitende sprangen ab und gründeten ihr eigenes Lokal.
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Die SBB will die neuesten Gastropläne nicht bestätigen. Kein Geheimnis ist aber, dass eine hochpreisige Pizzeria in das neue Konzept der Bahn passen würde, die Bahnhöfe aufzuwerten. Nirgends zeigt sich das gerade so deutlich wie im Zürcher Hauptbahnhof. Im prominenten Südtrakt mussten im Zug der eben abgeschlossenen Sanierung vergleichsweise günstige Essensanbieter wie Burger King oder Nordsee weichen.
Stattdessen entstehen neben der Hype-Pizzeria ein Fine-Dining-Restaurant, ein Burger-Lokal, das in den letzten Jahren als Pop-Up vor allem auf Social Media von sich reden machte und ein Fried-Chicken-Konzept, das am bereits bestehenden Standort in der Stadt Chicken Wings ab 26.50 Franken verkauft.
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Das Ziel der Gastro-Gentrifizierung: Menschen sollen den Bahnhof nicht mehr nur aufsuchen, wenn sie verreisen, sondern auch, um ins Restaurant zu gehen. Die SBB spricht von der «Aufenthaltsqualität», die steigen soll. Einen anderen Aspekt erwähnen sie selten: Die Bahn verlangt in ihren Mietverträgen neben einem Fixbetrag oft einen Teil des Umsatzes. Ein Inserat, das Mobimag vorliegt, beziffert diese Beteiligung bei einer Gastro-Fläche im Zürcher HB auf 14 Prozent. Je teurer die verkauften Speisen, desto mehr Geld macht die SBB also.
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch bei den Einkaufsläden. Im Zürcher Hauptbahnhof etwa gibt es seit dem Umbau des Südtrakts keinen einzigen «Press & Books» mehr, in dem Reisende eine grosse Auswahl von Zeitschriften oder Magazinen vorfinden. Mit Visilab ist das letzte Optiker-Geschäft verschwunden. Stattdessen gibt es nun nachhaltige Seifen ab 24 Franken pro 250 Milliliter – und die Fläche ihres eigenen Reisezentrums bei den Gleisen gibt die SBB ab, damit dort die US-Sportmarke Nike ab 2025 ihre hochpreisigen Turnschuhe und Kleider verkaufen kann.
Der Zürcher Hauptbahnhof ist kein Einzelfall. Im Bahnhof Basel sollen im Westflügel Ende Jahr ein Fine-Dining-Restaurant sowie ein Café eröffnet werden. Schon der Name des Betreibers der beiden Lokalitäten verrät, in welchen preislichen Lagen dort gegessen wird: Es ist die Caviar House Airport Premium-Gruppe.
Ähnliche Aufwertungen dürften die übrigen grossen Bahnhöfe der SBB erfassen. Die Bahnhöfe Bern und Lausanne werden derzeit komplett umgebaut und auch mit neuen Gastronomie- und Ladenflächen versehen. In Genf will die SBB ab 2032 eine neue zentrale Passage bauen. Geplant ist in diesem Zusammenhang auch eine «Anpassung des kommerziellen Angebots».
Auch in diesen Bahnhöfen könnten Restaurants Einzug halten, die dank Sterneköchen und ausgefallenen Gerichten, aber nicht wegen tiefen Preisen von sich reden machen. Alexis Leuthold, der Bewirtschaftungs-Leiter von SBB Immobilien, sprach kürzlich auf der eigenen Internetseite in Zusammenhang mit der bedienten Gastronomie von sogenannten «calm offers». Ein grösseres Angebot davon erhöhe die Verweildauer der Kundinnen und Kunden. Dadurch, gibt Leuthold zu, würden auch Mehrumsätze generiert.
SBB-Sprecher Reto Schärli sagt, das Angebot an bedienter Gastronomie solle in den Bahnhöfen speziell gestärkt werden. In den grossen Bahnhöfen soll das auch mit Angeboten im Fine-Dining-Bereich geschehen. Dafür wolle die Bahn wenn immer möglich mit regionalen Partnern zusammenarbeiten.
Da jede Fläche nur einmal vermietet werden kann, werden günstigere Angebote oft verdrängt. Schärli sieht das nicht als Problem. Im Zürcher Hauptbahnhof etwa gebe es schon ein grosses Angebot für den schnellen Verzehr, weshalb nun die bediente Gastronomie ausgebaut werde. Die solle sich zum Treffpunkt für Reisende und Einheimische entwickeln. Auch im Südtrakt werde es künftig für jeden Geldbeutel etwas geben und Restaurants mit «ähnlichen Preisen» wie jene, die verschwanden.
Die neuen Restaurants sollen zur Historie und zur «Wertigkeit» des neuen Südtrakts passen, sagt Schärli. Die Bahn wolle «die Verweil- und Aufenthaltsqualität in den Bahnhöfen steigern» und die Bahnhöfe «zur Destination weiterentwickeln». Die Gastronomie spiele eine zentrale Rolle.
Selbstzweck ist das nicht. Mit ihren Einnahmen finanziert die Immobilien-Sparte der SBB defizitäre Bereiche der Bahn. Im letzten Jahr führte sie etwa 100 Millionen Franken an die Pensionskasse ab und 150 Millionen Franken an die Infrastruktur-Sparte. SBB Immobilien verzeichnete im Jahr 2022 Mieterträge von Dritten in der Höhe von 653 Millionen Franken und gehört damit zu den grössten Akteuren im Immobilien-Markt. Inklusive sind in diesen Zahlen die Erträge aus der Vermietung von Wohnungen.
Die Aufwertung der Bahnhöfe ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bieten bediente Restaurants einen Mehrwert und sorgen für höhere Einnahmen, andererseits finden Menschen mit kleinerem Portemonnaie weniger Angebote oder müssen Umwege in Kauf nehmen. Ob die neue Strategie der Bahn aufgeht, wird sich nun in Zürich weisen. Denn wenn in der Bankenstadt hochpreisige Restaurants im Bahnhof nicht funktionieren, braucht es die SBB anderswo gar nicht erst zu versuchen.
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