Eine Organisation zeigt auf, wie Kanada die ÖV-Nutzung verdoppeln könnte. Ausserdem im Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: In Berlin hat der Autoverkehr seit 2015 fast überall abgenommen – und eine neue Studie zeigt, wie die Belastung durch Ultrafeinstaub mit dem sozioökonomischen Status zusammenhängt.
von Stefan Ehrbar
1. März 2024
So gelingt in Kanada die ÖV-Verdoppelung
Der öffentliche Verkehr in Kanada hat weniger Bedeutung als hierzulande. Das flächenmässig grosse Land setzte in der Vergangenheit vor allem auf das Auto. Laut neuen Zahlen nutzten im Mai 2023 acht von zehn Pendlern das Auto für ihren Weg zur Arbeit.
Wie sich das ändern könnte, hat diese Woche die Zeitung «National Observer» aufgeschrieben. Der Artikel trägt den Titel «The pathway to doubling transit use by 2035» und soll also aufzeigen, wie die Nutzung des öffentlichen Verkehrs in den nächsten 11 Jahren verdoppelt werden könnte. Dabei stützt sich die Autorin vor allem auf eine neue Studie der NGO «Environmental Defence and Équiterre».
Die Studie zeigt auf, wie Kanada die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr bis 2035 verdoppeln und die Treibhausgasemissionen zwischen 2024 und 2035 um 65 Millionen Tonnen reduzieren kann. Das entspricht dem Ausstoss von 20 Millionen Autos.
Während die kanadische Regierung Ziele für die Einführung von Elektroautos festgelegt hat – bis 2035 müssen alle Neuwagen emissionsfrei unterwegs sein – gibt es keine Zielsetzungen für die Passagierzahlen im ÖV. Die Verknüpfung von Elektroauto-Zielen mit klaren Zielen für den öffentlichen Nahverkehr biete aber «eine grosse Chance, die Emissionsprobleme kurzfristig anzugehen und nicht auf Elektroautos zu warten», wird Mitverfasser Nate Wallace zitiert.
Untätig ist Kanada nicht: Mit einem neuen Fonds sollen ab 2026 jedes Jahr drei Milliarden Dollar für den öffentlichen Nahverkehr ausgeschüttet werden. Wallace schlägt vor, damit bereits dieses Jahr zu beginnen und die Summe zu verdoppeln. Die vorgesehene Summe decke zwar die Kapitalkosten etwa für die Beschaffung von Elektrobussen ab, aber nicht die Finanzierung des Betriebs.
Die Notwendigkeit der Finanzierung des Betriebs durch die Provinzen und die Bundesregierung ist denn auch eine von vier Schlüsselmassnahmen, die in der Studie aufgeführt werden. Die anderen drei sind die Förderung von dichtem Wohnen in der Nähe von öffentlichen Verkehrsmitteln, Anreize für emissionsfreie Busse und Anreize für den Bau von Busspuren.
Wie wichtig die Finanzierung des Betriebs ist, zeigt sich laut der Studie daran, dass 1700 Busse in Kanada zwar vom Staat finanziert, aber derzeit nicht genutzt werden, weil das Personal für den Betrieb und die Wartung fehlt. Für die Förderung des ÖV müsse dieser häufig verkehren, zuverlässig und erschwinglich sein, wird Wallace zitiert. Da die Gemeinden aber oft kein Geld für den Betrieb hätten, würden sie diese Kosten in Form von höheren Ticketpreisen weitergeben, was im Widerspruch zur ÖV-Förderung stehe.
Die Förderung von dichtem Wohnen in der Nähe von ÖV-Stationen soll laut der Studie einhergehen mit Mietschutz-Anforderungen. Sonst würden ärmere Menschen von dort verdrängt. Dazu könne etwa das Recht gehören, nach einer Sanierung wieder zum gleichen oder einem ähnlichen Preis in eine Wohnung zurückkehren zu können, heisst es in der Studie.
In Berlin sind weniger Autos unterwegs
In den letzten Jahren ist die Zahl der Autos auf den Strassen der deutschen Hauptstadt Berlin stark gesunken. Das berichtete diese Woche das Portal rbb24.de mit Verweis auf eine Antwort der Verkehrsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage.
Die sogenannte durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke sei seit dem Jahr 2015 an den meisten der rund 250 Messstellen der Stadt gesunken. In Einzelfällen habe die Verkehrsbelastung um bis zu 50 Prozent abgenommen. Bei manchen Messstellen sei nach einem starken Rückgang in den Corona-Jahren 2020 und 2021 wieder ein leichter Anstieg zu erkennen, «an dem generell rückläufigen Trend seit 2015 ändert das aber nichts».
Unter der Verkehrsstärke wird die Zahl von Fahrzeugen verstanden, die täglich eine Messstelle passieren. Ein im Artikel zitiertes Beispiel ist jenes der Messstelle bei der Autobahn A115. Im Jahr 2015 wurden dort noch 34’607 Fahrzeuge gemessen, letztes Jahr waren es noch 30’401 – also 12 Prozent weniger.
Am Kurfürstendamm ging der motorisierte Verkehr demnach von 16’668 Fahrzeugen pro Tag auf 14’513 zurück. An der Prenzlauer Promenade wurde gar ein Rückgang von 51 Prozent ausgewiesen. Doch woran liegt das?
«Gerade an den grossen Hauptstrassen, an denen Fahrstreifen zugunsten von Radwegen umgewandelt wurden, beispielsweise am Tempelhofer und Halleschen Ufer, ging der Autoverkehr massiv zurück», wird die Grünen-Politikerin Antja Kapek zitiert, welche die parlamentarische Anfrage eingereicht hatte. Die Reduktion sei eine «grossartige Nachricht für alle, die auf den Berliner Strassen unterwegs sind.»
Die Daten zeigten auch, dass «die reine Fokussierung der CDU-Verkehrspolitik auf die Leistungsfähigkeit für Kraftfahrzeuge pure Ideologie ist, die die Verhinderung von Tramstrecken oder Radwegen begründen sollen», so Kapek. Die CDU stellt in Berlin mit Kai Wegener den Bürgermeister und regiert mit der SPD in einer grossen Koalition. Im Senat ist sie die stärkste Kraft.
So hängen Feinstaub und sozialer Status zusammen
Ultrafeine Partikel (UFP) respektive Ultrafeinstaub entstehen durch chemische und thermische Reaktionen. In der Nähe von Strassen ist die Konzentration deutlich erhöht. Denn neben natürlichen Quellen wie Vulkanausbrüchen oder Waldbränden sind auch Fahrzeugantriebe eine Quelle davon.
Ultrafeinstaub gilt als krebserregend, es gibt aber keine konkrete Empfehlung zur Begrenzung der Anzahl von ultrafeinen Partikeln. Doch wie hängt die Exposition gegenüber UFP mit dem sozioökonomischen Status zusammen?
Dieser Frage sind Wissenschaftler rund um Junshi Xu von der University of Toronto nachgegangen. Ihre Studie namens «Exploring the triple burden of social disadvantage, mobility poverty, and exposure to traffic-related air pollution» ist vor kurzem im Journal «Science of The Total Environment» erschienen.
Die Forscher führten eine gross angelegte mobile Messkampagne durch und verwendeten ein Modell, um die Exposition unter Berücksichtigung der Flächennutzung, der bebauten Umgebung und der meteorologischen Bedingungen zu erzeugen.
«Unsere Ergebnisse zeigen, dass Menschen in sozioökonomisch benachteiligten Gebieten einer erhöhten UFP-Exposition ausgesetzt sind», heisst es in der Studie. «Berücksichtigt man die tägliche Mobilität, so werden die Unterschiede in der UFP-Belastung benachteiligter Bevölkerungsgruppen noch weiter verschärft. Darüber hinaus sind Personen, die selbst keine Emissionen erzeugen, durchweg höheren UFP ausgesetzt, wobei Nutzer aktiver Verkehrsmittel sowohl zu Hause als auch an Orten, an denen sie aktiv sind, die höchste UFP-Belastung erfahren.»
Personen in den am wenigsten marginalisierten Gruppen würden zu Hause eine geringere UFP-Belastung aufweisen, heisst es in der Studie. Gerecht ist das nicht unbedingt, denn sie nutzen das Auto öfter für die Fahrt zur Arbeit als andere Gruppen.
So pendeln etwa 36 Prozent der Zuwanderer der letzten zehn Jahre in Toronto mit dem öffentlichen Nahverkehr, während es bei den in Kanada geborenen Pendlern nur 21 Prozent sind. Gleichzeitig hätten Neuzuwanderer oft keinen ausreichenden Zugang zu einer zuverlässigen aktiven und öffentlichen Verkehrsinfrastruktur.
«Der Einzelne neigt dazu, seine tägliche Exposition zu erhöhen, indem er sein Haus verlässt, da die meisten Arbeits- und anderen Aktivitätsorte mit höheren UFP-Werten verbunden sind. Darüber hinaus waren Nutzer des Gehens, Velofahrens und des öffentlichen Nahverkehrs im Vergleich zu Nutzern des Autoverkehrs mit höheren UFP-Belastungen verbunden», heisst es in der Studie.
Das deute darauf hin, dass Nutzer aktiver Verkehrsmittel in der Regel in Gebieten mit höheren UFP-Werten leben, arbeiten und ihren täglichen Aktivitäten nachgehen, während Autofahrer eher in Gebieten mit niedrigeren UFP-Werten leben und daher die niedrigste durchschnittliche Tageskonzentration erreichen, selbst wenn man die Aktivitätsorte berücksichtigt. «Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass Personen, die selbst keine Emissionen verursachen (z. B. Fussgänger und Velofahrer), höheren UFP-Konzentrationen ausgesetzt sind als Personen, die mit Fahrzeugen unterwegs sind», schreiben die Autoren.
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