In Montpellier kostet die Benützung von Bus und Tram bald nichts mehr. Doch nicht immer hält Gratis-ÖV, was sich Politiker davon versprechen. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit den Links zu spannenden Geschichten: Der Automarkt wächst stark und vor allem mit Abo-Modellen – und die Fakten sprechen für Tempo-30-Zonen.
von Stefan Ehrbar
3. März 2023
Montpellier macht den ÖV gratis
Die südfranzösische Stadt Montpellier ermöglicht ab dem 21. Dezember 2023 die kostenlose Nutzung des städtischen Bus- und Tramnetzes. Über dieses Vorhaben berichtet das Portal «Euronews».
Die Einwohnerinnen und Einwohner sollen ein kostenloses Ticket für das städtische ÖV-Netz erhalten. Ziel ist es, die Emissionen und die Umweltverschmutzung zu reduzieren und die Mobilität der Bewohner zu verbessern. Bürgermeister Michaël Delafosse sprach in diesem Zusammenhang von einem grossen Schritt in Richtung soziale Gerechtigkeit und ökologischer Wandel.
Bereits seit September 2020 ist in Montpellier die Benutzung des ÖV an den Wochenenden gratis, heisst es im Artikel. Im Jahr 2021 sei das Angebot auf Wochentage für Personen im Alter von unter 18 und über 65 Jahren ausgedehnt worden.
Der Gratis-ÖV sei Teil eines 150 Millionen Euro schweren Investitionsprogramms für eine CO2-freie Mobilität, die daneben auch Investitionen in neue Velowege und in die Errichtung einer Umweltzone beinhaltet. In einer solchen wird in der Regel der Zugang für gewisse Verbrenner-Fahrzeuge limitiert.
Laut Euronews war bisher Dunkerque mit fast 200’000 Einwohnern die grösste Stadt in Frankreich, die auf einen kostenlosen ÖV setzt. Nach der Einführung im Jahr 2018 stiegen die Fahrgastzahlen des ÖV dort demnach um 85 Prozent.
Insgesamt gebe es in Frankreich 39 Gebiete mit ähnlichen Regelungen. Dazu gehören der Marseiller Vorort Aubagne oder die Hafenstadt Calais. Montpellier werde aber die grösste Stadt mit Gratis-ÖV werden.
Befürworter argumentieren, dass Gratis-ÖV die Autonutzung verringert und damit die Umweltverschmutzung und die Emissionen. Menschen würden in Stadtzentren gelockt, was die Kaufkraft erhöhe.
Gegner argumentieren, dass Gratis-ÖV Investitionen und Entwicklungen im Verkehrssektor hemmen könnte und dass die Kosten auf Steuerzahler abgewälzt werden. Zudem könnte das ÖV-Netz überfordert werden. Auch das Gegenteil ist denkbar: Nicht immer verringerte sich die Autonutzung nach Einführung des kostenlosen ÖV tatsächlich.
Um an das Gratis-Ticket zu kommen, müssen Einwohnerinnen und Einwohner von Montpellier eine App herunterladen und dort eine Ausweiskopie und einen Adressnachweis hochladen. Das Ticket selbst wird dann auf das Smartphone geladen und muss bei jedem Einstieg in einen Bus oder ein Tram an einen Entwerter gehalten werden.
Laut dem Artikel setzen bereits mehr als 50 Städte und Gemeinden in Europa auf den Gratis-ÖV, wobei sie als Hauptmotivation jeweils den Klimaschutz und die soziale Gerechtigkeit anführen.
Wer profitiert vom wachsenden Automarkt?
Dieser Frage ist die Beratungsfirma Deloitte in einer neuen Studie nachgegangen. Darüber berichtet das Portal vision-mobility.de.
Der Markt für automobile Mobilität wird sich demnach bis ins Jahr 2035 in der Europäischen Union und in den USA verdoppeln. Prägend dürfte vor allem die Elektromobilität sein: Einer von drei Verbrauchern in den USA und fast jeder zweite in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und im Vereinigten Königreich will als nächstes Fahrzeug ein elektrisch betriebenes anschaffen. Die Hälfte der Befragten in den USA und 61 Prozent der Befragten in den «Europe5» genannten erwähnten europäischen Ländern wählen die Marke sogar danach aus, ob sie einen gut ausgearbeiteten Plan für das Batterierecycling hat.
Zwischen den Generationen sind Veränderungen sichtbar. So haben 40 Prozent der US-Verbraucher und die Hälfte in der Region Europe5 im Alter zwischen 18 und 34 Jahren bereits Erfahrungen mit Sharing-Angeboten gemacht, deutlich mehr als in anderen Altersgruppen. Bei den Jüngeren sei zudem der Zweifel an der Notwendigkeit eines eigenen Fahrzeugs besonders ausgeprägt.
Ein Drittel der Befragten in den USA und den Europe5 in diesem Alter würde demnach auch auf ein Abo-Modell umsteigen, weil dieses mehr Komfort, Transparenz und Flexibilität ermöglicht. Die Hälfte aller Befragten gab auch an, an einem System mit einer monatlichen Zahlung interessiert zu sein, die alle fahrzeugbezogenen Kosten wie Versicherung und Wartung abdeckt.
«Das traditionelle Geschäftsmodell, das im Verkauf von Fahrzeugen an Endverbraucher verankert ist, wird durch mehrere konvergierende Kräfte in Frage gestellt», heisst es im Artikel folgerichtig. «Mit Vehicle-on-Demand- (VOD) und Mobility-on-Demand- (MOD) Dienstleistungen werden in den USA jährliche Wachstumsraten von 8 bis 10 Prozent erwartet, da sich die Mobilitätsanforderungen der Verbraucher und die Urbanisierungstrends ändern.»
Ebenfalls hohe Wachstumsraten von 12 Prozent pro Jahr werden Firmen im Bereich Batteriemanagement für Elektrofahrzeuge vorhergesagt. Das Recycling wiederum könnte alleine in den USA zu einem Markt mit einem Volumen von 2 Milliarden Dollar jährlich anwachsen. «In den nächsten 10 Jahren werden wir wahrscheinlich ein historisches Tempo des Wandels im Bereich der automobilen Mobilität erleben. Langjährige und stabile Unternehmen von heute werden entweder radikale Veränderungen durchlaufen oder obsolet werden, da neue Mobilitätsstrukturen und die damit verbundenen Profitpools die Kerngeschäftsmodelle von morgen prägen», wird Deloitte-Experte Sebastian Pfeifle zitiert.
Das bringt Tempo 30 wirklich
Kaum eine Forderung wird politisch so emotional diskutiert wie jene nach der Einführung von Tempo-30-Zonen. Doch was bringen diese wirklich? Dieser Frage ist die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» nachgegangen.
In der deutschen Stadt Buxtehude wurde im November 1983 die erste Tempo-30-Zone von Deutschland eingerichtet. Schon die Ergebnisse der Forschungsgruppen, die den Versuch damals begleiteten, sprachen für Tempo 30. Die Zahl der Schwerverletzten sank demnach in ihnen um mehr als drei Viertel, die der Leichtverletzten um 58 Prozent. Der Lärmpegel verringerte sich um ein bis sieben Dezibel. Auf zwei Hauptstrassen verkürzten sich gar die Fahrzeiten wegen einem besseren Verkehrsfluss.
Diese Erkenntnisse seien mittlerweile mehrfach bestätigt worden und gut dokumentiert, wird Alex Erath zitiert, Verkehrsforscher an der Fachhochschule Nordwestschweiz. In Schwerin habe sich die Unfallzahl nach Einführung des Tempolimits halbiert, in Graz seien die Unfälle mit Personenschaden um ein Viertel gesunken, wobei sich fast achtzig Prozent der Unfälle in den verbliebenen 50er-Zonen ereigneten.
Eine Studie aus Toronto zeigt zudem, dass zu Fuss gehende seltener in Unfälle verwickelt wurden, nachdem die Stadt die Geschwindigkeit von 40 auf 30 Kilometer pro Stunde senkte. Ein ähnliches Bild zeigte eine britische Metastudie aus dem Jahr 2019.
Die Schweizer Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) geht laut dem Artikel davon aus, dass sich mit einer Verringerung der Geschwindigkeit auf Tempo 30 auf Hauptverkehrsstrassen die Zahl der Unfälle um 30 bis 50 Prozent reduziert.
Zu ähnlichen Ergebnissen sei eine Studie aus London gekommen: Nach Einführung des Tempolimits sanken dort die Unfallzahlen um 40 Prozent, wobei sich die Zahl der Unfälle mit Heranwachsenden gar halbierte.
Die wichtigste Erkenntnis sei denn auch, dass Tempo 30 Leben rette, heisst es im Artikel. «Kollidieren Autos mit Fussgängern, ist das Sterberisiko bei Tempo 50 vier- bis fünfmal höher als bei Tempo 30».
In 200 französischen Städten seien seit Einführung von Tempo 30 vor drei Jahren laut ersten Analysen 70 Prozent weniger Menschen innerorts ums Leben gekommen. In Oslo und Helsinki seien nach der Einführung von flächendeckend Tempo 30 im Jahr 2019 in diesem Jahr keine einzigen Fussgänger oder Velofahrer an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorben.
Auch die Wirkung von Tempo 30 auf den Lärm sei gut belegt. Er nehme im Schnitt um zwei bis drei Dezibel ab, was einer Halbierung des Verkehrs entspricht. Weniger klar sei hingegen der Einfluss auf die Luftqualität. Als positiven Effekt hebt der Artikel hervor, dass mit Tempo 30 der Veloverkehr gefördert wird.
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