
In über 300 Städten in Europa gibt es bereits Umweltzonen. Sie sorgen für saubere Luft – und Protest. Ausserdem im Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Auch Städte wie Koblenz verteuern das Parkieren für SUVs – und eine Studie belegt, wie das 9-Euro-Ticket Menschen mit tiefem Einkommen geholfen hat.
von Stefan Ehrbar
16. Februar 2024
Ärger über Umweltzonen in Europa
In vielen europäischen Städten wurden in den letzten Jahren Umweltzonen in den Zentren eingeführt. In einige von ihnen dürfen beispielsweise Autos, die neue Abgasnormen nicht einhalten, gar nicht erst einfahren. In anderen werden gestaffelt nach Emissionen oder Tageszeit unterschiedlich hohe Mautgebühren fällig.
Auf solche Gebühren setzt etwa London, das letztes Jahr die Erweiterung der Ultra Low Emissions Zone (ULEZ) bekannt gegeben hat. Dagegen wehrten sich Besitzer von älteren Autos und Gemeinden aus den Aussenbezirken, allerdings erfolglos.
Die Ausweitung sorgte aber nicht nur in London für grosse Proteste. Das Portal context.news, das von der Thomson Reuters Foundation betrieben wird, ist nun der Frage nachgegangen, warum das so ist. Denn saubere Luft sei schliesslich ein «no-brainer» – ein Anliegen also, hinter dem sich eigentlich alle ohne Vorbehalte versammeln müssten.
Laut der Nichtregierungsorganisation Transport and Environment gibt es in Europa bereits mehr als 300 Umweltzonen und bis 2025 sind mehr als 500 geplant. Sie zielen laut dem Artikel darauf ab, die Menge an Stickoxiden, Feinstaub, Schwefeloxiden, Kohlenmonoxid und Schwermetallen, die von Fahrzeugen in die Atmosphäre freigesetzt werden, zu verringern. Eingeführt werden sie dort, wo die Luftverschmutzung eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann.
Schlechte Luftqualität könne mit schweren Krankheiten wie Asthma, Herz-Kreislauf-Problemen und Lungenkrebs in Verbindung gesetzt werden, heisst es weiter. Der Strassenverkehr sei für etwa ein Fünftel der Emissionen in der Europäischen Union verantwortlich, etwa 70’000 vorzeitige Todesfälle in Europa gehen demnach jedes Jahr auf das Konto der Luftverschmutzung durch Fahrzeuge. Die EU will diese Zahl bis 2030 um 55 Prozent reduzieren.
«Die Bewohner der Städte mit dem höchsten Verkehrsaufkommen sind am stärksten von diesen Auswirkungen betroffen – Forscher nennen dies die «Lotterie der Postleitzahlen»», heisst es im Artikel. «Einer in Brüssel durchgeführten Studie zufolge sind die Gebiete mit der schlimmsten Luftverschmutzung in der Regel auch die ärmsten Viertel.»
Trotzdem gibt es immer wieder Proteste gegen Umweltzonen – etwa in Deutschland, Belgien und Frankreich. In Brüssel haben Gegner Barrieren für den Verkehr agbebaut, in Spanien haben sich einige rechtsgerichtete lokale Behörden verpflichtet, Umweltzonen zu reduzieren und Velo- und Busspuren zugunsten der Autos zu nutzen.
Einerseits werde das mit einem Gegensatz zwischen Wirtschaft und Klima begründet. Das Thema sei aber auch von verschiedenen Gruppen politisiert worden und sei nur eine Facette eines «Kulturkriegs». Dieser umfasse auch den Kampf gegen 15-Minuten-Städte, gegen autofreie Zonen oder Beschränkungen für Holzöfen. «Einige der Gegner von ULEZ im Vereinigten Königreich sind der Meinung, dass die städtebaulichen Massnahmen Teil einer globalen Verschwörung sind, die den Menschen durch Massenüberwachung und Geldstrafen ihre Freiheiten nehmen will», heisst es etwa im Text.
Auch in Koblenz bezahlen SUV nun mehr
Anfang Monat machte Paris Schlagzeilen, weil eine Mehrheit von 54,5 Prozent der Befragten für eine deutliche Erhöhung von Parkgebühren für SUV gestimmt hatte. An der Abstimmung, zu der 1,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner aufgerufen wurden, hatten sich allerdings nur sechs Prozent beteiligt.
Damit wird nun der Plan der Stadtverwaltung durchgesetzt, der vorsieht, dass die Gebühren für das Parkieren mit SUV und schweren Fahrzeugen im Zentrum der französischen Hauptstadt 18 statt sechs Euro pro Stunde kosten soll. In den Aussenbezirken werden die Tarife von 4 auf 12 Euro pro Stunde erhöht. Nicht betroffen davon sind Menschen, die ihr Auto im eigenen Quartier abstellen. Die neue Regel soll ab dem 1. September greifen. Doch Paris ist nicht alleine. Auch in Städten wie Koblenz werden SUV-Fahrer künftig stärker zur Kasse gebeten.
Wie der «Tagesspiegel» schreibt, wird die 115’000 Einwohner zählende Stadt in Rheinland-Pfalz die Tarife für die Parkausweise für Anwohner erhöhen. Diese kosteten bisher pauschal 30,70 Euro pro Jahr. Ab dem 1. März nun soll sich die Gebühr nach der tatsächlich in Anspruch genommenen Strassenfläche richten.
Besitzer von grossen Autos wie SUVs müssen demnach deutlich mehr fürs Parkieren bezahlen. Koblenz will damit «das starke Missverhältnis hinsichtlich der Gebühren für die Nutzung des bewirtschafteten, öffentlichen Parkraums beseitigen».
Die Gebühren für den Bewohnerparkausweis werden neu wie folgt berechnet: Der Grundbetrag von 23,40 Euro wird multipliziert mit der Länge und Breite des Fahrzeugs in Metern. Es gilt eine Mindestgebühr von 100 Euro pro Jahr. Für einen smart fortwo werden nach Berechnungen der Stadt etwa 105 Euro pro Jahr fällig, für den Kompakt-SUV VW Tiguan hingegen 196 Euro.
Einen ähnlichen Weg geht auch Tübingen, wo Besitzer eines SUV 180 statt 120 Euro jährlich für die Parkkarte bezahlen müssen. In der Schweiz hat sich etwa das Stadtparlament von Lausanne dafür ausgesprochen, Parkplätze künftig nach Flächenverbrauch zu bepreisen und die Stadt allgemein für SUV unattraktiver zu machen (Mobimag berichtete).
Das brachte das 9-Euro-Ticket Geringverdienern
Zwischen Juni und August 2022 gab es in Deutschland das 9-Euro-Ticket. Für den Preis von 9 Euro pro Monat erlaubte das Abo die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in ganz Deutschland.
Die einmalige Aktion war ein grosser Erfolg: 27 Millionen – etwa jeder dritte Einwohner – nutzten das Abo. Deshalb wurde das «Deutschlandticket» als Nachfolge eingeführt, das für den Preis von 49 Euro pro Monat die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs im ganzen Land erlaubt. Auch dieses hat zu einem starken Anstieg der ÖV-Nutzung geführt, auch wenn die Finanzierung nicht langfristig gesichert ist (Mobimag berichtete).
Doch wie profitieren Menschen mit tiefem Einkommen und solche mit Kindern von solchen Abos insbesondere vom 9-Euro-Ticket?
Dieser Frage ist Caroline Rozynek von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main nachgegangen. Ihre Studie namens «Imagine the financial barrier to public transport use disappears. The impact of the 9-Euro-Ticket on the mobility and social participation of low-income households with children» wurde vor kurzem im Journal «Transport Policy» veröffentlicht.
Wie Rozynek schreibt, konnte sie mit qualitativen empirischen Methoden – nämlich 12 Interviews mit Menschen aus Haushalten mit tiefem Einkommen und Kindern aus dem Raum Hannover – nachweisen, dass das 9-Euro-Ticket die Mobilität und die soziale Teilhabe von Haushalten mit tiefem Einkommen erhöht hat.
«Die Befragten assoziieren mit dem 9-Euro-Ticket Freiheit, Freude darüber, ihren Kindern etwas bieten zu können, sowie finanzielle und psychische Entlastung. Darüber hinaus ermöglichte das 9-Euro-Ticket den Befragten Freizeitaktivitäten, Verwandtenbesuche, trug zur Integration bei, hatte eine stärkende Wirkung, insbesondere für Frauen und Kinder, und stellt somit eine Massnahme zur Erhöhung der gesellschaftlichen Teilhabe dar», so Rozynek.
Nach den drei Monaten des 9-Euro-Tickets hingegen stelle die Finanzierung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für einkommensschwache Haushalte erneut eine Herausforderung dar, «und finanzielle Engpässe hindern sie daran, bestimmte Orte zu erreichen und an ausserhäuslichen Aktivitäten teilzunehmen». Das 9-Euro-Ticket habe die Nutzung des öffentlichen Verkehrs und damit das Verkehrsverhalten und die soziale Teilhabe einkommensschwacher Haushalte mit Kindern verändert und diesen erst die Nutzung des ÖV ermöglicht.
Die Forscherin hat aus den Resultaten sechs Vorschläge für die Politik formuliert. Erstens sei eine starke Reduzierung des Preises ein wirksames Mittel, um einkommensschwachen Haushalten mit Kindern den Zugang zum ÖV zu ermöglichen und ihre soziale Teilhabe zu erhöhen. Zweitens beweise die von den Befragten beschriebene geistige, räumliche und zeitliche Freiheit durch das 9-Euro-Ticket das Potenzial eines solchen Angebots, die selbstbestimmte Mobilität und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu erhöhen. Drittens sollte bezahlbarer ÖV nicht nur Teil von verkehrspolitischen Debatten sein, sondern auch von sozialpolitischen.
«Viertens ist der durch den öffentlichen Verkehr induzierte Verkehr nicht per se ein negativer Effekt, sondern kann ein Erfolg sein, wenn es darum geht, Bevölkerungsgruppen, die sich keine Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr leisten können, die soziale Teilhabe zu ermöglichen», schreibt Rozynek. «Fünftens muss in die ÖPNV-Infrastruktur und deren Qualität investiert werden, wenn langfristig mehr Menschen den ÖPNV nutzen sollen. Die Befragten machen deutlich, dass überfüllte Fahrzeuge und Bahnhöfe als problematisch und für Kinder sogar gefährlich empfunden werden. Sechstens sollte der Erfolg einer Verkehrsmassnahme wie dem 9-Euro-Ticket nicht in erster Linie daran gemessen werden, ob es zu einer Verlagerung vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel gekommen ist».
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