Abbau beim SBB-Schalter: Ab 2024 gibt es deutlich weniger internationale Tickets – muss nun der Bundesrat eingreifen?

Bei der SBB gibt es bald weniger internationale Tickets. Bild: markus53 / Pixabay

Die SBB stellt den Verkauf fast aller internationalen Bahnreisen für nicht angrenzende Länder per 2024 ein. So gibt es etwa mit wenigen Ausnahmen keine Tickets mehr für Züge nach Spanien, England, Norwegen oder Polen. Die Bahn begründet das mit veralteten Systemen – doch die Kritiker vermag sie damit nicht zu besänftigen.

von Stefan Ehrbar
20. März 2023

Wer eine Reise tut, kann was erleben – ausser man verreist mit der Bahn. Wer eine Zugreise in viele europäische Länder plant, für den ist das Abenteuer bald schon am SBB-Schalter zu Ende. Denn ab dem 1. Januar 2024 reduziert die Bahn das Sortiment von internationalen Bahntickets drastisch.

Im Wesentlichen fokussieren sich die SBB ab dann auf Zugtickets für die Nachbarländer Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich. Nicht mehr erhältlich sein werden Billette für Züge in Spanien, Grossbritannien, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Norwegen, Schweden, Finnland, Portugal, Polen und weiteren osteuropäischen Ländern, und zwar im Internet und am Schalter. Das geht aus einer internen Information hervor, über die CH Media berichtet.

Einige Ausnahmen gelten: So werden weiterhin Tickets für die Benelux-Länder, für Dänemark und Tschechien, den Eurostar nach London sowie den TGV von Frankreich nach Barcelona verkauft. Auch die direkten Nachtzüge aus der Schweiz etwa nach Zagreb oder Amsterdam können weiterhin bezogen werden.

Die SBB bestätigt den Abbau.

Der Auslöser sei ein technischer, sagt SBB-Distributionschef International Alexander Gellner zu CH Media. Das Vertriebssystem werde modernisiert. Die Bahn fokussiere sich darauf, Verbindungen in die Nachbarländer besser verkaufen zu können. So soll es auch internationale Billette im modernen Webshop geben und die Bahn wolle künftig das ganze Sortiment der Nachbarländer anbieten. Derzeit können die SBB etwa noch keine Sparangebote der italienischen Bahn verkaufen. Diese Vereinfachung erfolge in den nächsten Monaten, sagt Gellner.

Um weiterhin Zugtickets in die restlichen Länder Europas anbieten zu können, müssten ältere Software-Systeme, die teilweise aus den 80er-Jahren stammen, parallel zum neuen System weiterbetrieben werden. Es gebe nicht mehr genügend Fachleute, die diese Systeme noch bedienen können. Die Kosten für eine Integration würden zudem die Umsätze, die mit Reisen in diese Länder erzielt werden, übersteigen, so Gellner. Diese betrügen «deutlich weniger» als ein Prozent der Gesamtumsätze im internationalen Verkehr.

Bei der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) kommt die Neuerung schlecht an. «Wenn das so kommt, müssten die SBB zwingend auch ihre Werbung anpassen, die auf Nachhaltigkeitsbemühungen verweist», sagt Geschäftsleiterin Sara Stalder. Sie fordert, dass Tickets in die betroffenen Länder am Schalter weiterhin gekauft werden können, und zwar ohne Strafzuschlag.

Für Kundinnen und Kunden sei es eine Herausforderung, selbst die richtige Internetseite der jeweiligen ausländischen Bahngesellschaft zu finden – wenn es die denn überhaupt in einer Sprache gebe, die sie verstehen. «Zudem hat jede Bahnunternehmung spezielle Regeln, die man nicht einfach so wissen kann. Damit ist die Gefahr gross, dass ein falsches Ticket gekauft wird und man während der Reise mit einer Busse bestraft wird.» 

Dass die SBB dem nachkommen, ist eher unrealistisch. Die Nachfolgeregelung sei noch nicht definiert, sagt Gellner. Unterstützung werde es am Schalter weiterhin geben. Dass die SBB-Mitarbeitenden Buchungen im Namen der Kundschaft tätigen, sei kaum möglich. Dann müssten diese auch die Kreditkarten der Kundinnen und Kunden benutzen. «Wir werden aber Alternativen aufzeigen», verspricht Gellner. Solche könnten etwa Angebote von Interrail sein, die die Bahn weiterhin verkauft.

Damit dürften die SBB die Kritiker kaum besänftigen. Einer ist Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt. Bereits im Jahr 2014 wollte er in einer Interpellation vom Bundesrat wissen, welche Anstrengungen der Bund und die SBB unternehmen, um den internationalen Reisezugverkehr benutzerfreundlich auszugestalten. Heute ist die Bahn kaum weiter.

Angesichts des Abbaus kündigt er gegenüber CH Media einen Vorstoss an, in dem er die SBB «einmal mehr» auffordern werde, den internationalen Bahnverkehr zu stärken. «Es braucht ganz offensichtlich mehr Druck. Gerade mit Blick auf die Klimapolitik müssen die SBB anscheinend stärker an ihre Verantwortung erinnert werden.»

Neben dem Preis und der Planungssicherheit sei der Prozess der Buchung eines der Hauptkriterien für den Kauf oder Nichtkauf eines Bahnbilletts. Er befürchte, dass auf betroffenen Strecken der Flugverkehr zunehme. «Für mich ist dieser Schritt absolut unverständlich und extrem kurzfristig gedacht. Man sieht, dass man kurzfristig ein paar Franken einsparen kann und schädigt damit Bahnreisen als Ganzes», so Müller-Altermatt. Der Bundesrat müsse konkretere Ziele setzen: «Der Bund als Eigner hat selber Klimaziele. Wenn er diese beim eigenen Betrieb nicht unterstützt, wird es schwierig.»

Etwas Hoffnung auf eine Besserung der Lage gibt es. Die Staatsbahnen in Europa haben sich auf die Einführung eines Standards namens OSDM geeinigt. «Wenn dieser kommt, wird es sehr viel einfacher werden, Bahntickets in ganz Europa zu verkaufen, sowohl am Schalter als auch online und in Zukunft auch mobil», sagt Alexander Gellner. Geplant ist, dass OSDM bis Ende 2025 implementiert ist. «Am 1. Januar 2026 wird nicht auf einen Schlag alles besser», sagt er. «Aber der Standard ‹eine Reise, ein Billett› wird kommen.» Es gebe starken Druck von der EU auf die Bahnen, den Buchungsprozess zu vereinfachen. Schliesslich gelingt dies der Aviatik seit Jahrzehnten.

Heute optimiere jede Bahn ihr Verkaufssystem fürs eigene Land. Daneben gebe es separate Schnittstellen, die auf keinem Standard basieren. Über eine solche können die SBB beispielsweise via Deutsche Bahn auch ab 2024 Tickets für Dänemark oder die Benelux-Länder verkaufen. Ein europaweiter Standard soll solche Notlösungen überflüssig machen – und die Attraktivität des Bahnfahrens steigern.

1 Kommentar

  1. Der Hinweis auf Systeme aus den 80ern, die nicht mehr wartbar sind, da die SBB keine Fachleute dafür mehr hat, spricht Bände. Solche Fehler dürfen in der IT im 2023 nicht mehr passieren!

    Ab 2025 sollte es ohnehin besser werden. Das heisst eine wirklich saubere Lösung muss gar nicht entwickelt werden. Mit den entsprechenden Bahnunternehmen eine simple Übergangslösung zu entwickeln, die den Leuten am SBB-Schalter erlaubt Tickets im Namen der Kunden zu kaufen und direkt weiterzuverrechnen, sollte möglich und bezahlbar sein. Einzelne Länder könnten kompliziert werden und nicht mitmachen, aber die meisten Destinationen könnte man so locker abdecken.

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