Wie Autos dem Gemeinschaften schaden // Mega-Ausbau fürs Velo in Los Angeles // Was steckt hinter der «Verkehrsgerechtigkeit»?

Los Angeles muss mehr fürs Velo tun. Bild: Venti Views/Unsplash

Autounfälle kosten viele das Leben. Doch die Fahrzeuge sind noch aus vielen anderen Gründen schädlich. Ausserdem im Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Los Angeles will das ÖV- und Velonetz ausbauen und Trottoirs verbreitern – und eine neue Studie versucht, Verkehrsgerechtigkeit zu messen.

von Stefan Ehrbar
8. März 2024

Wie Autos den Gemeinschaften schaden

Bei Unfällen mit Autos wurden seit ihrer Erfindung 60 bis 80 Millionen Menschen getötet und mindestens 2 Milliarden verletzt. Das haben Forscher vor kurzem herausgefunden. Zudem sterben jährlich etwa 370’000 Menschen weltweit an den Folgen der Luftverschmutzung durch die Fahrzeuge (Mobimag berichtete).

Es gibt allerdings noch viele andere Arten, wie das Auto den Gemeinschaften schadet. Darauf macht diese Woche der «Streetsblog» aus den USA mit einem Artikel namens «All The Ways That Car Domination Harms Our Communities (Well, Almost All…)» aufmerksam.

Die negativen Folgen des Autos würden weiter zunehmen, bis die Automobilität ausgewechselt werde durch ein Verkehrssystem, das stärker auf den Menschen ausgerichtet sei. Derzeit stehe aber das Auto im Mittelpunkt des globalen Lebens, schreibt die Autorin.

Was in der Studie nicht untersucht worden sei, seien etwa gesundheitliche Belastungen durch den Lärm, der einer Studie zufolge alleine in 32 europäischen Ländern zu 10’100 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr führe. Hinzu komme die Lichtverschmutzung auf Strassen und Parkplätzen und durch die Autos selbst sowie die thermische Verschmutzung durch übermässig gepflasterte Städte.

Tatsächlich heizen sich Städte mit vielen versiegelten Flächen deutlich stärker auf als solche mit weniger Asphalt, was insbesondere in Zeiten von steigenden Temperaturen und einer immer älter werdenden Bevölkerung zum gesundheitlichen Problem werden kann.

Wie es im Artikel weiter heisst, habe die Studie auch nicht berücksichtigt, dass ein sitzender Lebensstil ebenfalls gewisse Krankheiten fördern könne. «Und schliesslich sind da noch die enormen und weitgehend unterbewerteten Auswirkungen der Autoabhängigkeit auf die psychische Gesundheit, einschliesslich sozialer Isolation, Depressionen und dem Verlust von Unabhängigkeit, Spiel und räumlichem Denken bei Kindern. Nicht zu unterschätzen ist auch die schlichte Angst, die jeden Versuch, die Strasse zu überqueren, zu einer «Entscheidung über Leben und Tod» macht.»

Die Abhängigkeit vom Auto erschwere zudem den Zugang zur Gesundheitsversorgung und Staus verlängerten die Reaktionszeiten von Rettungsdiensten, heisst es im Artikel.

Die Autorin weist zudem noch auf weitere, eher untererforschte negative Folgen des Autofahrens hin – etwa dass Frauen stärker von Unfällen betroffen sind, weil Crashtest-Dummys oft männliche Körper imitieren oder dass Autos durch ihren Flächenverbrauch in den Städten auch die knappe Ressource Land beanspruchen und so die Wohnkosten verteuern können.

Los Angeles will mehr Velowege

Die Einwohnerinnen und Einwohner von Los Angeles, die vielleicht autozentrierteste Stadt der USA, wollen etwas ändern: Mit einer grossen Mehrheit von etwa 63 Prozent Ja-Stimmen haben sie diese Woche der Initiative «Measure HLA» – gelegentlich auch als «Healthy Streets LA» bezeichnet – zugestimmt. Das berichten US-Medien.

Das Bürgerbegehren soll die Metropole dazu zwingen, Hunderte von Kilometern an Velo- und Busspuren zu bauen, um die Strassen für Fussgänger und Velofahrer sicherer zu machen und den öffentlichen Verkehr zu fördern. Konkret müssen nun 238 Meilen geschützte Velowege (entspricht 383 Kilometern) gebaut werden sowie Hunderte zusätzliche ungeschützte Spuren entstehen. Umgestaltet werden sollen auch einige der berühmtesten Boulevards der Region, etwa der Ventura Boulevard im San Fernando Valley.

Busse sollen auf einer Länge von zusätzlichen 300 Meilen (482 Kilometer) neue Spuren oder Verbesserungen etwa durch Priorisierungen an Ampeln erhalten. «Es geht nicht nur um die Massnahmen. Es geht um die Frage, in welcher Art von Stadt die Angelenos leben wollen» zitiert die «LA Times» den Mitinitianten Michael Schneider.

Er ist Geschäftsführer der Interessensgruppe Streets for All, welche die Massnahmen konzipiert hat. Die Kampagne kostete mehr als drei Millionen US-Dollar und wurde von mehreren Stadträten unterstützt, während sich die Bürgermeisterin nicht positionierte. Widerstand gab es etwa von der Feuerwehrgewerkschaft. Diese befürchtet, dass sich ihre Anfahrtswege verlängern.

Die Kosten für den Massnahmenplan werden von der städtischen Verwaltung auf 3,1 Milliarden US-Dollar geschätzt. Etwa 1,1, Milliarden Dollar dürften alleine die neuen Velowege kosten.

Zum Massnahmenplan gehört auch die Verbreiterung von Trottoirs, damit Fussgängerinnen und Fussgänger bequemer und sicherer unterwegs sein können. In Los Angeles sterben mehr Leute im Strassenverkehr als durch Straftaten. Gemäss Zahlen von Deloitte werden in Los Angeles 89 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt. Zum Vergleich: In Zürich sind es zwischen 25 und 30 Prozent.

Was ist mit «Verkehrsgerechtigkeit» gemeint?

Verkehrssysteme spielen eine zentrale Rolle wenn es darum geht, Zugang zu ausserhäuslichen Aktivitäten zu haben und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie bieten aber nicht allen den gleichen Zugang – etwa, weil sie mit physischen Hürden versehen sind oder weil sie kosten und sich nicht alle den Zugang leisten können.

Zudem werden zwangsläufig einige Orte etwa vom öffentlichen Verkehr besser bedient als andere. Wie gross diese Unterschiede sind, ist eine Frage der sogenannten Verkehrsgerechtigkeit.

Diese hat im Wesentlichen zwei Faktoren: Die Ungleichheit bei der Zugänglichkeit und die sogenannte Armut bei der Zugänglichkeit. Unter der Ungleichheit wird verstanden, dass einige sozioökonomische Gruppen systematisch einen schlechteren Zugang zu Möglichkeiten haben als andere. Unter dem Aspekt der Armut bei der Zugänglichkeit wird verstanden, dass Menschen zum Teil nicht in der Lage sind, ihre täglichen Bedürfnisse zu befriedigen und ein würdiges Leben zu führen, weil sie keinen Zugang zu den wichtigsten Dienstleistungen und Möglichkeiten haben.

Wie Verkehrsgerechtigkeit gemessen werden kann, haben nun Forscher rund um Alex Karner von der University of Texas untersucht.

Ihre Studie mit dem Titel «Advances and pitfalls in measuring transportation equity» wurde vor kurzem im Journal «Transportation» veröffentlicht. Die Forscher haben unter anderem eine Literaturrecherche durchgeführt und die Auswirkungen der Coronakrise auf die Verkehrsgerechtigkeit analysiert.

«Die Feststellung, ob ein Verkehrssystem oder eine Verkehrspolitik gerecht ist, ist nicht einfach zu treffen», schreiben die Wissenschaftler. «Unterschiedliche Definitionen von Gerechtigkeit ergeben sich aus unterschiedlichen moralischen Grundsätzen. Zwei dominierende in der Literatur und in der Praxis: Egalitarismus und Sufzientismus.»

Der Egalitarismus konzentriere sich auf die Abschwächung von Ungleichheiten bei der Zugänglichkeit. Sufcientarianism konzentriert sich auf die Armut bei der Zugänglichkeit und untersucht, wie Erreichbarkeitsniveaus erhöht werden können, die es Menschen nicht erlauben, ihre täglichen Bedürfnisse zu erfüllen.

Verkehrsgerechtigkeit zu messen ist allerdings sehr schwierig. Die Autoren haben verschiedene Ansätze verwendet, um die Auswirkungen der Coronakrise und die Reduktion des Angebots des öffentlichen Verkehrs auf die Verkehrsgerechtigkeit zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass während der Zeit der meisten Einschränkungen im Jahr 2020 die Ungleichheit sogar etwas reduziert wurde.

«Diese Ergebnisse machen deutlich, dass bei der Analyse von Ungleichheiten im Verkehrsbereich eine bewusste Auswahl der Methodik erforderlich ist», schreiben die Autoren. So gebe es Quotienten, die besser als andere geeignet seien, egalitäre Anliegen zu reflektieren, in dem sie Ungleichheiten zwischen soziökonomisch verschiedenen Gruppen vergleichen. Diese lassen allerdings zum Teil Ungleichheiten innerhalb von Gruppen ausser Acht.

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