Die Schweiz will das CO2-Gesetz nicht. Nun bringen sich die Akteure im Verkehrsbereich mit neuen Forderungen in Stellung. Mobimag hat bei den wichtigsten Firmen und Organisationen nachgefragt – und neben konkreten Ideen für ein neues Gesetz erfahren, welchen Einfluss das Volks-Nein auf die Nachtzüge und Elektrobusse hat.
von Stefan Ehrbar
16. Juni 2021
Wie geht es weiter mit dem Klimaschutz, nachdem 51,6 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung am Sonntag Nein gesagt haben zum CO2-Gesetz? Mobimag hat die wichtigsten Akteure zu ihren Forderungen und Ideen für eine künftige Gesetzesvorlage und den Konsequenzen des Volks-Nein befragt. Das sind ihre Antworten.
Auto-Schweiz: «Ideen für Klimafonds sind passé»
Christoph Wolnik, Sprecher der Importeursvereinigung Auto-Schweiz, glaubt, dass sein Verband nur einen kleinen Anteil am Nein hatte. «Die Auto-spezifischen Kritikpunkte von unserer Seite – etwa an der vorzeitigen Abschaffung des Phasing-ins der CO2-Ziele für Personenwagen oder der Verwendung der CO2-Sanktionen der Fahrzeugimporteure – waren so speziell und detailliert, dass wir diese im Abstimmungskampf nicht in die Waagschale geworfen haben», sagt er. Die Diskussion über die Treibstoff-Verteuerung um bis zu 12 Rappen pro Liter Benzin hingegen habe sicher einen Teil zur Ablehnung beigetragen. Die Stimmbevölkerung habe «klar zum Ausdruck gebracht, dass sie weitere künstliche Verteuerungen von Benzin und Diesel nicht goutiert». Und: «Die weitere Erhöhung des laut TCS höchsten Dieselpreises in Europa hätte sämtliche Waren verteuert, die auf der Strasse transportiert werden»..
Die CO2-Reduktionsziele für Fahrzeuge seien anerkannt, sagt Wolnik. «Die aktuell geltenden Zielwerte sind mit dem heutigen CO2-Gesetz ohne zeitliche Begrenzung gültig. Auch mit dem abgelehnten Gesetz wären diese bis und mit 2024 in Kraft geblieben. Es bleibt also genug Zeit, die von der EU vorgesehenen Reduktionsziele – beispielsweise minus 15 Prozent ab 2025 – in eine neue gesetzliche Regelung zu giessen. Wir gehen davon aus, dass die Schweiz auch künftig die CO2-Zielvorgaben von der EU übernimmt». Dieses Vorgehen sei «völlig unbestritten».
Bei einer neuen Gesetzesvorlage müsse die Förderung von Innovationen und CO2-ärmerer Technik im Mittelpunkt stehen. «Die Ideen für einen Klimafonds, der jährlich rund eine Milliarde Franken umverteilt, sollten nun endgültig passé sein», so Wolnik.
«Die Frage ist, welche Rahmenbedingungen die Schweiz zum Beispiel in punkto Lade- und Tankinfrastruktur für alternative Antriebe schaffen muss, damit diese Ziele überhaupt zu erreichen sind», sagt Wolnik. «Das abgelehnte Gesetz sah hier lediglich eine geringe Förderung von Ladestationen in Mehrparteienhäusern vor – viel zu wenig aus unserer Sicht. Auch die Förderung der Produktion synthetischer Treibstoffe sollte stärker in den Fokus rücken. So könnte der CO2-Ausstoss des Strassenverkehrs rasch gesenkt werden.»
SBB: «Bauen internationales Angebot weiter aus»
Die SBB hätte vom CO2-Gesetz insofern profitieren können, als dass sie für Nachtzüge Betriebsbeiträge aus dem Klimafonds erhalten hätte können. Laut Angaben einer SBB-Sprecherin hat der angedachte Ausbau des Nachtzug-Netzes auf zehn Linien einen Fehlbetrag von 30 Millionen Franken jährlich zur Folge, den die SBB decken muss. Das berichtete der «Tages-Anzeiger».
Vorerst geht der Ausbau weiter: Die auf Ende Jahr angekündigte tägliche neue Nachtzugverbindung von Zürich über Basel nach Amsterdam werde eingeführt, sagt SBB-Sprecher Reto Schärli auf Anfrage von Mobimag. Die Linie sei bereits konkret in Umsetzung.
Darüber hinaus analysiere die Bahn nun, was das Nein zum Gesetz für die Nachtzüge bedeute. «Der Klimafonds auf Basis des CO2-Gesetzes hätte die Finanzierung der nicht gedeckten betrieblichen Kosten von Nachtzügen ermöglicht. Das fällt jetzt weg», sagt er. Zur Finanzierung könne die Bahn noch nicht in die Details gehen.
Trotzdem gibt sich die SBB verhalten optimistisch. «Am Bekenntnis der SBB, das Angebot im internationalen Personenverkehr auszubauen, hat sich mit dem Nein zum CO2-Gesetz nichts geändert», sagt Schärli. «Die Nachfrage nach internationalen Bahnreisen für schnelle Tagesverbindungen und für Nachtzüge wird nach Ende der Corona-Krise wieder stark zunehmen, da sie klimafreundlich und ressourcenschonend sind. Wir wollen deshalb in Zusammenarbeit mit ÖBB, DB, SNCF und Trenitalia das Angebot weiter ausbauen». Das gelte für Tages- wie Nachtzüge.
Postauto: «Keine Auswirkung auf Ambitionen»
Postauto als Betreiberin der grössten Busflotte im Schweizer ÖV hätte vom CO2-Gesetz profitiert: Es sah einen zweckgebundenen Fonds zur Förderung von fossilfreien Bussen vor. Im Gegenzug sollte die Mineralölsteuer nicht mehr an die Transportunternehmen zurückerstattet werden. Der Fonds hätte ab 2026 für die Elektrifizierung im Ortsverkehr, also vor allem in den Städten, und ab 2030 für Elektrobusse im Regionalen Personenverkehr (RPV), also für Busverbindungen zwischen verschiedenen Gemeinden, Gelder auszahlen sollen. Postauto ist vor allem im PRV tätig. «Darum hat die Ablehnung des CO2-Gesetzes keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Umstellung der Flotte», sagt Postauto-Sprecherin Valérie Gerl.
«Die Aufhebung der Steuerrückerstattung für dieselbetriebene Busse hätte aber finanzielle Anreize und mehr Planungssicherheit für die Flottenumstellung auf Elektrobusse geboten», sagt sie. Überdies habe der Bundesrat als Finanzierungsoptionen für die Umstellung von Diesel- auf Elektrobussen auch die im CO2-Gesetz vorgesehenen Kompensationsprogramme der Treibstoffimporteure und den ebenfalls im Gesetz erwähnten Klimafonds vorgestellt. Diese Ideen hätten allerdings erst noch Eingang in die Verordnungen finden müssen. «Postauto hatte aufgrund dieser Unsicherheit nicht mit Geldern aus dem Klimafonds geplant, darum ist hier nicht mit Auswirkungen auf unsere Ambitionen zu rechnen», so Gerl.
Andere Busbetriebe könnten Gelder aus den verschiedenen Quellen des CO2-Gesetz für die Elektrifizierung ihrer Flotte eingeplant haben und nun auf Geldsuche gehen müssen oder die Elektrifizierung zeitlich nach hinten verschieben. Postauto hält hingegen nach wie vor am Ziel fest, dass bis 2040 die ganze Flotte von gut 2400 Fahrzeugen ohne fossile Treibstoffe unterwegs sein soll
«Postauto ist wie bis anhin auf Kantone und Gemeinden als Besteller des öV-Angebots angewiesen, die ebenfalls vom Umstieg auf alternative Antriebe überzeugt sind und bereit sind, die verbleibenden Mehrkosten zu tragen», sagt Sprecherin Valérie Gerl. «Diesen Mehrkosten steht auch immer ein gesteigerter Nutzen durch lokale Energiebeschaffung, Reduktion von Lärm und Luftschadstoffen und damit einhergehenden verringerten Gesundheitskosten gegenüber.»
Swiss: «Abgabe hätte uns in aller Härte getroffen»
Die Swiss weibelte nicht gegen das CO2-Gesetz, sondern gegen die Verordnung zur vorgesehenen Flugticketabgabe. Sie hätte je nach Distanz und Buchungsklasse zwischen 30 und 120 Franken pro Flug betragen. Nur ein Teil davon wäre allerdings in die Förderung synthetischer Treibstoffe geflossen, ein anderer in allgemeine Klimaprojekte.
«Die Swiss hat nicht per se das Gesetz, sondern den Entwurf der CO2-Verordnung abgelehnt», sagt Sprecherin Karin Müller auf Anfrage von Mobimag. «Dieser hätte die Wettbewerbs- und Investitionsfähigkeit der Swiss und in Konsequenz die volkswirtschaftlich wichtige Direktanbindung der Schweiz gefährdet.» Die Flugticketabgabe hätte die Swiss «in aller Härte getroffen», so Müller: 2019 hätte sie mit dem System etwa zwischen 200 und 250 Millionen Franken bezahlen müssen, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Abgabe an die Passagiere übertragen werden könne. «Zudem hätte man damit verpasst, durch eine Förderung von direkten CO2-Reduktionsmassnahmen bei Fluggesellschaften effektiven Klimaschutz im Luftverkehr voranzutreiben.»
Die Swiss habe sich unabhängig von einer Flugticketabgabe ambitionierte Klimaziele gesetzt und halte daran fest. Bis 2030 wolle die Airline ihre CO2-Emissionen gegenüber 2019 um 50 Prozent reduzieren und 2050 Netto Null Emissionen erreichen. «Dedizierte Teams arbeiten kontinuierlich an verbesserten Verfahren sowie Produkten am Boden und in der Luft», sagt Sprecherin Müller. «Dank Milliardeninvestitionen betreibt die Swiss eine der modernsten und damit CO2-ärmsten Flotten in Europa.»
Gefragt nach einer Vorlage, die von der Swiss mitgetragen werden könnte, antwortet Müller, die Swiss unterstütze die Einführung von marktbasierten Massnahmen. Die Anforderungen daran seien:
- Ein international koordiniertes Vorgehen und globale Mechanismen
- Eine Zweckbindung der Erträge zur Dekarbonisierung des Luftverkehrs
- Die Förderung nachhaltiger, innovativer und emissionsarmer Technologien
- Keine Umverteilung und keine Mehreinnahmen für Staaten
- Keine Mehrfachbelastung der gleichen Emission
- Eine einfache und kosteneffiziente Umsetzung
- Die Ermöglichung einer «sinnvollen und nachfragegerechten Mobilität»
Airlines könnten Klimaschutzmassnahmen nur vorantreiben, wenn sie investitions- und wettbewerbsfähig blieben, so Müller. «Die Einführung einer nationalen Flugticketabgabe ist aufgrund der Internationalität unseres Geschäfts weder aus ökologischen noch ökonomischen Überlegungen sinnvoll.»
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