Ja kein Wettbewerb: Der Bundesrat lässt beim ÖV trotz Skandalen alles beim Alten

Im regionalen Personenverkehr bleibt alles beim Alten. Bild: Hebi B. / Pixabay

«Zu komplexe Verfahren», «Scheingenauigkeit» und «Fehlen von echtem Wettbewerb und unternehmerischer Verantwortung»: Die Eidgenössische Finanzkontrolle ist unzufrieden mit dem System im Regionalen Personenverkehr. Doch der Bundesrat will nichts ändern und Wettbewerb verhindern.

von Stefan Ehrbar
12. Juli 2021

Dieses Timing war sehr unglücklich: Nur eine Woche, bevor die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) ihren Bericht zum Öffentlichen regionalen Personenverkehr veröffentlichte und darin weitgehende Empfehlungen für eine Reform macht, hat der Bundesrat seinerseits einen Bericht veröffentlicht, in dem er verschiedene Motionen aus dem Parlament beantwortet. Während die EKF Reformen fordert, ist der Bundesrat der Meinung, dass im Wesentlichen nichts geändert werden muss. Doch um welche Punkte geht es – und verhindert der Bundesrat nun Wettbewerb auf Jahrzehnte hinaus?


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Die EKF hat in ihrem Bericht «Erkenntnisse aus der Prüftätigkeit der letzten Jahre» zusammengefasst. Der öffentliche Regionale Personenverkehr (RPV) sehe sich seit einiger Zeit mit grossen Herausforderungen konfrontiert, heisst es im Bericht. Skandale wie bei der Postauto AG oder jüngst der BLS AG oder den Verkehrsbetrieben Luzern «lassen aufhorchen und werfen ein schiefes Licht auf die beteiligten Akteure».

Mit ihrem Bericht wolle die EKF ausgewählte Feststellungen aus Prüfungen von ihr, des Bundesamt für Verkehr (BAV) und der Evaluation im Auftrag des BAV darlegen und mit weiteren Überlegungen ergänzen. Im Wesentlichen moniert die EKF:

  • Viele ÖV-Betriebe gehören öffentlich-rechtlichen Eignern wie Kantonen oder Kommunen. Das schafft Abhängigkeiten und Gewinnerwartungen, die mit subventionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar sind.
  • Die Verfahren zur Bestellung von Leistungen sind zu komplex und verursachen hohen administrativen Aufwand. «Damit wird eine Scheingenauigkeit suggeriert, die aber gleichzeitig viel Spielraum für Interpretationen und Fehler zulässt», so die EFK.
  • Beim ÖV werde zwar von Wettbewerb gesprochen. Die Coronakrise zeige aber, dass schlussendlich immer die öffentliche Hand einspringe. Echten Wettbewerb gebe es kaum, genauso wie unternehmerische Verantwortung.
  • Durch die grosse Anzahl von Anbietern und fehlende Standardisierung werden Skaleneffekte verpasst und unrentable Strukturen erhalten.
  • Die Transparenz der Kosten und Erlöse ist ungenügend, die Prozesse von der Offerte bis zur Abrechnung dauern zu lange und werden oft zur Relativierung von Fehlern missbraucht.


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Die EFK hat Lösungsvorschläge ausgearbeitet, die laut ihr das System vereinfachen könnten. Es sind:

  • Entflechtung der Bestellerrolle zwischen Bund und Kantonen: Vor dem Hintergrund des laufenden Projekts Reform RPV und vor der Hintergrund der Neugestaltung des Nationalen Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen empfiehlt die EFK eine Totalentflechtung.
  • Finanzierung über den Finanzausgleich: Eine Finanzierung über den NFA würde dazu führen, dass Bund und Kantone ihrer Kaufkraft entsprechend rund je eine Milliarde Franken in den Topf einbringen würden. Besteller würden ihren Aufwand anteilig entschädigt erhalten.
  • Vergabe und Verrechnung von Linienbündeln statt Einzellinien: Ein Bestellverfahren für ein Liniennetz anstelle von einzelnen Linien würde den Prozess merklich vereinfachen, so die EFK.
  • Gewinnziele klarer festlegen: Die EFK will, dass finanzielle Ziele nicht mit subventionsrechtlichen Vorgaben in Widerspruch stehen.
  • Klare Trennung der Rollen Eigner und Besteller: Die Wahrnehmung der Verantwortung der Geschäftsleitung und der Verwaltungsräte ist konsequent einzufordern. Es braucht mehr Steuerungsinstrumente wie strategische Zielvorgaben oder bezüglich transparenter Rechnungslegung. Abhängigkeiten zwischen Besteller und Eigner müssen vermieden werden.
  • Es soll vermehrt mit Ausschreibungen vorgegangen werden. Erzielte Gewinne könnten den Unternehmen zur freien Verfügung stehen, was die Effizienz erhöhen würde. Auch eine Normabgeltung wäre eine Möglichkeit: Vergleichbare Linienbündel würden mit einem Normpreis entgolten, was effizienteren Unternehmen Gewinn ermöglichen würde. Diese Preise könnten regelmässig abgesunken werden.

Das Bundesamt für Verkehr schreibt in einer Stellungnahme zuhanden der EFK, verschiedene Vorschläge der EFK hätten in der Vernehmlassung keine Unterstützung gefunden. «So ist das System mit einer Vielfalt an Transportunternehmen und Direktvergaben politisch unbestritten. Ein Ausschreibungswettbewerb bei Bahnen wird ebenso abgelehnt wie eine Entflechtung der Verbundaufgabe zwischen Bund und Kantonen.» Die Trennung von Eigentümer- und Bestellerprozessen sei «soweit möglich umgesetzt, doch liegt es nicht in der Kompetenz der Bundesbehörden, den Kantonen und Gemeinden Vorschriften bezüglich der Eignerrolle zu machen.» Die unterschiedliche Haltung zwischen EFK und BAV lasse sich somit «mit dem Unterschied zwischen theoretisch erwünschter und politisch gewollter Organisation des Bestellwesens im Regionalverkehr erklären».

Mit anderen Worten: Eine andere Organisation wäre zwar besser, scheitert aber am politischen Widerstand.

Nur: Der Bundesrat versucht gar nicht erst, etwas zu ändern. Stattdessen klemmt er ab, wo es nur geht. Denn auch in der Vernehmlassung zur RPV-Reform war der Reformbedarf unbestritten und einige Teilnehmende forderten weitergehende Optimierungen.

Stattdessen hält der Bundesrat am jetzigen System fest. Nur in Einzelfällen sollen im Busbereich Ausschreibungen möglich sein. Zielvereinbarungen sollen «gestärkt» werden. Das Gewinnverbot im RPV bleibt bestehen – obwohl viele Transportunternehmen, Kantone und Parteien das Regime ändern wollten.

An dieser Antwort zeigt sich auch: Der Bundesrat hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, das System zu ändern, auch wenn sich viele Vernehmlassungs-Teilnehmer dagegen aussprachen. Denn es hindert ihn offensichtlich auch nichts daran, es zu belassen, selbst wenn es die Branche anders will. Stimmen aus der Branche, die forderten, auch den Freizeit- und Nachtverkehr neu als RPV zu bezeichnen und mitzufinanzieren, ignorierte er ganz. Gleiches gilt für neuartige Mobilitätsangebote. Sie alle sollen lediglich im Rahmen der heute geltenden Grundlagen unterstützt werden. Davon betroffen sind allenfalls einzelne Linien, wie der Bundesrat selbst einräumt.

Kein Wunder, kommt die EFK zu einem vernichtenden Urteil. «Die für eine Behebung der Schwachstellen notwendigen grundlegenden Systemanpassungen sind in der jetzigen Form des Reformprojektes RPV nicht enthalten. Damit wird in Kauf genommen, dass systemische Schwächen nicht angegangen werden», schreibt sie.

Damit bleibt der RPV in der Schweiz eine Mischung aus Heimatschutz, Pseudo-Wettbewerb und staatlichem Unternehmertum. Vorgeblich private Unternehmen ohne jedes Risiko können sich in Einzelfällen in Ausschreibungen mit anderen messen, werden aber weiterhin in den meisten Fällen direkt mit Leistungen beauftragt. Ob sich mit diesem Status Quo Fälle wie jene bei Postauto, der BLS oder den VBL verhindern lassen, darf bezweifelt werden. Fragwürdig ist auch, wieso die öffentliche Hand die Leistungen nicht gleich selbst erbringt, wie es etwa in Zürich der Fall ist, wo die Verkehrsbetriebe eine städtische Dienstabteilung sind. Denn selbständig sind sie sowieso nicht.

Die Stossrichtung des Bundes passt zur aktuellen Haltung im zuständigen Departement von Simonetta Sommaruga (SP), Wettbewerb so gut es geht zu verhindern. Das zeigen auch die kürzlich veröffentlichten Pläne zur Weiterentwicklung im Fernverkehr. Die SBB soll weiterhin die Konzession für das gesamte Fernverkehrs-Netz zugesprochen erhalten. Dafür muss sie Bahnen wie der SOB und der BLS weiterhin ein paar Brosamen hinwerfen und sie mit dem Betrieb von ein paar Fernverkehrslinien beauftragen.


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Während dieses Modell im Inland noch seine Berechtigung haben mag, ist die Weigerung des Bundes, private Wettbewerber im internationalen Fernverkehr zuzulassen, schleierhaft. «In der Schweiz ist die SBB alleinige Betreiberin von internationalen Verkehren», heisst es im Bericht unmissverständlich. Mit anderen Worten: Der Bundesrat knallt Anbietern wie Flixtrain, Regiojet oder Westbahn die Türe vor der Nase zu. Ob dieses Vorgehen dem Ziel der Verkehrsverlagerung wirklich dienlich ist, steht auf einem anderen Blatt.



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