Kantone wehren sich gegen Senkung der Trassenpreise – einer stellt sogar den eigenwirtschaftlichen Fernverkehr in Frage

Die geplante Trassenpreissenkung für die SBB stösst auf Kritik. Bild: SBB

Die SBB leidet unter den Nachwirkungen der Coronakrise. Der Bundesrat will deshalb das SBB-Gesetz revidieren und unter anderem die Trassenpreise für den Fernverkehr senken. Dagegen regt sich Widerstand in den Kantonen, wie eine Auswertung von Mobimag zeigt. Sie fordern von der Bahn, wirtschaftlicher zu werden.

von Stefan Ehrbar
8. Mai 2023

Die Coronakrise hat während fast drei Jahren für deutliche Einbrüche bei den Passagierzahlen der SBB geführt. Insbesondere der Fernverkehr, den die Bahn eigenwirtschaftlich betreiben muss, fuhr hohe Verluste ein. Zudem ist die Verschuldung der Bahn in dieser Zeit deutlich gestiegen. Deshalb will der Bundesrat der SBB nun unter die Arme greifen.

Er hat eine Änderung des SBB-Gesetzes ausgearbeitet und in die Vernehmlassung geschickt. Er will einerseits der SBB einen einmaligen Kapitalzuschuss in der Höhe von maximal 1,25 Milliarden Franken zukommen lassen. Das entspricht in etwa der Höhe der im Fernverkehr erlittenen Verluste zwischen 2020 und 2022.

Zudem soll die Finanzierung neu geregelt werden. Ab einem bestimmten Verschuldungsniveau soll der Bund der SBB nur noch Darlehen aus dem Bundeshaushalt gewähren dürfen statt Tresoriedarlehen, die nicht der Schuldenbremse unterstehen. So kann das Parlament mitreden.

Weiter will der Bundesrat das Schwerverkehrsabgabegesetz ändern. Zwei Drittel des Reinertrags dieser Abgabe, die in Form der LSVA etwa von Lastwagen erhoben wird, stehen dem Bund zur Verfügung. Dieser Anteil soll so lange in den Bahninfrastrukturfonds (BIF) eingelegt werden, mit dem der Ausbau und der Unterhalt der Bahninfrastruktur finanziert werden, bis dessen Reserven ein Niveau von mindestens 300 Millionen Franken erreicht haben.

Als letzte Massnahme will der Bundesrat zudem den Trassenpreis senken, über den der BIF ebenfalls gefüllt wird. So soll die Rentabilität im Fernverkehr erhöht werden. Der Bundesrat verspricht zwar, diese zusätzliche Belastung für den BIF auszugleichen. Doch die Kantone glauben dies nicht wirklich.  Das zeigt eine Analyse ausgewählter Antworten in der Vernehmlassung durch Mobimag.

Die Konferenz der kantonalen Direktoren des öffentlichen Verkehrs (KöV) lehnt die Senkung rundweg ab. Der BIF sei für die Finanzierung der Bahninfrastruktur geschaffen worden, nicht für eine Quersubventionierung des eigenwirtschaftlichen Fernverkehrs, schreibt sie. Die meisten Unternehmen des ÖV hätten sich wegen der Coronapandemie verschulden müssen. Wenn nur die SBB die Möglichkeit für einen Schuldenabbau über die Senkung des Deckungsbeitrags erhalte, sei dies eine ungerechtfertigte Sonderbehandlung. Zudem habe sich die Nachfrage im ÖV zuletzt weitgehend erholt. Eine «voreilige» Senkung der Trassenpreise sei deshalb nicht zielführend. Zudem sehen die kantonalen ÖV-Chefs nicht ein, warum die Sparvorgaben für die SBB, die ursprünglich 80 Millionen Franken pro Jahr einsparen sollte, nun ersatzlos gestrichen wurde. Sie seien nach wie vor der Ansicht, dass die Bahn einen Beitrag an die eigene Entschuldung leisten solle, heisst es in ihrem Schreiben.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der Kanton Zürich. Es sei zwar zu begrüssen, wenn der Bund seine Rolle als Eigner der SBB ernst nehme und deren steigende Nettoverschuldung angehe sowie die Liquidität des BIF sicherstelle. Der Kapitalzuschuss und die Beschränkung der Tresoriedarlehen seien nicht zu beanstanden. «Problematisch bzw. ungenügend sind dagegen die Massnahmen, welche die zukünftige Entwicklung der Nettoverschuldung betreffen. Einerseits werden keine Massnahmen zur Verbesserung von Effektivität (Abstimmung von Angebot und Nachfrage) und Effizienz (wirtschaftliche Erbringung) ergriffen», schreibt der Kanton. «Anderseits ist die Senkung des Trassenpreises für den Fernverkehr zulasten der im BIF verfügbaren Mittel für den Unterhalt und Ausbau des Eisenbahnnetzes fragwürdig.»

Trassenpreise, so der Kanton Zürich, sollten sich grundsätzlich nicht nach der finanziellen Situation der Transportunternehmen richten, sondern die nachhaltige Finanzierung der Infrastruktur gewährleisten. «Zudem scheint die Senkung des Trassenpreises zur Erhöhung der Rentabilität des Fernverkehrs der SBB auch nicht notwendig. Vor der Coronapandemie konnte der Fernverkehr jährliche Gewinne erwirtschaften. In Anbetracht der Erholung der Nachfrage im öffentlichen Verkehr, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2022, dürfte der Fernverkehr die Gewinnschwelle auch mit dem bestehenden Trassenpreise innert nützlicher Frist wieder erreichen.» Der Kanton Zürich beantragt deshalb, auf die Senkung der Trassenpreise für den Fernverkehr zu verzichten. Und er stellt eine weitere Forderung an den Bundesrat auf: «Die SBB seien anzuhalten, Massnahmen zur Verbesserung der Effektivität (Abstimmung von Angebot und Nachfrage) und Effizienz (wirtschaftliche Erbringung) des Angebots aufzuzeigen und in Abstimmung mit dem durch Bund und Kantone bestellten Regionalverkehrsangebot umzusetzen».

Ähnlich äussert sich der Kanton Basel-Stadt. «Der Regierungsrat lehnt die vorgeschlagene Reduktion des Trassenpreises ab, den die Sparte Fernverkehr an die ungedeckten Kosten für den Substanzerhalt der Eisenbahninfrastruktur leisten soll», schreibt er. Die Reduktion würde sich «unter Umständen direkt nachteilig auf den BIF auswirken, indem weniger Mittel für die beschlossenen Ausbauschritte 2025 und 2035 der Eisenbahninfrastruktur zur Verfügung stünden.»  Ähnlich äussert sich der Kanton Luzern.

Für nachvollziehbar hält hingegen der Kanton St. Gallen die Trassenpreisreduktion, auch wenn noch nicht klar sei, ob diese nur für die SBB oder auch für andere Unternehmen im Personen- und Güterverkehr gelte. «Falls diese für alle gilt, müssten die weiteren Auswirkungen auf den BIF dargelegt werden, damit verbundene finanzielle Risiken für den Fonds abgeschätzt werden können.» Auch der Kanton St. Gallen stellt Bedingungen: «Die Gesetzesänderung der SBB darf nicht zu Lasten des BIF gehen und die planungsgemässe Durchführung der beschlossenen Ausbauschritte im öffentlichen Verkehr dürfen nicht gefährdet werden. Sollten die Erträge aus der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) nicht ausreichen, um die Mindereinnahmen im BIF vollständig zu decken, muss der Bund die fehlenden finanziellen Mittel bereitstellen», schreibt er.

Nicht grundsätzlich gegen eine Trassenpreissenkung ist der Kanton Aargau. Er stimmt ihr unter der Bedingung zu, dass der Bundesrat die planungsmässige Umsetzung der vom Parlament beschlossenen Ausbauschritte garantiert und sicherstellt, dass es künftig nicht zu Verzögerungen in der Umsetzung der Ausbauschritte kommt aufgrund der Liquidität des BIF. «Andernfalls sind die fehlenden Mittel mit zusätzlichen Einlagen des Bundes sicherzustellen», so der Kanton Aargau.

Zudem müsse der Bund sicherstellen, dass die Bahn trotz des Kapitalzuschusses Produktivitätssteigerungen realisiere und die im Regionalverkehr versprochenen Einsparungen einhalte.  «Die starken Kostensteigerungen der Betriebskosten in den letzten Jahren müssen gestoppt werden können, damit das Angebot weiterhin finanzierbar bleibt», so der Aargauer Regierungsrat.

Der Kanton geht aber noch weiter – und stellt das heutige System des Fernverkehrs in Frage, den die SBB auf eigene Rechnung betreiben und mit dem sie Gewinn erwirtschaften soll. «Grundsätzlich ist die Eigenwirtschaftlichkeit mit der Übernahme von finanziellen Risiken und Chancen verbunden. Bei einem Unternehmen, das sich in hundertprozentigem Besitz der öffentlichen Hand befindet, besteht die Gefahr, dass Risiken auf den Staatshaushalt abgewälzt werden. Dies ist insofern gerechtfertigt, wenn die Eigenwirtschaftlichkeit nicht mehr durch eigenes Handeln gewährleistet werden kann, sondern durch Vorgaben beeinträchtigt wird», heisst es in der Vernehmlassungsantwort.

Mit den bestehenden Planungsinstrumenten bestimme aber das Parlament, welches Angebot es wünsche und spreche die Kredite für die notwendigen Ausbauten, «dies in der Erwartung, dass die gewünschten und durch zusätzliche Infrastruktur ermöglichten Leistungen dann auch gefahren werden». Vor diesem Hintergrund stelle sich für den Kanton Aargau die Frage, «ob der eigenwirtschaftliche Fernverkehr noch gerechtfertigt ist». Denn: «Das zu fahrende Angebot wird mit den Ausbauschritten indirekt bestellt und – wie die vorliegende Gesetzesänderung zeigt – die Risiken werden durch die öffentliche Hand getragen. Somit besteht grundsätzlich kein Unterschied mehr zum bestellten regionalen Personenverkehr. Eine Zusammenführung der heute unterschiedlichen finanzierten Verkehrsarten würde viele finanzielle Schnittstellen bereinigen.»

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