
Das Ausbauprogramm 2035 des Bahnverkehrs führt zu Baustellen an allen Ecken und Enden. Ab 2028 muss deshalb auf vielen Hauptstrecken mit Einschränkungen gerechnet werden, wie die neueste Planung der SBB zeigt. Ob die Ausbauten allerdings rechtzeitig fertig werden, ist alles andere als sicher.
von Stefan Ehrbar
3. Juli 2023
Fast 13 Milliarden Franken werden im Rahmen des Ausbauschrittes 2035 in das Schweizer Bahnnetz investiert. Zu den grösseren Projekten gehören etwa der Brüttener Tunnel zwischen Zürich und Winterthur, der Zimmerberg-Basistunnel II oder das vierte Gleis im Bahnhof Zürich-Stadelhofen.
Der Ausbauschritt hat zur Folge, dass das Schweizer Schienennetz mit einer bisher ungekannten Zahl an Baustellen konfrontiert wird – zu viel sogar. Es drohen jahrelange Verzögerungen, weil die Bauarbeiten und ein stabiler Betrieb gleichzeitig nicht abgewickelt werden können.
Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat Ende 2022 bereits mitgeteilt, dass beim Ausbau der Bahninfrastruktur eine Konsolidierungsphase nötig sei. Die Baustellen-Dichte lasse bis mindestens 2033 keine zusätzlichen Arbeiten auf dem Netz mehr zu. «Ausgedünnte Baustellenfahrpläne bzw. Verspätungen wegen knappen Kapazitäten würden den Reisekomfort für die Passagiere zu stark beeinträchtigen», so das BAV.
Zudem hat das BAV gewarnt, dass der Ausbauschritt 2035 möglicherweise noch nicht im namensgebenden Jahr 2035 abgeschlossen sein könnte. Wie viel Verzögerung tatsächlich entsteht, darüber herrscht allerdings noch Uneinigkeit, wie Mobimag herausgefunden hat.
Klar ist hingegen, dass es bereits ab 2028 auf verschiedenen wichtigen Bahnstrecken zu Einschränkungen kommen wird. Mobimag liegt die Liste der betroffenen Streckenabschnitte vor. Sie ist abgebildet in den sogenannten Netznutzungsplänen, welche die SBB für das Schweizer Schienennetz erstellt.
In den NNP wird laut BAV die Trassensicherung bezogen auf die einzelnen Fahrplanjahre detailliert festgelegt. Sie sind für Infrastrukturbetreiber und Behörden verbindlich. Minutenangaben, Anschlüsse und Durchbindungen sind aber nicht verbindlich.
Bis und mit 2027 sollte das Angebot noch einigermassen fahrbar sein – mit Ausnahme der Westschweiz, wo schon ab 2025 der Fahrplan angepasst werden muss.
Doch in den NNP für die Jahre 2028 und 2029 sind auf den meisten Hauptstrecken der Schweiz grössere Kapazitätseinschränkungen vermerkt. Auf Strecken wie Zürich-St. Gallen, Zürich-Bern oder Bern-Lausanne kommt es schon 2028 zu ganzjährigen Kapazitätsabsenkungen. Das kann laut SBB bedeuten, dass das Angebot ausgedünnt und Takte reduziert werden müssen, dass die Haltepolitik im Fern- und Regionalverkehr geändert werden muss oder dass sich die Transport- und Reiseketten verändern. Für 2028 sind auch in Knoten wie Zürich Stadelhofen, Bern und St. Gallen Kapazitätsabsenkungen geplant.
Im Jahr 2029 sind dann zwar keine Kapazitätsabsenkungen mehr geplant etwa in Zürich-Stadelhofen und Weinfelden, dafür in Rotkreuz oder Zofingen und auf Strecken wie Basel-Biel und Zürich-Brugg-Basel.
Diese Einschränkungen bedeuten, dass das in den NNP hinterlegte Angebot für die Jahre ab 2028 nicht wird gefahren werden können. Wo genau Abstriche gemacht werden müssen, ist aber noch nicht klar. «Zur Ermöglichung des AK35 sind zahlreiche (Aus-)Bautätigkeiten notwendig», sagt SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg.
Fährt der IC1 bald nach Chur? In den NNP ab 2025 ist eine Durchbindung der IC1 von St. Gallen weiter nach Sargans und Chur eingetragen. Umgesetzt werden dürfte diese aber nicht. «Der Halbstundentakt im Rheintal wird generell mit dem REX (Regionalexpress) sichergestellt», sagt SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg. «Der in St. Gallen durchgebundene Zug ist der zweite REX (St.Gallen–Sargans–Chur). Gemäss NNP 25 endet der IC1 in St. Gallen und uns sind keine Planungen oder Überlegungen zur Verlängerung der IC1 nach Chur bekannt. Im Angebotskonzept 2035 (AK35) (Stand März 2020) fährt der IC1 von Bern ins Thurgau und flügelt in Weinfelden.» |
Dass das Angebot des STEP 2035 auch schon 2035 bereitsteht, bezweifeln mittlerweile selbst offizielle Stellen. Die Regionalkonferenz Bern-Mittelland hat im Januar 2023 etwa eine Studie zu einer neuen Buslinie veröffentlicht, in der sie auf eine Umsetzung des Angebotskonzept 2035 im Raum Bern etwa um das Jahr 2040 verweist.
Beim BAV heisst es dazu, man habe mehrfach mitgeteilt, dass es bis zur Umsetzung des AS 2035 bis 2040 dauern könne. «Unter Betrachtung der Risiken erachtet die SBB den Abschluss des Ausbauschrittes bis 2035 als nicht realistisch. Für das Gesamtprogramm und das damit verbundene Angebotskonzept zeichnet sich eine Verzögerung um drei bis fünf Jahre ab», heisst es im aktuellen Vernehmlassungsbericht zum Stand der Ausbauschritte. Wann das Angebotskonzept in den einzelnen Regionen umgesetzt werden kann, sei Gegenstand derzeit laufender Arbeiten, heisst es beim BAV.
Immerhin: Der Kanton Bern geht weiterhin davon aus, dass die Arbeiten rund um Bern im Idealfall 2035 abgeschlossen sein könnten. Auch bei den besonders für Zürich und die Ostschweiz relevanten Projekten wie Zimmerberg-Basistunnel II, Brüttener Tunnel und viertes Gleis Stadelhofen ist 2035 als Datum noch nicht aus dem Rennen. «Bei einem Projektverlauf ohne Beschwerdeverfahren ist eine Inbetriebnahme der Infrastrukturausbauten der Projekte Mehrspur Zürich–Winterthur, Ausbau Zürich Stadelhofen und Zimmerberg-Basistunnel 2 und des damit verknüpften Angebotes ab Mitte der 2030er-Jahre möglich», sagt SBB-Sprecherin Schellenberg. Der ZVV wiederum teilt mit, allenfalls wäre eine gestaffelte Einführung des Angebots denkbar. Planungen dazu gebe es aber noch nicht.
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