Während der Coronakrise ging ein Homeoffice-Schub durch das Land. Er wird nachhallen, denn die technischen Hürden sind nun vielerorts beseitigt. Gleichzeitig hat er auch Einfluss auf die Mobilität: Wer zuhause arbeiten kann, der kann auch weiter entfernt vom Büro wohnen. Eine neue Studie zeigt nun, wie stark diese Effekte sind.
von Stefan Ehrbar
27. November 2023
Im Frühling 2020 mussten viele Firmen möglich machen, was sie ihrer Belegschaft zuvor als unmöglich verkauft hatten: Das Homeoffice. Die Behörden verordneten wegen des Coronavirus, dass vom eigenen Zuhause aus arbeiten müsse, wem das zumutbar sei.
Der Anteil der Erwerbstätigen mit Homeoffice explodierte daraufhin von etwa 25 Prozent auf 50 Prozent. Während des ersten Lockdowns gaben 30 Prozent der Erwerbstätigen an, mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit im Homeoffice zu verbringen, weitere 20 Prozent weniger. Noch ein Jahr zuvor waren die Werte bei unter 5 und etwa 20 Prozent gelegen.
Das geht aus einer neuen Studie zu Homeoffice hervor, die das Beratungsunternehmen EBP im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen, von Kantonen und privaten Institutionen wie der Firma Swiss Life verfasst hat.
Der hauptsächliche Zweck der Studie ist es allerdings nicht, in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft zu blicken. Die Arbeit mit dem Titel «Wie Remote Work beeinflusst, wo und wie wir in Zukunft wohnen» hat untersucht, mit welcher Verbreitung von Homeoffice in Zukunft zu rechnen ist und welchen Einfluss dies auf die Wohnsituation der Menschen und ihre Mobilität hat.
Mobimag fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Studie im Folgenden zusammen.
Derzeit können etwa 40 Prozent aller Erwerbstätigen zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten. Den höchsten Anteil von Berufen mit dieser Möglichkeit bieten Grosszentren, gefolgt von Agglomerationsgemeinden von Grosszentren, Klein- und Mittelzentren, äusseren Agglomerationsgemeinden, Tourismusgemeinden und peripheren Gemeinden. In letzteren sind Dienstleistungen, die persönlich erbracht werden müssen, wichtiger – etwa im Tourismus.
Die Coronakrise hat der Digitalisierung der Arbeitswelt einen zusätzlichen Schub verliehen, schreiben die Autoren. «Hard- und Software in Unternehmen und Privathaushalten wurden vielerorts in erstaunlicher Geschwindigkeit verbessert. Die Erfahrungen haben aber auch unseren Blick auf die Praktikabilität von Remote Work grundlegend verändert. Was bislang als unmöglich erachtet wurde, hat während der Pandemie meist erstaunlich gut funktioniert. Und viele, wenn auch weit nicht alle, haben die Vorzüge einer Tätigkeit zuhause schätzen gelernt.»
Die Autoren rechnen deshalb und wegen der weiteren Zunahme des technischen Potenzials für Homeoffice damit, dass sich die Arbeitsform weiter verbreiten wird – wobei Arbeitnehmende gerne mehr Homeoffice hätten als viele Firmen, die diesbezüglich weiterhin eher konservativ unterwegs sind. Die Ansprüche von Unternehmen und Arbeitnehmenden schienen noch auseinanderzugehen, heisst es in der Studie. Die EBP-Forscher erachten mit Verweis auf Zahlen des Bundes und Umfragen einen Anteil von über 40 Prozent der Beschäftigen mit regelmässiger Homeoffice-Tätigkeit in den nächsten rund zehn Jahren als «nicht unrealistisch».
Doch wie wirkt sich dies nun auf die Mobilität aus? Nehmen Menschen längere Pendelwege in Kauf, weil sie weniger häufig ins Büro müssen? Fördert dies die Zersiedelung? Bietet die Homeoffice-Zunahme eine Chance für periphere Gemeinden, die so qualifizierte Arbeitsplätze ansiedeln und der Abwanderung entgegentreten können?
Die Antwort lautet: Kaum. Selbst wenn Homeoffice zunehmen wird, dürften die Einflüsse auf diese Fragen kleiner sein, als viele denken oder erhoffen.
Wohnortentscheide werden bei weitem nicht nur wegen des Arbeitsplatzes und des Pendeln gefällt. Jüngere Menschen ziehen gerne in grössere Zentren, weil sie dort ihre Ausbildung absolvieren, arbeiten und am Leben teilhaben wollen. Ab einem Alter von etwa 30 Jahren und mit dem Einzug von Kindern in den Haushalt stehen oft andere Faktoren im Vordergrund: Mehr Wohnfläche für die Familie, ein eigener Garten, Nähe zur Schule und zu Freiräumen etwa.
Für junge Menschen, das zeigen Umfragen und Daten des Bundes, ist die Zentralität bedeutend und sie ziehen häufig um. Ob sie in Wohneigentum wohnen, ist für diese Altersgruppe aber weniger relevant. Mit zunehmendem Alter wird Wohneigentum zum entscheidenden Faktor, der Wichtigkeit der Zentralität nimmt ab. Gleichzeitig steigt die Bedeutung der zur Verfügung stehenden Wohnfläche.
Gleichzeitig suchen die meisten Menschen bei einem Umzug nach einer Wohnmöglichkeit, die in der Nähe ihres sozialen Netzes liegt. Dieser Faktor gewinnt zusätzlich an Bedeutung, wenn beispielsweise die Grosseltern in die Betreuung von Kindern eingespannt werden.
Der Job hingegen ist eher ein untergeordneter Faktor. Im Schnitt wechseln zwar 13 % der Erwerbstätigen jährlich ihre Stelle. Aber, so heisst es in der Studie: «Ein Wechsel des Arbeitsorts ist nur in frühen Lebensphasen ein Umzugsgrund und auch dann ein untergeordneter. Dies hat einerseits damit zu tun, dass die dezentrale Struktur der Schweiz und die tiefe Arbeitslosigkeit es den meisten Erwerbstätigen ermöglicht, eine geeignete Arbeitsstelle im Umkreis ihres Wohnstandorts zu finden. Andererseits weist die Schweiz Infrastrukturen auf, die es vielen Erwerbstätigen ermöglicht, relativ weite Distanzen zu pendeln.»
Die Autoren gehen davon aus, dass in 27 Prozent aller Haushalte in der Schweiz heute mindestens eine Person einer Tätigkeit nachgeht, für die Homeoffice grundsätzlich möglich ist. «Für diese rund eine Million Haushalte in der Schweiz verliert die Nähe zum Arbeitsplatz als Einflussfaktor bei der Wohnstandortwahl an Bedeutung. Die Möglichkeit zum multilokalen Arbeiten verändert Zeit und Kosten, die wöchentlich oder jährlich potenziell für den Arbeitsweg benötigt werden.»
Weil die meisten solchen Berufe in den Grosszentren sind, ist das grösste Veränderungspotenzial auch bei Haushalten in den Grosszentren auszumachen. Kommt es nun also zur Stadtflucht von Homeoffice-Arbeitern und ihren Familien?
Wohl kaum. Das Homeoffice könne zwar ein «zusätzliches Motiv» sein, sich mit der eigenen Wohnsituation zu beschäftigen, werde aber nur in wenigen Fällen ein entscheidender Auslöser sein. Etwa 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung gab während der Pandemie an, ihre Wohnsituation überdenken zu wollen. In den urbanen Räumen – also dort, wo es viele Homeoffice-Möglichkeiten gibt – «wurde die eigene Wohnsituation dabei jeweils deutlich kritischer gesehen».
Doch die wesentlichen lebensprägenden Umzugsgründe werden auch künftig entscheidend sein, nicht der Arbeitsplatz. Das kann die Aufnahme eines Studiums, das Zusammenziehen mit der Partnerin, das Kinder-Kriegen oder eine Trennung sein.
Dass es nicht zu einer Stadtflucht kommen dürfte, liegt aber auch daran, dass sich die Wohnpräferenzen nicht grundsätzlich geändert haben. Obwohl es teils medial anders dargestellt wurde, haben etwa Städte nicht an Attraktivität verloren und Schlagzeilen von der «Stadtflucht» entpuppten sich als vorschnell. Viele Menschen, die in der Stadt wohnen wollen, schätzen deren Qualitäten unabhängig von ihrem Arbeitsplatz.
Zwar ist laut den Autoren ein Trend sichtbar, dass weniger zentrale Lagen stärker nachgefragt werden. Das liege aber daran, dass Haushalte mit hohem Flächenbedarf wegen den steigenden Preisen in den Städten schlicht dort suchen müssten. Andererseits sei eine ländlichere Umgebung für einen Teil der Bevölkerung nun mal das bevorzugte Wohnumfeld. «Ein Zusammenhang zwischen einer Homeoffice-Tätigkeit und einem periphereren Wohnstandort besteht jedoch nicht nur in eine Richtung. Es ist zu vermuten, dass das Wohnobjekt den Homeoffice-Wunsch resp. Anteil mitbestimmt. Wenn jemand ein für die eigenen Bedürfnisse besonders passendes Objekt etwas weiter weg findet, steigt der Wunsch nach mehr Homeoffice.»
Und weiter: «Nicht jeder Umzug, der theoretisch möglich ist, ist für einen Haushalt auch erstrebenswert. Das bisherige, sehr kleinräumige Umzugsverhalten legt nahe, dass andere «räumliche Anker» (soziales Netzwerk, Freizeitaktivitäten) wichtiger sind als der Arbeitsplatz. Gerade Familien mit älteren Kindern dürften ihre bislang hohe Standortgebundenheit kaum verändern. Mobilere Haushaltstypen, wie Einzel- und Paarhaushalte im jüngeren und mittleren Alter sowie Familien mit kleinen Kindern, könnten künftig die neue räumliche Flexibilität stärker nutzen». Die Autoren sehen «keinen Grund zu der Annahme, dass sich – aufgrund von multilokalem Arbeiten – die Wohnpräferenzen der Haushalte und die Muster im Umzugsverhalten entlang der Lebensphasen grundlegend verändern. Erst bei einer mehrheitlichen Tätigkeit im Homeoffice dürfte ein Haushalt nicht nur eine geringfügige Optimierung vornehmen, sondern sich räumlich allenfalls ganz neu orientieren.»
Auf räumlicher Ebene dürften diese – wenn auch schwachen – Trends dazu führen, dass die Peri- und Suburbanisierung zunimmt. Insbesondere in noch weniger dichten Agglomerationen von Mittel- und Kleinzentren und in gewissen ländlichen Gemeinden dürfte mehr Nachfrage registriert werden, weil sich dort mehr Wohnfläche in schöner Landschaft umsetzen lässt. Als Beispiele nennt die Studie die Agglomeration Sursee, das solothurnische Gäu oder das untere Prättigau. Umwälzen wird Homeoffice die Schweiz aber nicht.
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