Mischa Nugent leitet seit 2021 die Sihltal Zürich Uetliberg Bahn (SZU). Im Interview verrät er, warum die Taktverdichtung später kommt als bisher kommuniziert, wie es mit dem «Monster» am Friesenberg weitergeht und was die Prüfung von S-Bahnen aus dem Sihltal via Zürich-Wiedikon weiter über die Stadt hinaus ergeben hat.
von Stefan Ehrbar
28. November 2023
Herr Nugent, wo steht die SZU derzeit in Sachen Passagierzahlen?
Die Passagierzahlen der Sihltalbahn S4 liegen mittlerweile über 10% höher als noch vor der Pandemie. Auf der Uetlibergbahn S10 hingegen konnten wir die Zahlen von 2019 noch nicht wieder erreichen. Die Zahlen lassen sich in der Tendenz mit aktuellen Entwicklungen in Quartieren erklären, die starke Frequenzbringer sind. In der Binz beispielsweise werden aktuell zwei Bürokomplexe saniert bzw. umgebaut, in welchen vorher weit über 1000 Menschen beschäftigt waren. Dort arbeitet im Moment niemand, was sich natürlich auf unsere Passagierzahlen auswirkt. Die aktuellen Fahrgastzahlen sowohl des Zimmerbergbus als auch der Felseneggbahn liegen klar über den Werten von 2019. Die Felseneggbahn bewegt sich im laufenden Jahr gar auf Rekord-Niveau.
Gibt es Veränderungen seit Corona – z.B. ein anderer Tagesgang oder mehr Reisende am Wochenende?
Generell können wir sagen, dass sich die Passagierzahlen an den Wochenenden sicherlich stärker entwickeln als während der Woche. Das deutet darauf hin, dass nach wie vor häufiger zu Hause gearbeitet wird als vor 2019, die Leute dafür ihre Wochenenden vermehrt in Naherholungsgebieten wie dem Uetliberg oder dem Sihlwald geniessen.
Die SZU investiert in den nächsten Jahren über 800 Millionen Franken – ein sehr hohes Volumen für eine verhältnismässig kleine Bahn. Wie kommen sie voran?
Die SZU muss sich in den nächsten Jahren aus verschiedenen Gründen grundlegend modernisieren. Einerseits erwarten wir eine weitere Steigerung der Fahrgastvolumen in den nächsten Jahren, andererseits haben wir beispielsweise im Bereich der Instandhaltung Nachholbedarf oder Technik- und Infrastrukturbauten, die schlicht ihr Lebensende erreicht haben. Nicht zuletzt gilt es aber auch, gesetzliche Anforderungen wie das Behindertengleichstellungsgesetz zu erfüllen.
Mittlerweile konnten wir bereits einige grosse und bedeutende Projekte wie beispielsweise die Umstellung der Uetlibergbahn S10 von Gleich- auf Wechselstrom umsetzen. In diesem Sommer erneuerten wir ausserdem den zweiten Teil der mittlerweile rund 30 jährigen Fahrbahn im Sihltunnel. Zudem läuft aktuell die Ausschreibung für die neuen Fahrzeuge der Sihltalbahn S4 sowie die nötigen Vorbereitungen, um die Flotte des Zimmerbergbusses ab 2027 auf umweltfreundliche energieeffiziente Antriebstechnologien umzustellen. Währenddessen laufen die Planungen für die weiteren Projekte selbstverständlich auf Hochtouren, damit wir ab 2025 noch höhere Bauvolumen umsetzen können als bisher.
Wie meistert die SZU dieses Volumen? Haben Sie auch externe Unterstützung geholt?
Ja, die Bewältigung der Vorhaben erforderte zusätzliches Personal in fast sämtlichen Bereichen. Für die Entwicklung von Projekten arbeitet die SZU seit jeher mit externen Planungsbüros. Da nun deutlich mehr Projekte umgesetzt werden, sind entsprechend auch mehr externe Planungsbüros beauftragt.
Wurde in den Jahren zuvor zu wenig investiert, dass jetzt so viel gebaut werden muss?
Wie im schweizerischen Eisenbahnverkehr generell gab es auch bei der SZU eine Zeit, in der man mehr in den Erhalt und die Modernisierung des Schienennetzes hätte investieren sollen. Gemeinsam mit dem Bund und dem Kanton Zürich haben wir jedoch seit einigen Jahren einen klaren Plan, den wir zielstrebig verfolgen.
Wie steht es um das Projekt SZU_4.0 und wie sieht genau der Zeitplan aus? Auf wann wird z.B. der 7,5/15-Minuten-Takt auf der S4 umgesetzt, per Ende 2028 oder Ende 2029? Gibt es Verzögerungen?
Wir sind grundsätzlich auf Kurs. Jedoch ist das eine oder das andere Vorhaben verzögert. Die Prozesse zur Plangenehmigung oder Finanzierung sind teilweise komplex und mit vielen Abhängigkeiten verbunden. Wie es derzeit aussieht, wird der 7,5/15-Minuten-Takt in den Jahren 2030 bis 2032 verwirklicht werden können.
Wann kommt die Taktverdichtung auf der S10?
Zum selben Zeitpunkt wie derjenige auf der S4.
Die SZU beschafft neue Züge für die S4. Sind bereits Angebote eingegangen? Wurde bereits ein Entscheid gefällt?
Potenzielle Anbieter haben die Möglichkeit, ihre Angebote bis Ende November 2023 einzureichen. Vor Ablauf dieser Frist können wir keine Angaben zu Angeboten und Anbietern machen. Nach Ablauf dieser Frist werden wir prüfen, welches der eingegangenen Angebote die gestellten Anforderungen bestmöglich erfüllt. Der aktuelle Projektplan sieht vor, dass die Vergabe im ersten Halbjahr 2024 erfolgt, so dass die ersten Züge ab Frühjahr 2027 eingesetzt werden können.
Warum verabschiedet sich die SZU von den Doppelstockwagen?
Untersuchungen haben gezeigt, dass einstöckige Züge auf dem SZU-Streckennetz mit den kurzen Haltestellenabständen ein schnelleres Ein- und Aussteigen ermöglichen. Dies ist ein sehr wichtiger Aspekt für einen effizienten und pünktlichen Betrieb. Zudem sind die Distanzen zwischen den einzelnen Stationen auf dem Streckennetz der SZU gering, was zur Folge hat, dass sich die Passagiere durch die kurze Fahrt häufig gar keinen Platz im oberen Stock suchen. Die Strecke ins Sihltal hat eigentlich mehr den Charakter einer Metro. Darüber hinaus bekommen wir immer wieder positive Rückmeldungen von Kunden, wenn einmal ein einstöckiges Fahrzeug der Uetlibergbahn S10 im Sihltal eingesetzt wurde.
In den Fahrplanverfahren tauchen einige Wünsche seit Jahren immer wieder in grosser Zahl auf. Einer ist eine Taktverdichtung auch in den Nebenverkehrszeiten. Die SZU lehnt dies immer ab. Bleibt es bei dieser Haltung?
Ja. Die heutigen Kapazitäten während der Nebenverkehrszeit im 20-Minuten-Takt sind ausreichend, weshalb keine Taktverdichtung vorgesehen ist. Auch künftig wird zwischen der Hauptverkehrszeit und der Nebenverkehrszeit in einem unterschiedlichen Takt gefahren: 15’-Grundtakt und 7.5’ während den Hauptverkehrszeiten.
Für Bewohnende von Leimbach oder Manegg ist die SZU das primäre Verkehrsmittel, aber der 20-Minuten-Takt entspricht nicht dem übrigen städtischen Angebotsniveau. Können Sie den Ärger darüber verstehen?
In Zusammenarbeit mit dem Besteller ZVV analysiert die SZU das Angebot und die Frequenzzahlen regelmässig. Während der Hauptverkehrszeiten zwischen sechs und 9 Uhr am Morgen sowie 16.00 und 19.30 Uhr am Abend verkehren die S-Bahnen der SZU auf den Abschnitten Langnau-Gattikon–Zürich HB und Zürich Triemli–Zürich HB in einem 10-Minuten-Takt. Im Rahmen des Modernisierungsprogramms SZU_4.0 wird unter anderem auch der Takt zwischen Adliswil und Zürich HB während der Hauptverkehrszeit auf einen 7,5-Minunten-Takt und ausserhalb der Hauptverkehrszeit auf einen 15-Minuten-Takt verdichtet. Mit dieser Angebotssteigerung reagiert die SZU auf dieses Bedürfnis.
Im städtischen Gebiet verkehren in der Tat viele Tram- und Buslinien im 7.5’-Takt. Sie finden aber keine S-Bahnlinie mit solch einem engen Takt. Vor diesem Hintergrund sind wir überzeugt, dass eine sehr schnelle und komfortable Verbindung in die Innenstadt spätestens mit dem 7.5’/15’-Takt als attraktiv bezeichnet werden darf.
Ebenfalls oft gewünscht wird eine frühere Abfahrt der S4, um Anschluss an den ersten IC Richtung Bern herzustellen, den es von verschiedenen S-Bahn- und Tramlinien schon gibt. Lässt sich dies irgendwann realisieren?
Die frühere Abfahrt der ersten S4 Richtung Zürich wurde bei Begehren bereits mehrfach genannt. Heute verkehrt die erste S4 bereits zehn Minuten vor der eigentlichen Taktzeit, womit sie Anschlüsse an zahlreiche erste Fernverkehrszüge ab Zürich HB ermöglicht, u.a. auf die Züge nach Basel, St. Gallen oder Luzern. Um den ersten Zug in Zürich HB um 5.19 Uhr zu erreichen, müsste unser erster Zug noch einmal 20 Minuten früher verkehren. Dies würde unser Unterhaltsfenster erheblich verkürzen, weshalb dieses Begehren nicht umgesetzt wird.
Auch eine Ausdehnung der Betriebszeiten wird oft gewünscht. Tatsächlich verkehrt die letzte S4 um 00.18, die letzte S10 um 00.15 Uhr ab HB, was ein deutlich früherer Betriebsschluss ist als auf anderen städtischen Achsen. Ist die Nachfrage am Abend so klein?
Von Sonntag bis Donnerstag sind dies effektiv die letzten Verbindungen. In den Nächten von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag verkehrt die SZU durchgehend, analog dem übrigen Nachtangebot im ZVV.
Die SZU argumentiert in ihrer Ablehnung jeweils mit Unterhaltsfenstern. Auf anderen S-Bahn-Strecken sind diese aber kürzer. Weshalb?
Aktuell besteht bei der SZU ein Unterhaltsfenster in der Nacht von 1 bis 5 Uhr. Um die Einschränkungen für unsere Kunden möglichst gering zu halten, führen wir einen Grossteil der Unterhaltsarbeiten in diesen vier Stunden durch. Eine Kürzung dieser Unterhaltsfenster könnte den Unterhalt während den Betriebszeiten nötig machen, was einen ungleich grösseren Einfluss auf unsere Reisenden haben könnte.
Bald wird auch der Tiefbahnhof der SZU im HB erneuert. Aus Sicherheitsgründen sollen die S4 und die S10 jeweils gestaffelt einfahren. Lässt sich dies bewerkstelligen, ohne die Stabilität zu beeinträchtigen?
Um den Sicherheitsvorgaben im Bereich Zürich HB gerecht zu werden, wird die Infrastruktur in den kommenden Jahren modernisiert. Gestaffelte Ein- und Ausfahrten sind in Zürich HB möglich, ohne dass dies einen Einfluss auf die Fahrplanstabilität haben wird. Unter anderem werden die Halteorte der S4 und der S10 zukünftig versetzt am Perron sein, damit die Kundenflüsse möglichst effizient funktionieren. Die gestaffelten Ein- und Ausfahrten sorgen zudem dafür, dass sich nicht zu viele Personen gleichzeitig auf dem Perron aufhalten. Ebenfalls im Projekt Ausbau Zürich HB SZU inkludiert ist ein dritter Auf- und Abgang zum Gleis 21 und 22, der auf der Seite Limmat gebaut wird.
Zu reden gab zuletzt die freihändige Vergabe eines Stellwerk-Auftrags an die Firma Siemens. Dieser muss nun offiziell ausgeschrieben werden. Wie kam es dazu?
Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass das Vorgehen der SZU rechtens war und sich auf die Submissionsverordnung des Kantons Zürich stützt. Für ein kundenorientiertes und effizientes Leiten des Bahnbetriebs mit den zahlreichen Bauphasen in den nächsten Jahren sowie für den angestrebten 7.5-Minuten-Takt benötigt die SZU ein zeitgemässes Leitsystem. Das für interoperable Bahnen schweizweit genutzte System heisst ILTIS und wird nur von Siemens zur Verfügung gestellt. Dieses System muss freihändig vergeben werden. Damit das Leitsystem eingeführt werden kann, benötigt es eine Modernisierung der bestehenden Stellwerke. Zur Reduktion der Komplexität und zur Beschleunigung der Einführung hat die SZU diese Arbeiten ebenfalls mit vergeben. Dieser Teil wurde angefochten und die SZU ist aktuell daran, diese notwendigen Arbeiten separat öffentlich auszuschreiben.
Wie ist der aktuelle Stand? Welche Verzögerungen sind daraus entstanden?
Als nächsten Schritt bereiten wir die Submission vor und prüfen die Auswirkungen auf die Inbetriebsetzungstermine durch den zeitlichen Verzug.
Auch die Fahrleitungskreuzung mit der VBZ bei der Station Friesenberg sorgte für Diskussionen. Nun funktioniert sie offenbar immer noch nicht richtig. Warum?
Das Kreuzungssystem wurde eigens für die Friesenbergkreuzung entwickelt. Entsprechend konnten weder wir noch die VBZ oder unsere Lieferanten auf Erfahrungen zurückgreifen bei der Entwicklung. Leider zeigten sich bereits bei der Inbetriebnahme funktionale Mängel. Konkret zeigen sich Probleme an der Schnittstelle zwischen der Fahrleitung und den Stromabnehmern der Züge, was zu unerwünschter Funkenbildung führt. Trotz monatelanger intensiver Bemühungen gestaltet sich die Behebung der Schwierigkeiten als äusserst komplex und wenig vielversprechend.
Welche Ersatzlösungen gibt es respektive welche plant die SZU?
Derzeit senken die Züge ihre Stromabnehmer vor der Kreuzung und fahren stromlos und mit Schwung darüber, derweil die Trolleybusse «normal» mit Stromabnehmer die Kreuzung passieren. Diese Übergangslösung ist sicher und betrieblich machbar. Allerdings funktioniert sie nicht mehr, wenn die Haltestelle Zürich Friesenberg demnächst nach unterhalb der Friesenbergstrasse verlegt wird und die Züge die Strasse aus dem Stilstand passieren müssen. Zurzeit suchen die SZU und die VBZ, in Absprache mit dem ZVV und dem BAV, gemeinsam nach technischen Alternativen. Das erklärte Ziel besteht darin, bis Mitte 2024 eine Lösung zu erarbeiten, die es ermöglicht, dass die SZU das aufwändige Kreuzungssystem Ende 2026 abbauen und danach die geplante neue Haltestelle und den damit verbundenen Doppelspurabschnitt realisieren und in Betrieb nehmen kann.
Wäre es aus ihrer Sicht besser gewesen, wenn die VBZ an dieser Stelle auf den Batteriebetrieb ihrer Trolleybusse gesetzt hätte und man sich diese Konstruktion hätte sparen können?
Die SZU, die VBZ und der ZVV hatten sich damals gemeinsam für die Lösung Kreuzungssystem entschieden. Ich bin überzeugt, dass sämtliche Optionen gründlich geprüft und die Entscheidung verantwortungsvoll getroffen wurde.
Was halten Sie von der Führung von Zügen einerseits über den Sihlwald hinaus Richtung Sihlbrugg/Zug und andererseits nach Wiedikon?
Im Zuge der Konzeptionierung des 7.5’-Takts wurde geprüft ob die SZU via Wiedikon mit einer anderen S-Bahnlinie verknüpft werden kann. Aufgrund fehlender freier Trassen ab Wiedikon ist dies nicht möglich. In Richtung Zug gibt es immer wieder politische Vorstösse. Kürzlich hat der Regierungsrat einen kantonsrätliche Anfrage dahingehend beantwortet, dass die Nachfrage als deutlich zu klein eingeschätzt wird.
Was halten Sie von der Idee der Weiterführung der SZU unter das Hochschulgebiet und die ETH Hönggerberg?
Neuste Studien zeigen, dass die dafür erforderliche Nachfrage zu gering ist. Der Kantonsrat hat entsprechende Postulate letztes Jahr abgelehnt.
Welches sind die grössten Herausforderungen für die SZU?
In den nächsten Jahren steht die Umsetzung unseres Modernisierungsprogramms im Zentrum. Dabei ist die Kombination der Abhängigkeiten der diversen Projekte und das Bauen unter Betrieb in einen dichtbesiedelten urbanen Raum die grösste Herausforderung.
Wie bewegen Sie sich selbst fort?
Ich pendle mit dem öffentlichen Verkehr. In der Freizeit nutze ich, wenn sinnvoll, auch mal das Auto. Am liebsten bin ich aber mit dem Mountainbike unterwegs, um die Natur zu geniessen und Energie zu tanken.
Schreiben Sie einen Kommentar