Der Bund fördert den Bau von Verkehrsdrehscheiben. Die Überlegung dahinter: Wer auf dem Land das Auto braucht, soll an solchen Drehscheiben auf den ÖV wechseln, um in die Stadt zu gelangen. Doch wie sollen solche Hubs ausgestaltet sein, damit sie funktionieren? Eine Studie zeigt: Das Potenzial ist moderat – aber etwas wirkt.
von Stefan Ehrbar
20. Februar 2024
Auf dem Land ist der Anteil des Autos an der Mobilität deutlich höher in der Stadt. Gleichzeitig pendeln viele Bewohnerinnen und Bewohner zur Arbeit in die Agglomerationen oder in die Städte, und auch viele Freizeitangebote befinden sich dort. Damit dies nicht zu mehr Autoverkehr in den urbanen Räumen führt, sollen die Menschen an geeigneten Bahnhöfen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen.
Das soll an Verkehrsdrehscheiben geschehen. Solche Hubs in den Agglomerationen sollen aber auch für ÖV-ÖV-Umsteiger attraktiv sein – also für Menschen, die beispielsweise in der Agglomeration einen Bus nehmen, zum nächsten S-Bahnhof fahren und von dort mit dem Zug in die Stadt pendeln. Doch was erwarten Menschen von solchen Drehscheiben? Dieser Frage ist das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) mit einer Studie nachgegangen, die im November 2023 veröffentlicht wurde.
Das ARE unterscheidet die Drehscheiben nach fünf Typen, nämlich
- Hauptdrehscheibe grosser Agglomerationen (zentrale Bahnhöfe in Kernstädten), z.B. Zürich HB oder Basel SBB, Typ I
- Sekundäre Drehscheiben grosser Agglomerationen, verbinden regionalen und lokalen ÖV und zum Teil auch Fernverkehr, z.B. Bern Wankdorf oder Renens, Typ II
- Zentrale Drehscheiben weiterer Agglomerationen, verbinden lokalen, regionalen und nationalen Bahnverkehr, werden evtl. auch mit Auto angefahren, im Kern mittlerer oder kleiner Agglomeration, zB. Bellinzona oder Delémont, Typ III
- Drehscheibe eines regionalen Knotens, innerhalb oder ausserhalb von Agglomerationen, verbinden Regionalverkehr mit Ortsverkehr, Zugang erfolgt z.T. auch mit Auto, z.B. Rolle, Biasca oder Zernez, Typ IV
- Drehscheibe für den Umstieg MIV-ÖV und MIV-MIV (Fahrgemeinschaften), liegen in gut erschlossenen Orten im ländlichen Raum oder nahe am Kern einer Agglomeration oder an ÖV-Haltestellen mit häufigen Verbindungen ins Zentrum, z.B. Mellingen-Heitersberg, Typ V
Es gibt allerdings auch andere Typologien etwa des Bundesamts für Strassen, die von dieser Charakterisierung abweichen.
Das ARE hat 562 Bahnhöfe schweizweit identifiziert, die mehr als 100 Ein- und Aussteigende pro Tag haben und ein spezifisches Mindes-Bahnangebot aufweisen, das sie für ein Drehscheibe einer dieser fünf Typen prädestiniert.
Die Bevölkerung dürfte gemäss Prognosen in sogenannt bahnaffinen Räumen aus, also solchen mit einer guten Anbindung an die Eisenbahn, stärker wachsen als anderswo.
«Demzufolge ist primär durch Zubringersysteme mit dichten Netzen an gut ausgebauten lokalen ÖV-Feinverteilern die Verlagerung auf den ÖV möglichst nahe der Quelle der Reise – und somit in zumutbarer Distanz für den Langsamverkehr – anzustreben. Wenn die Drehscheiben städtebaulich gut integriert sind, kann sichergestellt werden, dass die Mobilitätsangebote einem breiteren Nutzerkreis zur Verfügung stehen bzw. ein entsprechend grösseres Potenzial entfalten. Eine Forschungsstudie der SBB, gemeinsam mit der EPFL und der ETHZ empfiehlt, dass Verkehrsdrehscheiben im Sinne der angebotsorientierten Planung zu gestalten sind», heisst es im Bericht des ARE. «Qualitätsmerkmale wie Zentralität, Diversität, Interaktion, Aneignung, Zugänglichkeit und Brauchbarkeit sind dabei für die Weiterentwicklung der Siedlungs- und Verkehrsinfrastrukturen und insbesondere die Innenentwicklung ausschlaggebend.»
Die meisten Umsteigepunkte sind laut dem ARE bereits gebaut. Um daraus die richtigen Drehscheiben zu entwickeln, brauche es ein Konzept für einen funktional zusammenhängenden Raum. «Je nachdem muss das ÖV-Angebot angepasst oder sogar ausgebaut werden. Zudem definiert das Konzept, wo dem MIV künftig eine wichtige Bedeutung zukommen wird und wo die Knotenpunkte von MIV und ÖV liegen sollen. Und schliesslich muss es den ÖV, den Fern- und den Nahverkehr intelligent verknüpfen, ohne neue Engpässe zu erzeugen», heisst es in einer Broschüre des ARE.
Damit Drehscheiben attraktiv sind, reichen gute ÖV-Verbindungen nicht aus. Die Verkehrsdrehscheiben sollen attraktive öffentliche Räume sein. Sie sollen nicht nur das Umsteigen erleichtern, sondern auch Orte sein, an denen die Menschen gerne verweilen. «An geeigneten Lagen helfen Verkehrsdrehscheiben, die Siedlung zu entwickeln und zu verdichten. So profitieren die Anwohnerinnen und Beschäftigten nicht nur von einem guten Verkehrsangebot, sondern allenfalls auch von Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten. Wichtig ist dabei, dass die neuen Angebote jene der bestehenden Regional- und Stadtzentren ergänzen und nicht gefährden», schreibt das ARE.
Welchen Effekt gut ausgestaltete Drehscheiben haben können, zeigte sich in Lugano-Süd. An diesem zentrumsnahen Standort konnte der Verkehr in der morgendlichen Spitzenstunde dank einer Drehscheibe zum Umstieg vom Auto auf den ÖV um bis zu 24 Prozent reduziert werden.
Daneben können Drehscheiben auch den ÖV in den Zentren entlasten, wenn nicht mehr alle Züge über die Zentren fahren müssen. Sie haben mehr Potenzial, wenn sie an Lagen mit guter ÖV-Anbindung und mit Verdichtungsmöglichkeiten liegen, «insbesondere im urbanen Gürtel und in Kombination mit begleitenden Massnahmen». Wunder erwarten sollte man nicht: Laut dem BAV ist das in Studien quantifizierte Verlagerungspotenzial vom Auto auf andere Verkehrsmittel «moderat».
Wenn Drehscheiben ein Mittel sein sollen, um den Autoanteil in den Zentren zu senken, dann braucht es weitere Massnahmen, wobei die überkommunale Steuerung des Parkierungsangebots wirksam sei.« Falls an einer Drehscheibe im ländlichen Raum neue Parkplätze entstehen, sollten idealerweise vorhandene Parkplätze im Zentrum anders verwendet oder zurückgebaut werden», schreibt das ARE. Auch im Fall von Lugano sei die Drehscheibe effektiv, weil es in der Stadt hohe Parkgebühren und Staus auf den Zufahrten gebe. Das ARE empfiehlt in diesem Zusammenhang als begleitende Massnahmen einheitliche Parkplatz-Tarife auf Gemeinde- und Agglomerationsebene, eine Limitierung der Parkierungsmöglichkeiten in urbanen Zentren oder Anpassungen bei Vorgaben zu privater Parkierung.
Wie mehrheitsfähig solche Massnahmen sind, die letztendlich auf weniger und teurere Parkplätze in Zentren zielen, ist hingegen eine andere Frage.
Um Drehscheiben attraktiv zu gestalten, kommen aber auch noch weitere begleitende Massnahmen in Frage. Es sind dies zum Beispiel:
- Integrierte Tarife mit Parkplatz und ÖV, reduzierte ÖV-Tarife für bestimmte Nutzergruppen
- flexible Abos, neue Tarifangebote, Einführung von Verbundtarifen
- Mobility-Standorte, Parkplätze für Carpooling/Ridepooling, Einführung von lokalen Tarifangeboten für Sharing-Angebote
- Velobahnen, direktere Zugänge für den Fussverkehr, Velostationen und Bike-Sharing-Angebote sowie Flächen für Mikromobilität
Der Bund kann Verkehrsdrehscheiben finanziell fördern, etwa über das Programm Agglomerationsverkehr oder mit dem Bahninfrastruktur-Fonds. Verkehrsdrehscheiben im ländlichen Raum können vom Bund allerdings heute kaum mitfinanziert werden. Im Rahmen der Beantwortung eines Postulats prüft der Bund derzeit, ob dies geändert werden könnte.
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