Die Verkehrsbetriebe kühlen ihre Fahrzeuge im Sommer nur noch um wenige Grad – darunter leidet das Wohlbefinden der Kundschaft 🆓

Gut möglich, dass es ihnen zu heiss ist. Bild: Elizabeth Jamieson/Unsplash


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Viele Verkehrsbetriebe und die SBB kühlen ihre Fahrzeuge im Sommer selbst bei Temperaturen über 30 Grad nur noch etwas herunter. Im Winter wiederum heizen sie die Züge, Trams und Busse weniger. Doch was halten die Passagiere von diesen Massnahmen zum Energiesparen? Eine neue Studie zeigt: Einem grossen Teil ist es im Sommer zu warm im ÖV.

von Stefan Ehrbar
11. Juli 2023

Im Auto ist die Sache klar: Hier stellen die meisten Menschen die Klimaanlage im Sommer auf eine Temperatur zwischen 18 und 24 Grad Celsius. Im öffentlichen Verkehr allerdings gibt es diese Möglichkeit nicht – und die Klima-Regelung sorgt immer wieder für Ärger. Besonders, seit die meisten Verkehrsbetriebe ihre Geräte im Sommer nicht mehr auf einen fixen Wert herunterkühlen, sondern versuchen, lediglich einige Grad Unterschied zur Aussentemperatur beizubehalten.


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Im Jahr 2020 liess die SBB durchblicken, dass der damals heisse Sommer in Kombination mit der Regelung für viele Reklamationen sorgte. «Dass die SBB nur fünf Grad unter die Aussentemperatur kühlen will, ist total lächerlich», liess sich Andreas Theiler von der Berner Sektion von Pro Bahn damals gegenüber «20 Minuten» zitieren.

Die Bahn erklärt ihre Regeln in einem eigenen Beitrag wie folgt: «Die Klimageräte sind so programmiert, dass die Innentemperatur an Hitzetagen mit über 30 Grad Celsius Aussentemperatur zwischen fünf und zehn Grad unter der Aussentemperatur liegt.» Das entspreche den europäischen Normen, an denen sich auch ausländische Bahnen orientieren. «Wird die Luft im Wagen dennoch als zu heiss oder zu kalt empfunden, kann das Zugpersonal die Temperatur manuell um bis zu zwei Grad nach oben oder unten korrigieren.»


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Ähnlich halten es auch viele andere Verkehrsbetriebe. Die Regelung kann aber im Extremfall bedeuten, dass es in den Fahrzeugen des öffentlichen Verkehr bis zu 30 Grad warm wird, schliesslich kommen Temperaturen von 35 Grad mittlerweile auch hierzulande mit einer gewissen Regelmässigkeit vor. Doch auch bei Temperaturen von 27 oder 28 Grad im Innenraum stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich einem Kundenbedürfnis entspricht – und wie komfortabel dies insbesondere auf längeren Strecken für ältere Menschen oder Schwangere ist.

Mit der geringen Kühlung soll nicht zuletzt Energie gespart werden. Ebenfalls zum Zweck des Energiesparens heizen viele Verkehrsbetriebe ihre Fahrzeuge im Winter nur noch auf 16 bis 19 Grad. Doch wie das die Kundschaft sieht, und welche Temperaturen sie als unangenehm empfindet, wusste die Branche bisher nicht. Eine Arbeit von drei Mitarbeitenden der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) gibt nun erste Antworten auf diese Fragen. Eine Begleitgruppe bestehend aus Experten der Fachhochschule Nordwestschweiz, der Lucerne School of Engineering and Architecture und des Bundesamt für Verkehr (BAV) hat die Arbeit mit betreut.

Zwischen Februar 2021 und März 2022 haben die VBZ getestet, wie unterschiedliche Temperaturen bei der Kundschaft aufgenommen werden und wie viel Energie sich damit einsparen lässt.

Die Tests wurden in 30 Cobra-Trams durchgeführt. In den Trams wurden QR-Codes aufgehängt, die zu einer Online-Umfrage führten, bei der die Kundschaft angeben konnte, wie angenehm sie die Temperatur im Tram empfindet.

Im Winter wurde ein niedrigster Wert von einer Temperatur von 16 Grad im Innenraum getestet. Die Kundenbefragung habe keine Hinweise darauf gegeben, dass Fahrgäste diese kühlere Temperatur negativ bewerten würden, heisst es in der Arbeit – auch wenn die Befragung nicht repräsentativ war. Mit diesen Einstellungen liessen sich über die gesamte Cobra-Tramflotte mit 88 Fahrzeugen Einsparungen von 1,3 GWh pro Jahr erzielen. Die VBZ haben die Einstellungen bereits implementiert und heizen im Winter nur noch auf 16 Grad statt zuvor 18 Grad.

Etwas anders sieht es bei den verschiedenen Kühlstufen aus, die im Sommer getestet wurden. Die drei getesteten Kühlstufen sind zwar etwas verwirrend nach Temperaturwerten benannt (20, 22 und 24 Grad Celsius); dies entspricht aber nicht der Temperatur, die bei der jeweiligen Kühlstufe erreicht wird. Viel mehr folgt diese einer mehr oder weniger steilen Kühlkurve.

Bei unter 20 Grad Celsius Aussentemperatur beträgt die Innentemperatur bei allen Kühlkurven 23 Grad. Danach unterscheiden sie sich, allerdings nicht allzu stark: Wird die Kühlkurve «20 Grad» gewählt, wird der Innenraum bei einer Temperatur von 25 Grad draussen beispielsweise drinnen auf gut 24 Grad reguliert, während bei der Kühlkurve «24 Grad» dann Temperaturen von über 25 Grad im Innenraum erzielt werden sollen. Allen Kühlkurven gemein ist, dass die Temperatur im Innenraum 28 Grad Celsius nicht übersteigen soll. Nicht untersucht wurden «aggressivere» Kühlkurven, die den Innenraum deutlich stärker kühlen.

Die mögliche Einsparung durch weniger starke Kühlstufen im Sommer ist viel kleiner als jene, die sich mit tieferen Temperaturen im Winter erzielen lässt: Wird die Kühlstufe «24 Grad» statt der Stufe «20 Grad» gewählt, lassen sich über die ganze Cobra-Flotte gerade einmal 187 MWh Energie einsparen – also etwa ein Siebtel der möglichen Einsparungen, die im Winter dank einer Temperatur von 16 statt 18 Grad möglich sind.

Weniger eindeutig sind auch die Resultate der Befragungen. Im Winter (1.1. bis 28.2.2022) empfanden nur 22,83 Prozent der Teilnehmenden an der Umfrage eine Temperatur von 16 Grad als zu kalt. Fast zwei Drittel (65,35%) empfanden sie als angenehm, 11,81 Prozent als zu warm. Zum Vergleich: Eine Temperatur von 20 Grad Celsius wurde von 27,98 Prozent als zu warm empfunden, von knapp 60 Prozent als angenehm und von 12,44 Prozent als zu kalt. Eine Temperatur von 16 Grad wird im Winter im Tram also von mehr Menschen als angenehm empfunden als eine von 20 Grad. Gleichzeitig hat sich bei dieser Einstellung allerdings auch der Anteil jener fast verdoppelt, denen es zu kalt ist. Das sind in diesem Fall knapp ein Viertel der Umfrageteilnehmenden.

Im Sommer hingegen sind die Werte der Unzufriedenen deutlich höher. Mehr als jeder dritte Umfrageteilnehmende (35,39%) im Zeitraum vom 1.7. bis 31.8.2022 empfand die Temperatur mit der Kühlstufe «24 Grad» als zu warm. Bereits bei den Kühlstufen «20 Grad» und «22 Grad» lag dieser Anteil bei über 27 Prozent. 

Zu erwähnen ist, dass diese Werte sich auf den ganzen Zeitraum beziehen. Es ist deshalb nicht möglich zu interpretieren, wie die bis zu 28 Grad Celsius im Innenraum an sehr heissen Tagen empfunden werden. Logisch lässt sich nur herleiten, dass dieser Anteil bei über 35 Prozent liegt, da dies dem Durchschnittswert entspricht, der auch kühlere Sommertage berücksichtigt.

In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass nicht nur die Temperatur, sondern auch die Luftfeuchtigkeit und die Frischluftzufuhr eine entscheidende Rolle spielen bei der Frage, wie angenehm Temperaturen empfunden werden. Als Fazit lässt sich feststellen:

  • Passagiere empfinden warme Trams im Sommer als unangenehmer als kalte Trams im Winter.
  • Die momentan etwa bei den VBZ gewählte Kühlstufe im Sommer ist mehr als jedem dritten Passagier zu warm – und zwar über einen ganzen Sommer und alle Tages- und Nachtzeiten hinweg. An extrem heissen Tagen dürfte dieser Wert deutlich höher liegen.
  • Das Energiesparpotenzial ist im Winter deutlich höher als im Sommer.
  • Recht machen kann man es niemandem: In jedem Szenario gibt es noch Menschen, denen es im Winter zu warm und im Sommer zu kalt ist.

Der gesamte Schlussbericht findet sich als PDF-Datei auf bav.admin.ch (externer Link).



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2 Kommentare

  1. Mir fehlt hier eine Aussage zur Gesundheit. Dass man es oft als angenehm empfindet, wenn man bei 34 Grad Aussentemperatur im Tram mit 22 Grad fahren kann, ist klar. Aber solch starke Temperaturwechsel sind nun mal ungesund.

    • Das wäre eine interessante Weiterung, danke für den Input! Meines Wissens sind Klimaanlagen nicht per se ungesund. Problematisch ist ein sehr kühles Fahrzeug wohl für einige, weil man zunächst weiter schwitzt und es zu einer Unterkühlung kommen kann. Andererseits haben Klimaanlagen in der Regel einen positiven Effekt auf die Luftfeuchtigkeit. Gerade für Schwangere und ältere Personen können zu hohe Temperaturen gefährlich werden und erhöhen das Sterberisiko. Insofern ist eine Begrenzung nach oben (z.B. bei 28 Grad Celsius) wohl eine sinnvolle Massnahme. Gleichzeitig ist das Problem des Temperaturwechsels im Fernverkehr weniger akut als im Regionalverkehr, womit dort m.E. eine stärkere Kühlung angebracht wäre.

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