Stadtplanung wie Ureinwohner – Nachtzüge als Nischenprodukt 🆓

Nachtzüge sind ein Produkt für die Nische. Wie lange noch? Bild: StockSnap / Pixabay

Nachtzüge sind im Trend – doch noch immer sind sie kein Transportmittel für die Masse. Es gibt Ideen, wie das geändert werden könnte. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland: Strenge Abgasnormen vernichten kaum Arbeitsplätze und Stadtplanerinnen wenden sich indigenen Techniken zu.

von Stefan Ehrbar
24. April 2021

Nachtzüge: Raus aus der Nische

Nachtzüge erleben gerade ein Revival. Das Angebot aus der Schweiz wird in den nächsten Monaten und Jahren mit neuen Verbindungen nach Amsterdam, Rom und Barcelona ausgebaut (Mobimag berichtete). Auch im Rest Europas tut sich etwas: So hat Anfang Monat das dänische Startup European Sleeper bekannt gegeben, nächstes Jahr eine Nachtzugverbindung von Brüssel über Amsterdam und Berlin nach Prag aufzunehmen. Gleichzeitig hat auch die belgische Firma Moon Light Express bekanntgegeben, ab Frühling 2022 einen Nachtzug zwischen Berlin und Brüssel zu fahren.

Werden Nachtzüge also zum wichtigen Verkehrsmittel innerhalb Europas? Dieser Eindruck täuscht. Vor der Krise wurden etwa aus der Schweiz täglich 100 bis 120 Passagiere pro Nachtzug gezählt – eine vernachlässigbare Zahl im Vergleich zu den über einer Million täglichen Passagieren der SBB. Selbst mit einer Vervielfachung des Angebots bleiben die Nachtzüge vorerst im Gesamtverkehr unbedeutend.

«Nachtzüge sind exzellent, aber eine Nische», umschreibt der Analyst Jon Worth die Problematik in einer Analyse auf seinem Blog. Das Problem liege an der Skalierung: Sie sei «nicht annähernd genug ambitioniert».

Die einzige Staatsbahn, die sich im Geschäft etabliert habe, sei die ÖBB, so Worth. Diese werde künftig eine Flotte von 50 bis 60 Nachtzügen betreiben. Darüber hinaus aber sehe es schon schlecht aus. Die französische SNCF lanciere zwar zwei Nachtzüge von Paris nach Nizza und Hendaye neu, die schwedische Snälltåget expandiere mit ihren saisonalen Nachtzügen und die tschechische RegioJet baue ebenfalls aus. Doch: «All diese Firmen kämpfen damit, Rollmaterial aus zweiter Hand zu finden, das meistens über 40 Jahre alt ist und nicht schneller unterwegs sein kann als 160 Kilometer pro Stunde».

Hinzu komme, dass die grossen Player – die Deutsche Bahn, Trenitalia oder PKP – sich fast komplett aus dem Geschäft mit Nachtzügen zurückgezogen hätten. Im Vergleich zur Vergrösserung der Flotte, welche diese Bahnen für ihren Tagesverkehr planen – die Deutsche Bahn hat etwa alleine 137 neue Exemplare des ICE 4 bestellt, die SNCF 100 neue TGV-Kompositionen von Alstom – nähmen sich die Nachtzug-Pläne ihrer grösstenteils privaten Konkurrenz bescheiden aus.

Dabei seien diese grossen Unternehmen die einzigen, welche die Ressourcen hätten, in grossem Stil in neue Nachtzüge zu investieren. Als Lösung schlägt Jon Worth vor, die Trassengebühren für Nachtzüge zu senken. So würde das Geschäft lukrativer. Auch wäre es denkbar, dass die EU eine Nachtzug-Flotte beschafft und diese an Betreiber vermietet. Damit wären diese von den hohen Beschaffungskosten befreit. In einem solchen Szenario wäre laut Worth allerdings mit heftigem Gegen-Lobbying der grossen Bahnen zu rechnen.

Als weitere Option schlägt Worth öffentliche Ausschreibungen von Nachtzug-Routen vor. Eine solche Ausschreibung könnte möglicherweise von der EU selbst übernommen werden. «Die Debatte, ob Nachtzüge gut sind, wurde gewonnen. Die nächste Frage ist, wie sie zum Massengeschäft werden können», so Wort. «Im Moment wollen jene Player nicht investieren, die es könnten, und denen, die es tun, fehlen die Mittel.»

Hinweis: In einer ersten Fassung hiess es, täglich nutzten 100 bis 120 Passagiere aus der Schweiz einen Nachtzug. Diese missverständliche Formulierung wurde korrigiert: Diese Passagierzahl wurde vor der Krise für jeden Nachtzug gezählt.

Stadtplanerinnen gegen «weisse Zukunftsvisionen»

Junge Designerinnen wehren sich gegen Pläne wie Hochhäuser und fliegende Autos. Diese seien Visionen von «weissen, privilegierten, heterosexuellen Männern», schreibt der «Spiegel». Stattdessen wollten sie Städte mit indigenen Techniken lebenswerter machen.

Neue Studiengänge wie «Green Technologies in Landscape Architecture» an der TU München trieben beispielsweise die Baubotanik voran. Dabei gehe es darum, von indigenen Baumeistern zu lernen, die mit der Natur arbeiten, «statt sie zu unterwerfen». Als Beispiel werden Brücken in Indien genannt, bei denen Wurzeln von Gummibäumen so gelenkt werden, dass sie über Jahrzehnte hinweg ihrem Zweck dienen und anders als klassische Brücken auch Stürmen oder Überschwemmungen trotzen.

Die australische Designerin und Landschaftsarchitektin Julia Watson, die etwa an der Universität Harvard lehrt, beobachte derzeit «eine Art Renaissance indigenen Denkens» – von schwimmenden Inseln aus Schilf in Peru bis hin zu natürlichen Recycling- oder Bewässerungssystemen in Indonesien. Indigene Experten fänden zunehmend Gehör. In der Zeit der industriellen Revolution sei eine westliche Vorstellung von Technologie und Fortschritt entstanden, die mit dem Kolonialismus Zivilisationen weltweit aufgezwungen worden sei. Doch: «Hightech-Einheitslösungen widersprechen der Vielfalt und Komplexität von Ökosystemen», so Watson.

Ein Beispiel für eine natürlichere Lösung sei ein Projekt der thailändischen Landschaftsarchitektin Kotchakorn Voraakhom, die eine Universität in Bangkok in eine gigantische Rooftop-Farm verwandelt habe. Das Dach der Uni sei heute Outdoor-Klassenzimmer, Park und Anbaufläche – und schütze das Gebäude vor Überschwemmungen. Das Netzwerk Porous City Network wolle nun weitere öffentliche Flächen in solche «produktive Orte» verwandeln. Städte und Regionen etwa in Portugal oder in den USA könnten wiederum von indigenen Präventionsansätzen gegen Brände profitieren. 

«Man wird aufhören, einzelne Gebäude und voneinander getrennte Räume zu entwerfen – und anfangen, in Ökosystemen zu denken», wird die Zukunftsforscherin und Designerin Monika Bielskyte zitiert. Stadtplaner verwandelten zusehends Teile von Betonwüsten zurück in natürliche Korridore.

Die bisherigen Zukunftsvisionen seien hauptsächlich von weissen, privilegierten, heterosexuellen Männern geprägt worden. »Die Visionen von Wolkenkratzern oder fliegenden Autos haben uns in unserem Denken darüber, was futuristisch ist und was nicht, fehlgeleitet – wir müssen hinterfragen, was wir wirklich brauchen«, wird Bielskyte zitiert. »Ein Himmel, der mit fliegenden Autos übersät ist, wäre ein Albtraum.«

Studie: Abgasnormen kosten kaum Arbeitsplätze

Der deutsche «Autopapst» Ferdinand Dudenhöffer hat mit seinem Center Automotive Research in einer Studie untersucht, wie viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie verloren gehen, wenn strenge Abgasvorschriften eingeführt werden. Sein Fazit: Die schnelle Einführung der Elektromobilität kompensiert diese Effekte weitgehend.

Hintergrund ist eine geplante Verschärfung der Kohlendioxid-Grenzwerte für die Autobranche durch die EU-Kommission. Die neue Norm Euro 7, welche zurzeit ausgearbeitet wird, soll den Weg in eine emissionsfreie Mobilität aufzeigen. Hersteller warnen vor Arbeitsplatzverlusten in Folge einer strengen Regulierung der Grenzwerte für Verbrenner-Fahrzeuge, auch wenn noch nicht klar ist, wie die Norm genau ausgestaltet sein soll. Euro 7 dürfte erst nach 2025 eingeführt werden. Die CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament hat wegen ihr Ende 2020 Alarm geschlagen: Euro 7 könne für die Autoindustrie «zu einer echten Bedrohung» werden.

Die Produktion von Elektroautos wie des «Dacia Spring» schafft nachgelagerte Arbeitsplätze in Europa. Bild: Dacia

Dem widerspricht Dudenhöffers Studie. Die geplante Verschärfung gefährde die Arbeitsplätze in der europäischen Autoindustrie weniger als befürchtet, sagt er dem «Handelsblatt»: «Im Gegenteil: Über alle Wirtschaftssektoren hinweg kann man positive Auswirkungen auf die Beschäftigung erwarten.»

In Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und der Slowakei würden durch schärfere Vorgaben 1,8 Prozent der Jobs in den Industrie wegfallen. Das entspricht 15’000 Arbeitsplätzen. Diese Auswirkungen könnten aber weitgehend durch neue Arbeitsplätze im Bereich der Elektromobilität wie Batterieproduktion und Ladeinfrastruktur kompensiert werden.

«Nach meiner Einschätzung macht es Sinn, keine weichgespülte Euro-Norm 7 zu verabschieden. Das wurde in der Vergangenheit viel zu oft gemacht und hat unseren technischen Fortschritt und die Transformation zum Elektroauto behindert», sagt Dudenhöffer der Zeitung. «Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass strengere CO2-Vorgaben in der deutschen Automobilindustrie Arbeitsplätze geschaffen und nicht vernichtet haben.» Eine strengere Regulierung habe sogar einen positiven Arbeitsplatzeffekt.



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