Dauerhaft 10 Prozent weniger Passagiere im ÖV? Damit rechnet die ÖV-Branche – die SBB präsentiert neue Zahlen

Die Schere zwischen SBB und städtischen Betrieben geht weiter auf. Bild: SBB

Während die Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) schon wieder bei 94 Prozent der Passagierzahlen im Vergleich zum Vorkrisenzustand angelangt sind, rechnet der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) mit dauerhaft 10 Prozent weniger Passagieren. Die SBB könnte es noch härter treffen. Nun präsentiert sie neue Zahlen zur Auslastung.

Von Stefan Ehrbar
16. November 2021

Wie stark und wann erholen sich die Passagierzahlen des öffentlichen Verkehrs? Auf diese Frage kennt niemand in der Branche eine exakte Antwort. Eine Schätzung liefert nun der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV). Er geht davon aus, dass die Fahrgastzahlen nach dem Abflauen der Pandemie rasch wieder auf rund 90 Prozent der Werte vor der Pandemie steigen werden. Das geht aus einem Beschluss des Zürcher Regierungsrats hervor. «Die verbleibenden rund 10% dürften aufgrund veränderter Mobilitätsgewohnheiten und flexiblerem Arbeiten noch nicht wieder in den ÖV zurückkehren», heisst es weiter.

Jeder zehnte  ÖV-Pendler könnte also Bahn, Bus und Tram den Rücken kehren. Nicht alle teilen allerdings diese Einschätzung. Die Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) etwa können zwar keine Prognose abgeben. Doch in der Kalenderwoche 43 mit dem Beginn der Basler Herbstmesse lag die Zahl der Einsteigerinnen und Einsteiger schon wieder bei 94 Prozent des Jahresdurchschnitts 2019 (2,3 Millionen Fahrgäste) und damit so hoch wie zuletzt im Frühjahr 2020, wie Sprecherin Sonja Körkel sagt. Bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) waren laut CH Media in derselben Woche ebenfalls wieder 92% der Passagiere unterwegs.

Wenn städtische Verkehrsbetriebe aber jetzt schon, mitten in der vierten Corona-Welle, wieder über 90% der Passagierzahlen des Jahres 2019 sind – ist dann ein dauerhafter Rückgang von 10 Prozent im Schweizer ÖV realistisch? Ja – und das liegt an unterschiedlichen Entwicklungen.

So verläuft die Erholung auf der Schiene, wo längere Strecken zurückgelegt werden, viel schleppender. Eine Erklärung dafür ist, dass Menschen zwar weniger pendeln, weil sie häufiger im Homeoffice sind, in dieser Zeit aber an ihrem Wohnort trotzdem mobil sind – etwa, weil sie zwischendurch einkaufen oder in der Freizeit und abends häufiger unterwegs sind.

Dazu passt auch der Kommentar von Bernmobil-Sprecher zur Einschätzung des ZVV. «Wir sind in der Einschätzung optimistischer und glauben, dass wir nach Aufhebung alle Corona-Massnahmen relativ rasch wieder die Auslastung vor der Corona-Pandemie erreichen werden», sagt er. «Wir rechnen damit, dass nach Aufhebung aller Corona-Massnahmen die Zahlen innert rund einem halben Jahr wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen werden.» Derzeit stehe Bernmobil bei einer Auslastung von 80 bis 85 Prozent gegenüber der Vorkrisensituation, Ende Jahr dürften 90 Prozent erreicht werden.

Postauto wiederum lag im September in Sachen Auslastung an Werktagen noch etwa 10 Prozent hinter dem Vergleichsmonat 2019. «Kumuliert rechnen wir Stand jetzt für das Jahr 2021 mit einem Minus von 18 Prozent gegenüber 2019», sagt Sprecherin Katharina Merkle.

Anders tönt es bei der SBB. «Die SBB schätzt, dass es im gesamtschweizerischen Durchschnitt noch einige Zeit dauern wird, bis sich die Passagierzahlen vollständig erholt haben», sagt Sprecherin Jeannine Egi. «Langfristig wird die Bahn aber wieder stark wachsen; dazu trägt auch das steigende Bedürfnis nach klimafreundlichem und komfortablem Reisen bei.»

Die Zahlen zeigten, dass sowohl im Fernverkehr wie auch im Regionalverkehr die zurückgelegten Personenkilometer steigen. «Fakt ist aber auch, dass der Fernverkehr seit Beginn der Pandemie stärker betroffen war als der Regionalverkehr», so Egi.

Die SBB publiziert derzeit Daten zur Auslastung im Vergleich zu 2019 (siehe Mobilitäts-Monitoring von Mobimag). Diese Daten sind aber stark von saisonalen Effekten abhängig. Deshalb will die Bahn künftig die Zahl der monatlichen Personenkilometer veröffentlichen. Mobimag publiziert untenstehend vorab die Daten bis Anfang Oktober. Gegenüber 2019 betrug das Minus im Regional- und Fernverkehr kumuliert 26,3 Prozent. Der Weg zur Erholung ist für die Bahn also deutlich weiter und steiniger als für VBZ, Bernmobil und Co. Eine neue Realität macht sich bemerkbar.

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