Von Stefan Ehrbar
7. Dezember 2020
Schlägt die Stunde des Individualverkehrs? Ja, glauben die Wirtschaftsprüfer von Deloitte. Das Beratungsunternehmen hat 1500 Schweizer im erwerbsfähigen Alter zu den langfristigen Effekten der Coronakrise befragt. Das Resultat der repräsentativen Umfrage: Das Auto, das Velo und E-Scooter nehmen an Beliebtheit zu, während Taxis, Fahrdienste und der ÖV das Nachsehen haben.
Gefragt nach geplanten langfristigen Änderungen der persönlichen Mobilität zeigen sich eindeutige Trends: So wollen 28 Prozent der Befragten künftig weniger häufig das Taxi oder Fahrdienste wie Uber nutzen. Nur 12 Prozent wollen vermehrt auf diese Verkehrsmittel setzen. Daraus ergibt sich eine deutliche Nettoabnahme der Nutzung. Ähnlich sieht es bei Bus und Tram aus: Fast jeder Vierte will diese Verkehrsmittel weniger häufig nutzen, nur 13 Prozent rechnen mit einer Zunahme. Beim Zug sind die Zahlen ähnlich (siehe Grafik).
Mit einer Nettozunahme rechnen können hingegen das Auto, das Motorrad, E-Scooter, das Zurücklegen von Wegen zu Fuss und insbesondere das Velo. Mehr als jeder dritte Befragte will letzteres künftig häufiger nutzen, nur 8 Prozent wollen ihr Zweirad weniger häufig besteigen.
Insbesondere bei den Jüngeren sei eine Verschiebung in Richtung Auto zu erwarten, schreibt Deloitte. «Jeder vierte unter 30-jährige wird angeblich öfter Auto fahren und 29% häufiger das Motorrad benutzen. Die daraus resultierenden Nettoeffekte sind wesentlich höher als bei den älteren Bevölkerungsgruppen.»
Doch welche Gründe sehen die Wirtschaftsprüfer für diese Entwicklung? Es gebe verschiedene Gründe, etwa:
- Die Angst vor einer Ansteckung: Im ÖV sei man häufig auf relativ kleinem Raum mit mehreren unbekannten Personen. «Was bisher höchstens als unangenehm und stressig empfunden wurde, stellt für einige Personengruppen nun auch ein Gesundheitsrisiko dar», so Deloitte.
- Zudem habe der Lockdown dem Homeoffice «einen gewissen Schub» verliehen. Der Pendel- und Fernverkehr zu Stosszeiten werde abnehmen.
Zu den Verlierern dürfte demnach vor allem der öffentliche Verkehr gehören. «Die Chancen stehen gut, dass der Veloverkehr und besonders die E-Bikes weiterhin zunehmen werden, sicherlich auch auf Kosten von Bus und Bahn, denn mit einem modernen E-Bike können auch relativ grosse Distanzen auf umweltfreundliche und schnelle Art und Weise zurückgelegt werden», so Deloitte. Wenn häufiger im Homeoffice gearbeitet werde, habe das auch einen Effekt auf das zeitweise sehr stark ausgelastete Netz der SBB. «Diskussionen über einen weiteren Ausbau könnten sehr schnell obsolet werden.»
Wie realistisch ist ein Auto-Boom?
In den Städten rechnen die Wirtschaftsprüfer von Deloitte damit, dass Trams und Busse bald weniger voll sind. Die Bevölkerung werde kurze Wege öfter zu Fuss, mit dem E-Bike oder einem Scooter bewältigen. «Diese Entwicklungen hätten einen Einfluss auf die Verkehrsplanung und eventuell auch auf die Finanzierung der Verkehrsbetriebe. In den letzten Jahren wurde neben einem emissionsarmen Individualverkehr auch stets der Ausbau des öffentlichen Verkehrs gefordert. Diese Diskussionen dürften sich nun zu Gunsten des Ersteren verlagern.»
Detailliertere Ergebnisse zur Studie sind online erhältlich: Link zu deloitte.com.
Ob sich der Verkehr tatsächlich so deutlich und in die Richtung verlagern wird, wie es die Befragung der Wirtschaftsprüfer zeigt, ist unklar. Denn ob der ÖV auch dann noch als Gefahrenquelle angesehen wird, wenn ein grösserer Teil der Bevölkerung geimpft ist, darf bezweifelt werden.
Der Boom des Veloverkehrs, den Deloitte prognostiziert, zeigte sich bereits in den letzten Monaten (Mobimag.ch berichtete). Ob allerdings tatsächlich eine Verlagerung hin zum Auto stattfindet, darf bezweifelt werden. Schliesslich brachen die Neuzulassungen im Coronajahr 2020 geradezu in historischem Ausmass ein (Mobimag.ch berichtete). Zudem scheint es nicht schlüssig, dass ausgerechnet Jüngere vermehrt aufs Auto setzen. Die Trends der vergangenen Jahre zeigen in eine andere Richtung – und von allen Altersgruppen sind die Jüngeren jene, denen eine Infektion mit dem Coronavirus am wenigsten anhaben könnte.
Dass Corona alles auf den Kopf stellt, glauben denn auch die Experten von Deloitte nicht. «Die grundsätzlichen Trends wie Sharing Economy, Mobilität als Dienstleistung und die Elektrifizierung werden bestehen bleiben und noch verstärkt.»
Titelbild: Lala Azizli / Unsplash
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