Sind die Bahnhöfe Zürich und Bern wirklich so schlecht – oder ist es das Ranking? 🆓

Schneidet schlecht ab: Der Hauptbahnhof Zürich. Bild: KaffeeKraftwerk / Pixabay

Die grössten Schweizer Bahnhöfe Zürich HB und Bern gehören zu den schlechteren Europas. Das ist das Ergebnis einer Studie, über die vom «Spiegel» über die «Daily Mail» bis hin zur «Handelszeitung» und dem «Standard» unzählige Medien berichteten. Nur: An der Untersuchung stimmt so gut wie gar nichts.

von Stefan Ehrbar
5. April 2021

Leipzig ist der passagierfreundlichste Bahnhof Europa. Danach folgen der Wiener Hauptbahnhof und St Pancras in London. Das zeigt der «European Railway Station Index 2021» des US-amerikanischen Consumer Choice Center (CCC). Untersucht wurden 50 europäische Bahnhöfe nach Kriterien wie Rollstuhlgängigkeit, Auswahl an Läden, WLAN, Gastronomie und die Anzahl an nationalen und an internationalen Verbindungen. Der Zürcher Hauptbahnhof landete  auf Platz 21, Bern abgeschlagen auf dem Platz 40 und damit ganz hinten in der Rangliste. «Was für ein Debakel!», schrieb die Schweizer «Handelszeitung» in ihrem Newsletter. «Was nun, liebe SBB?»

Allerdings verrät das Ranking mehr über die Medienlogik als über die Qualität der Bahnhöfe. Denn die verwendeten Daten sind zum grössten Teil unbrauchbar und falsch.

Darauf hat zunächst der Nutzer «Alphorn» im Bahn-Forum ICE-Treff.de aufmerksam gemacht. So sei etwa in den Rohdaten angeben, dass der Zürcher Hauptbahnhof über keine rollstuhlgängige Toilette verfüge – dabei gibt es solche an zwei Standorten. Die Zahl der nationalen Destinationen, die direkt erreichbar sind, sei mit 12 angegeben – dabei müssten es eher Hunderte sein.

Mobimag hat den Datensatz des Index genau untersucht. Von den 13 Kriterien, die für das Ranking berücksichtigt wurden, sind 8 mit falschen Daten versehen.

  • Die Zahl der Plattformen wird mit 13 angegeben. Das ist zwar für sich genommen nicht falsch, im Kontext der Untersuchung aber schon. Denn bei den meisten anderen Bahnhöfen wird hier die Zahl der Gleise eingesetzt. Das wären demnach 26. 
  • Die Zahl der erreichbaren Inlanddestinationen wird mit 12 angegeben. Dabei wären es um ein Vielfaches mehr – umso mehr, wenn die S-Bahn mit einbezogen wird.
  • Die Zahl der Auslanddestinationen wird ebenfalls mit 12 angegeben. So viele Städte sind alleine in Italien umsteigefrei ab Zürich erreichbar. Eine korrekte Zahl wäre deutlich höher.
  • Beim Kriterium von rollstuhlgängigen Toiletten schreiben die Autoren, es gebe keine solche im Zürcher HB – und verlinken auf die Internetseite, welche den SZU-Teil des Bahnhofs abbildet. Tatsächlich gibt es solche an zwei Orten.
  • Die Zahl der Shops wird mit 53 angegeben – tatsächlich sind es 130.
  • Die Zahl der Restaurants wird mit 39 angegeben. Gemäss Website der SBB gibt es 55 Restaurants und Take-Aways. Wurden letztere nicht mitgezählt, ist die Zahl zu hoch, ansonsten ist sie zu tief.
  • Die Zahl der Bahnunternehmen, welche den Bahnhof anfahren, wird mit 3 angegeben – tatsächlich sind es 4.
  • Beim Kriterium «connected to local railway» schreiben die Autoren beim Zürcher HB: «Nein». Das ist geradezu absurd, ist doch der Hauptbahnhof so etwas wie das Zentrum der Zürcher S-Bahn.

Ähnliche Fehlinformationen werden für die Beurteilung des Berner Bahnhofs herangezogen. So wird die Zahl der Läden mit 6 angegeben – als würde es sich um einen Provinzbahnhof handeln. Auch der Berner Bahnhof sei «nicht mit der lokalen Eisenbahn verbunden», heisst es weiter. 

Erhält schlechte Noten: Der Bahnhof Bern. Bild: algorino / Pixabay

Wie kommt ein derart absurdes Ranking zustande – und weshalb wirft es solche Schlagzeilen? Letztere Frage hat wohl viel mit den Gesetzmässigkeiten des Online-Journalismus zu tun. Vergleiche werden gut geklickt, besonders wenn Menschen «ihren» Bahnhof mit anderen vergleichen können und sich so in der Geschichte wiederfinden.

Zudem ist die Geschichte schnell erzählt – die meisten Medien haben schlicht die Medienmitteilung des CC übersetzt und niedergeschrieben. Mit solchen Rankings lassen sich schnell Fotostrecken erstellen, die ebenfalls für viele Klicks sorgen. Und weil solche Geschichten häufig von Desk-Teams zusammengeschrieben werden, die keine grosse Fachkenntnis aufwiesen. Ausserdem dürfte solchen Geschichten keine allzu grosse Wichtigkeit zugemessen werden – sie sind «quick wins», die sich ohne aufwändigen Faktencheck realisieren lassen.

Die andere Frage ist hingegen, wie die Autoren ihre Studien verteidigen. Im Datenblatt haben sie jede einzelne Zahl mit einer Quelle verlinkt. Nur sind das teilweise falsche Unterseiten oder Internetseiten ohne jeglichen offiziellen Charakter. Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten scheinen die Autoren nicht zu haben, es wirkt eher wie eine Google-Übung für die Praktikanten. Das Consumer Choice Center sitzt offiziell in Washington D.C. den USA – und scheint sich auch nicht die Mühe gemacht zu haben, sich mit lokalen Experten zusammenzuschliessen.

Was heissen die Fehler in den Daten für das Ranking? Wird es korrigiert? Wie erklären die Autoren die teils grotesk falschen Zahlen? Und wie wollen sie solche Vorkommnisse in Zukunft verhindern?

Mobimag hat einen ausführlichen Fragenkatalog beim CCC eingereicht. Die Antwort lässt nicht darauf schliessen, dass die Autoren künftig sorgfältiger vorgehen werden. In zwei kurzen Sätzen bedankt sich eine Sprecherin für das «wertvolle Feedback». Man werde die «Vorschläge in der nächsten Ausgabe berücksichtigen und weiterhin versuchen, Fehler zu vermeiden.»

Möglicherweise machen als die Bahnhöfe von Zürich und Bern 2022 also wieder Schlagzeilen – als Aufsteiger des Jahres. Sehr viel aussagekräftiger dürfte ein solcher Titel allerdings auch nächstes Jahr nicht sein.



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