Grimselbahntunnel, Ferien-GA und Gepäck-Abholdienst: So wollen die Berggebiete den ÖV ausbauen

Postautos über die Pässe sollen neu abgegolten werden. Bild: Jan Huber / Unsplash

Der touristische Verkehr wird unterschätzt, findet die Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete. In einem Positionspapier stellt sie Forderungen auf, wie der ÖV und der Tourismus zusammenarbeiten müssen. Es geht auch um Geld: Angebote ausserhalb der Grundversorgung sollen neu finanziert werden.

von Stefan Ehrbar
15. März 2022

Als «blinden Fleck der schweizerischen Verkehrspolitik» bezeichnete Thomas Egger, Präsident der Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), Anfang März im «Walliser Boten» den touristischen Verkehr. Dabei sei er weitaus der «wichtigste Verkehrszweck»: «Der touristische Verkehr macht den weitaus grössten Anteil am Verkehrsaufkommen aus. Noch vor dem täglichen Pendlerverkehr.» 

Der blinde Fleck soll beleuchtet werden. In der Frühlingssession überwies der Ständerat ein Postulat des Urner FDP-Ständerat Josef Dittli. Der Bundesrat muss nun eine Definition für den touristischen Verkehr erarbeiten und diesen statistisch erfassen.

Doch damit ist das Angebot noch nicht attraktiver geworden. Die SAB und der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) haben Ideen, wie das gelingen könnte. In einem gemeinsamen Positionspapier schlagen sie verschiedene Massnahmen zur Förderung des touristischen Verkehrs vor. Mobimag stellt die wichtigsten vor.

  • Angebot: «Kilometerlange Staus an neuralgischen Stellen wie den Zulaufstrecken zu den Autoverladezügen oder fehlende Sitzplätze zum Beispiel für die Bahnreise ins Tessin schaden dem touristischen Erlebnis», heisst es im Papier. «Neue Verkehrsangebote haben ein hohes Potenzial, zusätzliche Kundinnen und Kunden anzulocken. Die Verlängerung der Strecke Aigle – Leysin bis zur Talstation der Gondelbahn ist ein sehr gutes Beispiel, wie ein touristisches Angebot besser mit dem ÖV erschlossen werden kann. Mit dem Projekt «Grimselbahntunnel», das eine vertiefte Prüfung verdient, würde zum Beispiel das grösste zusammenhängende Schmalspurnetz in Europa entstehen.» Der Grimseltunnel würde Meiringen (BE) mit Oberwald (VS) und damit die Meiringen-Innertkirchen-Bahn (MIB) mit der Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) verbinden. 
  • Erlebnis: Zwar seien Angebote wie der Bernina-Express an und für sich schon ein eigenständiges touristisches Angebot. Trotzdem müssten Synergien zwischen touristischem Angebot und Verkehr noch besser genützt werden – etwa, indem Bahnbetreiber intensiver mit den Destinationen zusammenarbeiten. Umgekehrt müssten Destinationen besser verstehen, dass sie auf eine gute Erschliessung angewiesen sind. Das Reisen als Ganzes vom Einstieg in den Zug über den Aufenthalt bis zur Rückreise müsse zum Erlebnis gemacht und so vermarktet werden.
  • Nachhaltigkeit: Der Anteil der autofreien Haushalte in der Schweiz nimmt laut dem Positionspapier alle fünf Jahre um 2 Prozent zu. Es brauche etwa Wanderangebote von A nach B mit der An- und Rückreise im ÖV, schreibt die SAB. Destinationen müssten ihre Angebote verstärkt mit dem ÖV anstimmen und auf dessen Möglichkeiten hinweisen. «Es reicht z.B. nicht, wenn zwar die An- und Rückreise problemlos mit dem ÖV möglich ist, dann aber innerhalb der Destination das Angebot mangelhaft ist. Ebenso ist störend, wenn es Lücken in der Transportkette hat, zu viele Umsteigevorgänge nötig sind oder sogar Modalbrüche vorkommen. Wo die Anreise oder ein Teil der Reise trotzdem mit dem motorisierten Individualverkehr stattfindet, müssen geeignete Umsteigemöglichkeiten bereit gestellt werden.»
  • Tarife: Im Idealfall muss der Gast nur ein Ticket buchen, heisst es im Papier. Gleichzeitig sei die Zeit, in der sich Gäste während zwei Wochen nur in einer Unterkunft aufhielten und sich nicht weiter bewegten, vorbei. Zwar gebe es mit GA und SwissTravelPass Pauschalfahrausweise, doch die seien nicht auf allen Bergbahnen gültig. «Ideal wäre eine Art Ferienpass für die ganze Schweiz, in dem alle ÖV-Angebote enthalten sind».
  • Buchung: Im grenzüberschreitenden Verkehr müsse das Ticketing «massiv verbessert werden», fordert die SAB. Süddeutschland, Frankreich und Norditalien seien wichtige Quellmärkte, die durch vereinfachtes Ticketing besser erschlossen werden könnten. «Heute ist es für Gäste aus diesen Regionen oft einfacher, direkt mit dem Auto anzureisen. Von einem vereinfachten Ticketing würden auch Kundinnen und Kunden im grenzüberschreitenden Personenverkehr profitieren.»
  • Gepäcktransport: Die Reise müsse so unkompliziert wie möglich sein, schreibt die SAB. Dazu gehöre ein durchgehender Gepäcktransport. Da es immer weniger bediente Schalter gebe, müsse dieser als Abholdienst von zu Hause bis zum Zielort ausgestaltet sein, «wobei auch ein Ortswechsel während des Ferienaufenthaltes abgedeckt sein muss». Es müsse eine Zusammenarbeit mit der Post geprüft werden.
  • Veloverlad: Die Bedeutung des Veloverlads im ÖV werde zunehmen. Velofahren sei das «Skifahren des Sommers». «Der Veloselbstverlad muss massiv vereinfacht werden», heisst es im Papier. «Wo
    heute Engpässe bestehen und mit einer längerfristigen Nachfrage zu rechnen ist, müssen die, Transportkapazitäten substantiell ausgebaut werden. Sofern eine Reservationspflicht auf gewissen Zügen eingeführt wird, so muss diese so ausgestaltet sein, dass das Ticket mit einem Klick gebucht werden kann und dafür ein garantierter Platz im gebuchten Zug vorhanden ist. Die Buchung muss zudem für den gesamten Reiseweg möglich sein, also auch beim Wechsel von einem Verkehrsunternehmen zum anderen während der Reise.»
  • Finanzierung: Nach geltender Gesetzgebung muss sich der touristische Verkehr selbst finanzieren und wird nicht von der öffentlichen Hand abgegolten. Zu diesen Angeboten gehören auch die meisten Postauto-Fahrten über Pässe. Das soll sich ändern, fordern die SAB und der VöV, denn die Anforderungen an den ÖV seien hoch und es sei ein politisches Ziel, dass sich sein Anteil erhöhe. «Wenn der touristische Verkehr diese Herausforderungen meistern und Erwartungen erfüllen soll, dann braucht er auch eine Unterstützung durch die öffentliche Hand.» Als Beispiel wird im Papier der «Bus alpin» genannt, der 19 touristisch interessante Bergregionen erschliesst, aber nur 46 Prozent der Kosten durch Billetterträge decken kann. Den Rest finanzieren Gemeinden, Naturpärke und Sponsoren. «Die mangelnde Unterstützung verhindert einen wesentlichen Angebotsausbau», heisst es im Papier. «Zwar würde ein solcher Angebotsausbau für sich betrachtet (geringe) Mehrkosten verursachen. Bei einer Gesamtbetrachtung führte dies aber auch dazu, dass die davorliegenden «Stammlinien» des Regionalen Personenverkehrs höhere Frequenzen hätten, was wiederum zu einem höheren Deckungsbeitrag führte.

Die Liste mit allen Forderungen und Annahmen findet sich online als PDF-Dokument auf sab.ch (externer Link).

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