Die Berliner S-Bahn vergibt einen Milliarden-Auftrag, um den auch Stadler kämpft. Nun kommt das Verfahren vor Gericht. Ausserdem im Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Auf der Gäubahn kommt es zu weiteren Verzögerungen, die auch die Schweiz treffen – und Forscher haben alle Schäden berechnet, die das Auto verursacht.
von Stefan Ehrbar
23. Februar 2024
Rechtsstreit um Berliner S-Bahn
Die deutschen Bundesländer Berlin und Brandenburg führen derzeit das grösste Vergabeverfahren ihrer Verkehrsgeschichte durch. Einerseits geht es darum, wer neue S-Bahn-Züge bauen und warten soll – und andererseits, wer den Teil des Netzes, auf dem die Züge in den Einsatz kommen, für mindestens 15 Jahre lang betreiben wird.
Eingesetzt werden sollen die Züge laut der «Berliner Zeitung» auf elf Strecken. Dabei gehe es um zwei Drittel des S-Bahn-Netzes. Benötigt würden mindestens 1400 S-Bahn-Wagen. Die S-Bahn Berlin beförderte letztes Jahr auf einem Streckennetz von 340 Kilometern 410 Millionen Passagiere und ist nach der U-Bahn das wichtigste Verkehrsmittel der deutschen Hauptstadt. Zum Vergleich: Die Zürcher S-Bahn beförderte im gleichen Jahr auf 380 Kilometern Netz mit knapp 200 Millionen Passagieren etwa die Hälfte davon.
Laut der Zeitung wurden bereits Aufträge im Wert von 12 Milliarden Euro vergeben. Doch am Verfahren gebe es Kritik. Diese beschäftigt nun auch die Justiz.
Mittendrin ist der Schweizer Hersteller Stadler. Er hat sich für den Auftrag mit dem deutschen Hersteller Siemens zusammengetan. Die beiden Firmen offerieren Züge auf Grundlage der Baureihe 483/484, die sie zuletzt bereits an die S-Bahn Berlin liefern konnten. Sie offerieren zusammen mit der S-Bahn Berlin GmbH, einer Tochter der Deutschen Bahn. Diese soll den Betrieb übernehmen.
Vor Gericht wird die Ausschreibung verhandelt, weil auch der Hersteller Alstom zumindest einen Teil der Flotte bauen möchte. Er betreibt laut der Zeitung in Hennigsdorf nordwestlich von Berlin ein grosses Werk. «Nachdem das Unternehmen bei mehreren Ausschreibungen leer ausging, möchte es etwas haben vom grossen Nahverkehrskuchen», heisst es im Text.
Alstom gehe aber davon aus, schlechte Karten zu haben, denn anders als Siemens und Stadler ist es dem französischen Konzern bisher nicht gelungen, eine feste Kooperation mit einem Zugbetreiber einzugehen. Das französische Verkehrsunternehmen Transdev habe sich dem Vernehmen nach zurückgezogen, Gespräche mit Netinera hätten bisher keine Resultate zutage gebracht.
«Wer sich wie Alstom solo bewirbt, könne sich kaum Chancen ausrechnen, sofern nicht doch noch zufällig ein Zugbetreiber ein Komplementärangebot unterbreitet und damit Erfolg hat», zitiert die Zeitung Kenner des Verfahrens. «Selbst wenn das Alstom-Angebot für die neuen S-Bahn-Fahrzeuge das wirtschaftlichste wäre: Ohne Partner würde es nichts nützen.» Alstom beantragte deshalb bereits 2021 eine Nachprüfung bei der Vergabekammer. Der Antrag wurde zurückgewiesen, wogegen Alstom Beschwerde erhob. Nun muss das Berliner Oberlandesgericht ab diesem Freitag entscheiden.
Eine Milliarden-Ausschreibung steht demnächst auch in der Schweiz an. Vor allem für die Zürcher S-Bahn will die SBB über 120 Züge beschaffen, wie CH Media berichtete. Die Ausschreibung ist für dieses Jahr vorgesehen, dem Hersteller Stadler werden gute Chancen eingeräumt. Anders als in Berlin dürfte Siemens hier als Konkurrent auftreten. Der deutsche Konzern ist in der Schweiz mittlerweile der grösste industrielle Arbeitgeber. Sein Schweiz-Chef mahnte die SBB bereits an, unvoreingenommen zu urteilen: «Wenn die SBB nur noch als Stadler-Bundesbahnen wahrgenommen werden, wäre dies sehr schlecht für künftige Innovationen und Investitionen in der Schweizer Bahnindustrie», sagte er der NZZ.
Neue Verzögerungen auf der Gäubahn
Auf der Gäubahn von Stuttgart nach Singen, die auch von den Intercity-Zügen von Zürich nach Stuttgart befahren wird, kommt es zu einem längeren Unterbruch als geplant. Das berichten diese Woche deutsche Medien.
Der Grund ist der Bau eines zweiten Gleises zwischen Horb und Neckarhausen. Die Freigabe dieses Ausbaus verzögert sich laut der «Neckar-Chronik» bis zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2024. Eine Sprecherin der Deutschen Bahn macht dafür «Eiswetter und extreme Niederschläge in den zurückliegenden Wochen sowie akute Material- und Personalengpässe» verantwortlich. Immerhin soll der Betrieb auf einem Gleis wie geplant am 28. März starten. Sie soll dann weitgehend ohne Einschränkungen betrieben werden können. Eigentlich hätte der Ausbau bereits Ende 2023 zu Ende sein sollen.
Wer derzeit mit dem Zug von Zürich nach Stuttgart fährt, muss wegen den Verzögerung in Oberndorf auf einen Ersatzbus bis Böblingen umsteigen, wo es mit der S-Bahn weitergeht nach Stuttgart. Die Fahrt dauert deshalb knapp vier statt bisher drei Stunden. Ab dem 28. März sollen die Züge wieder durchfahren.
Weil zwei Eisenbahnüberführungen erneuert werden, wird die Gäubahn aber zwischen dem 21. und 31. Mai erneut gesperrt werden müssen. Ein weiterer Unterbruch droht Ende Juli, wenn Arbeiten in Stuttgart und zwischen Böblingen und Stuttgart West geplant sind. Die genauen Auswirkungen sind noch nicht bekannt.
Die erneuten Verzögerungen auf der Gäubahn sorgen für Kritik aus der Politik. Matthias Gastel, ein Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Baden-Württemberg, schreibt auf X von einem «extremen Ausmass an Unzuverlässigkeit seitens Deutsche Bahn» angesichts der Zeitverzögerung von mehr als einem Jahr für ein zweites Gleis.
Grösseres Ungemach für Bahnreisende zwischen Zürich und Stuttgart droht ab voraussichtlich Ende 2025. Mit der Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs in Stuttgart im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 sollen die Intercity-Züge von Zürich nach Stuttgart ab dann und während mindestens sieben Jahren nur noch bis zu einem Stuttgarter Vorortsbahnhof verkehren, wo auf die S-Bahn umgestiegen werden muss. Gegen diese Kappung klagt derzeit die Deutsche Umwelthilfe (Mobimag berichtete).
So viel Schaden richten Autos weltweit an
Ermöglicht das Auto Freiheit oder richtet es vor allem Schäden an? Während der ideelle Nutzen des eigenen Fahrzeugs schwierig quantifiziert werden kann, gelingt dies bei den Schäden, welche der motorisierte Individualverkehr anrichtet, besser.
Forscher rund um Patrick Miner von der University of Edinburgh haben ausgerechnet, welche Schäden Autos seit ihrer Erfindung verursacht haben. Die Studie mit dem Titel «Car harm: A global review of automobility’s harm to people and the environment» ist vor kurzem im «Journal of Transport Geography» veröffentlicht worden.
Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Literaturübersicht und eine Auflistung von Massnahmen, die zur Verringerung von Schäden umgesetzt werden können.
Die Forscher haben die Schäden, welche von Autos verursacht werden, in vier Kategorien eingeteilt: Gewalt respektive körperliche Schäden, Gesundheitsschäden, soziale Ungerechtigkeit und Umweltschäden.
«Wir stellen fest, dass das Auto und die Automobilität seit seiner Erfindung 60-80 Millionen Menschen getötet und mindestens 2 Milliarden verletzt haben», heisst es im Artikel. «Gegenwärtig ist 1 von 34 Todesfällen auf die Automobilität zurückzuführen. Autos haben die sozialen Ungleichheiten verschärft und die Ökosysteme in allen Regionen der Welt geschädigt, auch in abgelegenen autofreien Gebieten. Während einige Menschen von der Automobilität profitieren, schadet sie fast allen – ob sie nun Auto fahren oder nicht.»
Bei Unfällen mit Autos kommen laut der Studie jährlich 1,3 Millionen Menschen ums Leben, darunter 700 Kinder pro Tag. Zudem würden jährlich etwa 100 Millionen Menschen verletzt. Zu vorsätzlichen verübten Gewalttaten, die mit Autos in Zusammenhang stehen, gehören etwa bewaffnete Konflikte rund um den Zugang zu Ressourcen wie fossile Brennstoffe und abgebaute Metalle.
«Die Automobilität kann die körperliche und geistige Gesundheit durch eine Vielzahl von Faktoren wie Umweltverschmutzung, Bewegungsmangel, Autoabhängigkeit und soziale Isolation negativ beeinflussen», heisst es weiter.
Die Automobilität trage zudem zur Verschmutzung der Luft, des Bodens und der Gewässer durch Fahrzeugherstellung, Motorabgase, Streusalz und den Abrieb von Reifen, Bremsen und Strassenbelägen bei. «Wenn man nur die Luftverschmutzung und die Bleibelastung berücksichtigt, sterben jährlich 370’000 Menschen an den Folgen der Verschmutzung durch Fahrzeuge.»
Autoabhängige Orte isolierten zudem die Menschen von ihrer Familie, ihren Freunden und ihren täglichen Bedürfnissen (z. B. Lebensmittel-Einkauf), es sei denn, sie könnten selbst fahren und sich ein Auto leisten. «Wenn Menschen mit dem Auto unterwegs sind, anstatt zu Fuss zu gehen, mit dem Velo zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, verbringen sie mehr Zeit im Sitzen und weniger Zeit in Bewegung, was sich negativ auf ihre körperliche und geistige Gesundheit auswirkt.» Die Automobilität schaffe zudem soziale Ungerechtigkeiten und erfordere Ungerechtigkeit, um zu funktionieren. «Das System stützt sich auf eine ungleiche Verteilung des Schadens, auf vielfältige Formen der Unzugänglichkeit und auf den übermässigen Verbrauch von Raum, Zeit und Ressourcen.»
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