Die Nachtzüge rollen wieder – darum lassen sie Schweizer Städte wie Bern und Luzern aussen vor 🆓

Die ÖBB betreiben die Nightjet-Nachtzüge. Bild: Simon Tartarotti / Unsplash

Zürich ist mittlerweile der zweitgrösste Nachtzug-Hub Europas. Warum eigentlich? Was spricht gegen Nachtzüge ab Bern, Basel oder Luzern? Das sind die Gründe – und so argumentiert die SBB. 

von Stefan Ehrbar
23. März 2021

Über zehn Jahre, nachdem der letzte Nachtzug der SBB den Zürcher Hauptbahnhof in Richtung Rom verlassen hat, ist die grösste Schweizer Stadt wieder eine Drehscheibe der Nachtzüge. Die Nightjets der Österreichischen Bundesbahnen verlassen die Stadt jeden Tag in verschiedene Richtungen, die SBB beteiligt sich sowohl finanziell als auch organisatorisch am nächtlichen Geschäft der Österreicher.

Es wird weiter ausgebaut: In den nächsten Jahren nehmen neue Nachtzüge nach Amsterdam, Rom und Barcelona ihren Betrieb auf. So verschieden die Destinationen sind, eines haben sie gemeinsam: Die Züge starten immer in Zürich. Warum eigentlich? Weshalb sind nicht Bern, Basel, St. Gallen oder Luzern die Ausgangspunkte der Züge? 

Per Anfang 2021 unterhält die ÖBB folgende Nighjet- respektive Euronight-Verbindungen aus der Schweiz:

  • Zürich – Basel – Frankfurt – Hamburg/Berlin
  • Zürich – Sargans – Salzburg – Wien
  • Zürich – Sargans – Graz
  • Zürich – Sargans – Salzburg – Prag
  • Zürich – Sargans – Salzburg – Wien – Budapest

Per Dezember 2021 kommt folgende Verbindung hinzu:

  • Zürich – Basel – Frankfurt – Amsterdam

Per Dezember 2022 folgen eine weitere neue Verbindung und ein Kapazitätsausbau:

  • Neuer Nachtzug Zürich – Bern – Brig – Mailand – Rom
  • Statt eines Zuges, der in Frankfurt getrennt wird, sollen neu separate Züge auf den Strecken Zürich – Basel – Berlin und Zürich – Basel – Hamburg fahren
  • Der Nachtzug ZürichPrag fährt neu über Leipzig und Dresden statt über Österreich

Die vorerst letzte neue Verbindung soll dann im Dezember 2024 hinzukommen, nämlich

  • Zürich – Bern – Lausanne – Genf – Barcelona
So sieht das Nachtzug-Netz 2024 aus. Quelle: SBB

All diese Züge starten in Zürich. Dabei wäre es zumindest auf den ersten Blick auch denkbar, dass die Züge nach Barcelona in Bern starten und jene nach Amsterdam und Rom in Basel – oder dass ein Nachtzug nach Barcelona die Strecke Basel – Bern – Lausanne – Barcelona fährt. Warum also ist Zürich die unbestrittene Drehscheibe der Nachtzüge aus der Schweiz? Das hat verschiedene Gründe.

  • Ein Nachtzug fährt nur eine Verbindung pro Tag. Er kommt morgens am Zielbahnhof an und wird dann für einige Stunden weggestellt. In dieser Zeit wird er gereinigt und kleinere Unterhaltsarbeiten werden erledigt. Damit fällt Bern als Start- und Zielort schon einmal weg: Dort fehlen schlicht der Platz und die Infrastruktur. Nachtzüge können hier nicht rangiert werden. Es fehlen sowohl die Gleise als auch die Infrastruktur im Vorfeld des Bahnhofs, um die Züge abzustellen und abends wieder an ein Gleis zu bringen. In Zürich hingegen ist dieser Platz vorhanden.
  • Am Morgen herrscht in der Regel am meisten Betrieb auf dem Schienennetz. Einen Zug von Österreich, Tschechien oder Ungarn über Zürich hinaus zu verlängern – etwa nach Bern oder Basel – scheitert daran, dass es in der morgendlichen Stosszeit zu wenige verfügbare Trassen gibt und die Züge auch nicht als Ersatz für normale Taktzüge genutzt werden können. Dazu fehlen die nötigen Sitzplätze, aber auch die Zuverlässigkeit ist ein Thema. 
  • Damit ein Nachtzug für die Kunden attraktiv ist, darf er morgens nicht zu spät ankommen. Der Nachtzug von Wien nach Zürich kommt etwa um 8.20 Uhr in Zürich an. Selbst wenn ein Trasse gefunden werden könnte, wäre er frühestens gegen 10 Uhr in Bern oder Basel – zu spät, um eine attraktive Alternative zum Flugzeug darzustellen, zumal Reisende aus diesen Städten in Zürich auf schnellere Taktzüge umsteigen können. Am Abend ist das etwas weniger ein Problem, weil die Nachtzüge dann ausserhalb der Stosszeiten starten. Bereits heute ersetzt etwa der Nightjet in Richtung Deutschland abends einen regulären Intercity auf der Strecke Basel-Zürich. Die zusätzlichen Passagiere finden Platz in den Sitzwagen.

  • Das Einzugsgebiet: Täglich nützten vor der Coronakrise durchschnittlich etwa 100 bis 120 Kunden aus der Schweiz einen Nachtzug. Das tönt nach wenig, doch diese Zahl muss jeden Tag wieder erreicht werden. Auch deshalb starten Nachtzüge in der grössten Stadt mit dem grössten Einzugsgebiet. Dass es weitere Passagiere aus der ganzen Schweiz braucht, um die Züge zu füllen, ist klar. Ohne starken Ziel -und Quellmarkt geht es allerdings nicht – das ist bei den Airlines nicht anders. SBB-Sprecherin Sabine Baumgartner sagt dazu: «Zürich ist tatsächlich der zweitgrösste Nachtzug-Hub Europas und als grösster Bahnhof der Schweiz nachfrageseitig sowohl als Ziel- als auch als Quellmarkt von grosser Bedeutung.»
  • Flügelzüge sind teuer. Gelegentlich wird vorgeschlagen, dass etwa ein Zug mit einigen wenigen Wagen in Bern starten könnte, dessen Wagen dann in Zürich an einen Nachtzug nach Österreich angehängt würden. Doch die Kosten für einen solchen Zug Bern-Zürich wären hoch, zumal er aufgrund der Kapazität keinen regulären Zug ersetzen könnte. Auch gäbe es keinen Zeitvorteil, da ein solcher Zug zumindest mit dem heutigen Rollmaterial gar nicht auf die Neubaustrecke zwischen Bern und Zürich dürfte und damit länger unterwegs wäre als ein regulärer Zug. Das Umsteigen für Passagiere aus Basel oder Bern ist zwar umständlicher, aber die schnellere und weitaus günstigere Variante als das Führen von Flügelzügen. SBB-Sprecherin Baumgartner betont, dass die SBB bei der Angebotsplanung «sehr darauf achte», möglichst allen Regionen der Schweiz einen attraktiven Zugang zum Nachtzugangebot zu schaffen. So würden die Nachtzüge Richtung Deutschland alle über Basel SBB mit guten Anschlüssen aus den Regionen Westschweiz/Jurasüdfuss, Wallis/Interlaken/Bern sowie Gotthard/Luzern fahren. «Dort wo die Linienführung es ermöglicht, werden wir möglichst viele Regionen direkt an das Nachtzugnetz anbinden», sagt Baumgartner. «So werden wir den geplanten Nachtzug nach Barcelona über Bern – Fribourg – Lausanne – Genf – Lyon führen anstatt über einen möglichen alternativen Reiseweg Basel – Moulhouse – Dijon – Lyon und so die Westschweiz direkt anbinden. Auch den neu geplanten Nachtzug nach Rom werden wir über die längere Route Bern – Brig – Domodossola führen, um auch hier einen direkten Anschluss von Bern/Thun sowie einen bequemen Zustieg der Westschweiz in Brig zu ermöglichen.»
  • Die Wartung: Auch die Nightjet-Züge müssen gewartet werden. Der Unterhalt wird in Wien bei den ÖBB gemacht. Es ist also wichtig, dass die Züge alle paar Tage nach Wien kommen. Am effizientesten ist das möglich, wenn sie als regulärer Nachtzug dorthin kommen – also als Nighjet Zürich-Wien. In Zürich können die Kompositionen ausgetauscht werden. Als Beispiel: Wenn die Komposition auf dem Nachtzug von Hamburg nach Zürich in den Unterhalt muss, kann der Zug in zwei Nächten die Strecke Hamburg-Zürich-Wien fahren. So gehen keine Einnahmen verloren, weil die Komposition immer als Nachtzug unterwegs ist. Eine Komposition, die beispielsweise gerade gewartet wurde, kann hingegen die Strecke Wien-Zürich-Hamburg fahren. SBB-Sprecherin Sabine Baumgartner sagt: «Über seine verkehrliche Bedeutung hinaus dient Zürich insbesondere auch als Produktionsknoten, der den notwendigen Austausch der Nightjet-Kompositionen der ÖBB zwischen den Linien und deren Zuführung zur Instandhaltung nach Wien, Graz und Innsbruck ermöglicht. Dieser Austausch der Kompositionen kann nur in Zürich erfolgen, da sich nur dort alle Nachtzüge, die der Instandhaltung in Österreich zugeführt werden, treffen.» Etwas anders hingegen ist das bei den Nachtzügen Zürich-Amsterdam, die ab Ende 2021 fahren und vorerst mit älterem, von der SBB zugemieteten Rollmaterial des Anbieters RDC unterwegs sind. Diese werden im DB Werk Basel Bad instand gehalten – zumindest, bis auch auf dieser Verbindung reguläre Nightjet-Kompositionen eingesetzt werden.



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