Carify-Mitgründer Sergio Studer: «In der Schweiz sind wir sehr gut im Leugnen der effektiven Kosten»

Carify-Mitgründer Sergio Studer. Bild: zvg

Der Markt der Auto-Abos boomt. Bereits etwa zwei Prozent der Neuzulassungen gehen auf ihr Konto. Das Start-Up Carify will den Markt mit einem anderen Modell aufmischen: Es arbeitet mit Garagen zusammen, welche die Autos im Abo abgeben. Warum und mit welcher Entwicklung er rechnet, verrät Mitgründer Sergio Studer im Interview.

von Stefan Ehrbar
11. August 2021


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Herr Studer, Im Gegensatz zu anderen Auto-Abo-Anbietern setzen Sie auf die Zusammenarbeit mit Garagen, welche die Autos verleihen. Wieso?
Für uns ist es nachhaltiger, bestehende und ungenutzte Kapazitäten zu nutzen, als den Anreiz zu schaffen, noch mehr Autos zu produzieren. Überall in der Schweiz stehen täglich mehr als 150’000 Autos herum. Statt in diesem Umfeld eine eigene Flotte aufzubauen und damit die Garagen und Importeure konkurrenzieren zu wollen, setzen wir auf starke Partnerschaften, um diese ungenutzten Kapazitäten nachhaltig nutzbar zu machen. Zudem ermöglicht uns dieses Konzept, unsere ganzen Ressourcen auf die Zufriedenheit und den Service für unsere Kunden zu fokussieren, ohne die eigene Flotte unterhalten zu müssen. Und wir können die mit Abstand grösste Auswahl an Fahrzeugen aller Anbieter vorweisen, was viele unserer Kunden sehr schätzen.

Welche Vorteile können die Garagen aus einer solchen Zusammenarbeit ziehen?
Wir ermöglichen den Garagen, selber zum Auto-Abo-Anbieter zu werden und ihren Kunden ein neues Mobilitätskonzept anbieten zu können. Um Autos im Abo anbieten zu können, braucht man ein IT-System und Prozess-Know-how. Mit unserer vollautomatisierten Lösung können Garagisten innert 15 Minuten selber zum Auto-Abo-Anbieter werden und ihre Autos auf unserer Plattform anbieten.


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Wie viele Abos konnten Sie bereits abschliessen? 
Wir sind im guten 4-stelligen Bereich unterwegs und sind mit unserem Wachstum und vor allem unseren Kundenakquise-Kosten sehr zufrieden.

Welche Marken und Modelle sind besonders gefragt?
Wir bieten vom kleinen Elektro-Honda oder Fiat 500 bis zum Maserati alles an. Auf der Elektro-Seite haben wir über 30 verschiedene Modelle und damit das grösste Angebot an E-Autos in der Schweiz – von dem her gibt es keinen Spitzenreiter sondern bei einer Auswahl von über 600 Autos einfach für jeden Geschmack etwas.

Wie finanzieren Sie ihr Wachstum?
Wir sind komplett privat finanziert. Die absolute Mehrheit der Anteile liegt bei uns Mitarbeitern. Unsere unternehmerische Freiheit ist uns wichtig. Wir wollen unsere Strategie an den Bedürfnissen der Kunden nicht an der Exit-Strategie eines Venture-Fonds ausrichten.

Ist Carify eher eine Finanz-Firma sind oder eine Auto-Firma?
Wir sind eine kundenfokussierte Software- und Service-Firma.


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Hat die Coronakrise ihrem Geschäft geholfen?
Wir haben mit unserer selber entwickelten Plattform im März 2020 gestartet und kennen deshalb nur Corona. Corona hat sicher den positiven Effekt, dass sich Menschen stärker im Internet bewegen. Das Carify-Abo wird komplett digital abgeschlossen, das gesamte Angebot komplett digital erfasst. Von dem her ist der von Corona angestossene Digitalisierungseffekt sicherlich positiv für unser Geschäft. Zudem ist ein flexibles Auto-Abo die perfekte Mobilitätslösung in unsicheren Zeiten.

Ist das ein vorübergehender Schub oder rechnen Sie damit, dass das eigene Auto wieder verstärkt gefragt ist?
Das Auto-Abo bietet vielen Menschen sicherlich grosse Vorteile, die auch nach der Corona-Krise relevant bleiben werden. Das Auto-Abo verbindet dabei alle Vorteile des Eigentums mit den Vorteilen der klassischen Miete. Gerade hinsichtlich Elektrofahrzeugen bietet das Abo die ideale Lösung für den Einstieg, ohne dass man sich über Restwertentwicklung oder überhöhte Unterhaltskosten Gedanken machen muss.

Wie sieht ihr typischer Kunde aus? Ist er eher jünger als der Durchschnitt, gibt es mehr Frauen oder Männer, mehr Leute vom Land oder der Stadt?
Wir haben von abgeschiedenen Dörfern im Wallis bis zum Stadtzentrum in Zürich, vom Lehrling bis zum Banken-CEO ganz unterschiedliche Kunden. Der Grossteil der Kunden ist zwischen 35 und 50 Jahre alt.

Was ist der Unterschied von einem Abo zu einem Full-Service-Leasing?
Die Flexibilität. Bei Carify gehen Sie keinen Knebelvertrag über mehrere Jahre ein und können ihr Abo jeden Monat kündigen. Bei vielen Abo-Providern, die sehr lange Laufzeiten und eine Erst-Anzahlung verlangen, ist Ihre Frage nach dem Unterschied aber sehr berechtigt.


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Leasing hat bei vielen Menschen einen schlechten Ruf, weil es auch jungen Fahrzeuglenkern ermöglicht, sehr stark motorisierte (und laute) Fahrzeuge zu fahren. Wie verhindern Sie ein ähnliches Image bei den Auto-Abos?
Wir haben eine PS-Beschränkung für unter 30-Jährige, um genau diesem Risiko entgegenzuwirken. Wir haben mit unseren Kunden bis anhin nur gute Erfahrungen gemacht und die Autos werden vernünftig bewegt. Zudem werden immer mehr Elektrofahrzeuge abonniert, welche den Lärm enorm reduzieren.

Der Kauf eines Occasions-Autos ist günstiger als ein Abo. Einverstanden?
Ich gehe davon aus, Sie meinen den Vergleich der Betriebskosten. Generell sind wir in der Schweiz sehr gut im Leugnen der effektiven Kosten. Beim Abo sind sämtliche Kosten und auch Risiken wie Service, Unterhalt, Steuern, Reifen und Wertverlust des Autos inkludiert. Es gibt eine klare Rate, es gibt einen klaren und einfachen Prozess – Sie suchen aus, bezahlen mit Kreditkarte und kündigen direkt über unsere App – super simpel, bequem und komplett digital. Beim Kauf eines Occasions-Autos habe ich Opportunitätskosten bei der Beschaffung und beim Wiederverkauf. Das benötigt eine Anfangsinvestition, Zeit, Geld und Nerven, die beim Abo nicht anfallen.


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Wenn ich aber einen Neuwagen mindestens sechs, sieben Jahre lang fahre, bin ich günstiger unterwegs als mit einem Abo. Sehen Sie das auch so?
Nein, das sehe ich nicht so. Neben den Aussagen zu den Occasionen steht bei Neuwagen, speziell auch bei Elektrofahrzeugen, in den Sternen, welchen Restwert Sie in sechs oder sieben Jahren erhalten werden. Bei Elektroautos steht gerade eine Modell-Revolution an. Batterien werden in den nächsten sechs bis sieben Jahren massiv besser, Reichweiten massiv erweitert, Verbrenner werden unpopulär. Wieviel Geld würden Sie heute noch für Ihr erstes iPhone erhalten? Wieviel für ein Nokia?

Ist es ökologisch sinnvoll, sein Auto alle paar Monate zu wechseln, wie es die Abo-Modelle ermöglichen? Schliesslich entstehen bei der Produktion von Autos viele Emmissionen.
Genau deswegen nutzen wir nur Autos, die bereits produziert wurden und in der Schweiz auf einen Abnehmer warten. Mit Carify werden heute stehende Autos besser genutzt und keine neuen Autos in den Markt gedrückt – das ist das einzig nachhaltige Abo-Modell auf dem Markt.

Was machen sie respektive die Garagen mit den Rückläufern?
Die Autos gehen entweder wieder als Abo in die Vermietung oder werden von der Garage verkauft oder verleast.

Wie hoch ist der Elektroauto-Anteil an ihren Abos? Mit welcher Entwicklung rechnen sie in näherer Zukunft?
Wir sind bei rund 40 Prozent Elektro-Anteil, damit über dem nationalen Schnitt und rechnen mit einer weiteren Steigerung hier.

Die Schweiz förderte Elektroautos kaum und die Infrastruktur ist zum Teil bescheiden. Wo orten sie die grössten Probleme?
Vielfach haben die Menschen noch falsche Vorstellungen bezüglich Reichweite und Ladeinfrastruktur. Auch bei der Typenwahl herrscht Unsicherheit. Das ist verständlich, die Kosten eines Elektroautos sind noch hoch. Hier können wir mit Carify aushelfen. Interessenten können bequem ein Auto im Abo testen und die Elektromobilität ausprobieren.

Carify arbeitet mit der Stadt St. Gallen zusammen. Einwohner können einen Rabatt auf ein Elektroauto erhalten. Wie ist diese Aktion angelaufen?
Die Stadt St. Gallen ist ein Pionier in diesem Bereich und wir sind stolz auf diese Zusammenarbeit, die wir als erster Abo-Provider initiieren konnten. Wir sind im Kontakt mit mehreren Städten die Förderprogramme vorsehen und die Aktion ist erfolgreich angelaufen.

Was machen sie bei Carify anders als z.B. Carvolution, Upto oder Clyde? Worin liegen ihre Stärken?
Alle genannten Anbieter machen einen guten Job und wir sind überzeugt, dass sich nicht nur ein Anbieter durchsetzen wird. Wir behaupten auch nicht, dass wir Marktanteile von über 80% haben und sind überzeugt, dass momentan keiner der Anbieter den Markt dominiert. Alle genannten Anbieter haben Kundenzahlen im vierstelligen Bereich, manche etwas mehr, manche etwas weniger. Wir glauben aber, dass wir das langfristig nachhaltigste Modell haben, mit welchem wir uns voll auf die Kundenbedürfnisse fokussieren und unsere Stärken dort einsetzen können. Wir arbeiten mit und nicht gegen die bestehenden Marktteilnehmer und versuchen ein Ökosystem zu schaffen, in welchem vom Garagisten bis zum Kunden jeder profitiert. Eine weitere Stärke ist sicher unser Team. Wir haben ein hungriges, motiviertes und kreatives Team, dass das Beste für die Kunden herausholen will. Wir sind weder durch Konzerninteressen, noch durch Exit-Plänen eines Venture-Capital-Gebers getrieben und können uns voll auf die Kunden ausrichten.


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Wäre es für Sie auch denkbar, Mobilitätspakete anzubieten – zum Beispiel ein Auto in Kombination mit einem ÖV-Abo oder E-Scooter-Guthaben? 
Ja, wir sind schon früh in diese Richtung gegangen und haben unser Angebot bereits mit Elektro-Scootern von Micro und Paketen mit der Firma TIER angereichert. Wir probieren aus und setzen rasch um, wenn wir ein neues Kundenbedürfnis entdecken.

In grossen Städten wie Zürich sinkt der Motorisierungsgrad seit Jahren. Hat das eigene Auto überhaupt noch eine Zukunft?
Ja, wir haben viele Kunden in der Stadt und in der Agglomeration Zürich – aber auch in Genf, Lausanne und anderen grossen Ballungszentren. Gerade im Herbst und Winter ist ein eigenes Auto für viele Städter ein grosses Bedürfnis.

Wieso sollte ich mich für ein Abo entscheiden statt für Carsharing?
Abo und Carsharing erfüllen verschiedene Bedürfnisse. Carsharing ist die perfekte Lösung, wenn Sie ein Auto nur auf Minuten- oder Stundenbasis brauchen und auch mal darauf verzichten können, wenn gerade kein Carsharing-Auto verfügbar ist. Mit dem Abo sprechen wir Leute an, die regelmässig ein Auto brauchen und unabhängig bleiben wollen.

Es gilt als Trend, dass jungen Menschen der Besitz nicht mehr so wichtig ist.
Eigentum wird in Zukunft zweitrangig und die Nutzung tritt in den Vordergrund. Auch bei den “Jungen” sehen wir je nach Nutzungszweck ganz klar den Wunsch nach eigenen Mobilitätslösungen.

Wie bewegen Sie sich selbst fort?
In der Stadt in der Regel mit einem Scooter von Micro. Ausserhalb in der Regel mit dem Auto. Ich fahre jetzt gerade ein Cabrio von Carify. Im Winter wird dann wieder auf ein bergtaugliches Auto gewechselt.

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