
Der Fahrplan für die neue Infrastruktur des Ausbauschritts 2035 muss überarbeitet werden. Er wurde «zu wenig realitätsnah» geplant. Die Ostschweizer Kantone befürchten nun, dass der Bund die Fahrplan-Strukturen des Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) nicht mehr anrührt, was negative Folgen für sie hätte. Das steckt dahinter.
von Stefan Ehrbar
18. September 2023
Fast 16 Milliarden Franken will der Bund im Rahmen des Ausbauschritts 2035 in die Eisenbahn-Infrastruktur investieren. Gegenüber der vom Parlament bewilligten Variante sind das noch einmal 2,8 Milliarden Franken mehr, wie er im August bekanntgab. Teurer werden unter anderem der Zimmerberg-Basistunnel II, der Mehrspurausbau zwischen Zürich und Winterthur mit dem Brüttenertunnel oder der nun favorisierte Vollausbau des Lötschberg-Basistunnels.
Das Parlament muss die Zusatzausgaben zwar noch genehmigen, sie dürften aber mehr oder weniger unbestritten sein. Mit dem Ausbau soll auf vielen Strecken im Fern- und Regionalverkehr der Viertelstundentakt eingeführt werden und die Kapazität erhöht werden.
Doch beim künftigen Angebot müssen ordentlich Abstriche gemacht werden. Der Grund: In der Vergangenheit hatten die Planer der SBB viel zu optimistisch gerechnet. Ein Bericht des Bundesamt für Verkehr (BAV) formulierte es Anfang Jahr deutlich: Die geplanten Fahrzeiten seien «zu wenig realitätsnah hinterlegt worden», die Zugfolgezeiten seien ebenfalls zu knapp berechnet, in den grossen Knotenbahnhöfen wie Zürich HB oder Bern sei zudem zu viel Angebot geplant worden. Auch habe die SBB nicht genügend berücksichtigt, welche Folgen die Verspätungen von internationalen Zügen haben (Mobimag berichtete).
Die Folgen sind gross. Das BAV muss nun in einer «Konsolidierungsphase» den Fahrplan neu planen. Erste Entwürfe erhielten ein vernichtendes Feedback – etwa, weil es keine Intercity-Züge von Luzern und Olten mehr ins Tessin geben soll, weil Baden, Basel und Brugg ihre Direktzüge an den Flughafen Zürich verlieren sollen und keine internationalen Züge mehr über Basel SBB hinaus fahren sollen. Die Fahrzeiten sollen sich teils drastisch verschlechtern: Von Basel nach Genf soll man 2035 etwa 18 Minuten länger unterwegs sein als heute. Kritiker sprachen von «der grössten Verschlechterung aller Zeiten», wogegen sich BAV-Chef Peter Füglistaler im Mobimag-Interview wehrte: «Wir sind Überbringer der schlechten Nachricht», sagte er im Juli. «Wir haben begonnen, unter schwierigen Voraussetzungen den Fahrplan 2035 an die Realität anzupassen. Was nun öffentlich geworden ist, ist die erste Version in einem langen Prozess.»
Bereits seien erste geplante Änderungen wieder fallengelassen worden, so Füglistaler. Doch ohne Abstriche zu machen, wird es nicht gehen. Die Öffentlichkeit dürfte eine mehr oder weniger definitive Version des neuen Fahrplans für die Zeit nach dem Ausbauschritt 2035 wohl erst etwa im Jahr 2026 zu sehen bekommen. Doch die Furcht davor, dass einige Regionen bevorzugt werden, ist bereits gross – insbesondere in der Ostschweiz.
Das zeigt sich in den Mitte August veröffentlichten Unterlagen zur Vernehmlassung zum Stand der Ausbauprogramme des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) von Bundesrat Albert Rösti. In einem Ergebnisbericht sind die Rückmeldungen der Kantone aufgeführt.
Die Kantone Glarus, Schaffhausen, beide Appenzell, St. Gallen, Graubünden sowie die Konferenz der Ostschweizer ÖV-Direktoren hegen dabei eine besondere Befürchtung. Sie alle haben eine Eingabe mit ähnlichem Text formuliert. In der Antwort des Kanton St. Gallen ist sie so formuliert:
«Grundsätzlich anerkennen wir den Anpassungsbedarf im Angebotskonzept 2035. Die Entwicklung des Angebotskonzepts inklusive der zugrundeliegenden Infrastrukturliste dauerte mehrere Jahre. Die Arbeiten waren auch zum Zeitpunkt des Parlamentsbeschlusses noch nicht vollständig abgeschlossen. Mit Berücksichtigung der internationalen Verkehre wird auch die bevorstehende Überarbeitung sehr komplex und damit zeitintensiv. Wir befürchten, dass zur Reduktion der Komplexität entschieden wird, teils Fahrplanstrukturen, beispielsweise jene des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV), nicht mehr anzupassen. Damit würden die gesamten Nachteile und Probleme in die Nachbarkantone verschoben, wo die Angebote nicht mehr aufeinanderpassen. Einen solchen Ansatz akzeptieren wir auf keinen Fall.»
Droht also die Gefahr, dass der Bund die Fahrplanstruktur und die Wünsche des ZVV über alle anderen stellt und primär schaut, dass im neuen Fahrplan das Angebot dort stimmt?
Patrick Ruggli ist Leiter des Amt für öffentlichen Verkehr des Kanton St. Gallen. Gegenüber Mobimag führt er seine Befürchtungen aus. «Die vollständige Überarbeitung der Fahrpläne für den Ausbauschritt 2035 ist mittlerweile gestartet», schreibt er. «Ausgangspunkt der Fahrplanarbeiten sind die Fernverkehrsstrukturen in den starken Knoten wie Zürich oder Bern, was fachlich sicher richtig ist. Die Fernverkehrsstrukturen zwischen Zürich HB und Winterthur werden dann unter anderem so geplant, dass möglichst viele S-Bahnen zwischen Zürich und Winterthur (mit unterschiedlichen Laufwegen) verkehren können. Das führt in den Knotenbahnhöfen der Ostschweiz zu Ankunfts- und Abfahrtszeiten des Fernverkehrs, die möglicherweise nicht ideal sind.»
Der Bund habe sich zwar nicht dahingehend geäussert, dass er die Fahrplanstruktur des ZVV nicht mehr ändern wolle. Aber: «Der ZVV ist ein starker Player mit vielen Fahrgästen und einem komplexen und gut ausgelasteten S-Bahn-Netz. Die Meinung des ZVV hat entsprechend Gewicht in den Diskussionen rund um künftige Fahrpläne.»
Inwiefern die internationalen Verkehre die Überarbeitung komplex machen, führt Ruggli am Beispiel des Eurocity zwischen München, St. Gallen und Zürich aus. «Dieser muss in die nationalen Fernverkehrskonzepte in Deutschland, Österreich und der Schweiz passen», schreibt er. «Zusätzlich muss er mit der S-Bahn in München, der S-Bahn in Vorarlberg, der S-Bahn rund um St.Gallen und den S-Bahnen des ZVV abgestimmt werden. Weitere Regionalzüge und Güterzüge müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Der Entscheid der SBB, künftig auf Neige- und Wako-Technik zu verzichten, führt dazu, dass der gesamte Laufweg München–St.Gallen–Zürich neu geplant werden muss. Das führt zu viel Abstimmungsarbeit.»
Und was entgegnen die angesprochenen Planer und der ZVV auf die Befürchtungen aus der Ostschweiz?
ZVV-Sprecher Thomas Kellenberger schreibt, aktuell dauerten die anspruchsvollen Planungsarbeiten unter dem Lead des BAV noch an. «Die Kantone werden in den Planungsprozess einbezogen und können sich zu den verschiedenen Anpassungsvarianten einbringen», so Kellenberger. Aktuell könne der ZVV dazu noch keine Aussagen machen. «Festzuhalten ist aber, dass auch die Bahnhöfe im Kanton Zürich bzw. das geplante Angebot im Gebiet des ZVV in diese Arbeiten miteinbezogen werden, gleich wie alle anderen Regionen auch.»
Bezüglich internationalem Verkehr bekräftigt Kellenberger einmal mehr, dass der ZVV nichts von der Idee hält, diese Züge an der Grenze zu brechen. Es sei «zwingend», dass dies nicht geschehe.
BAV-Sprecher Michael Müller wiederum schreibt auf Anfrage, das ganze Angebotskonzept werde überarbeitet, «ohne das Konzept in einer bestimmten Region im Voraus zu fixieren». Die regionale Konsolidierung werde im Rahmen von regionalen Workshops mit allen betroffenen Partnern wie Kantonen oder Eisenbahnunternehmen durchgeführt. «Dass es Zielkonflikte zwischen regionalen, nationalen oder internationalen Erwartungen und zwischen dem Personen- und Güterverkehr gibt, ist unvermeidbar», so Müller. «Diese werden in den Workshop angesprochen und nach tragfähigen Lösungen gesucht. Ziel bleibt, die bestmögliche Gesamtlösung zu erarbeiten.»
Schreiben Sie einen Kommentar