Der ZVV hängt die Stadt Zürich vom Flughafen ab – «Bedeutung dürfte etwas abnehmen» 🆓

Der Flughafen Zürich
Der Flughafen Zürich verliert direkte Züge. Bild: Philipp Dubach / Unsplash

Zehntausende Einwohner der Stadt und Region Zürich verlieren ihren direkten Zug an den Flughafen. Das sehen die neuesten Planungen des Zürcher Verkehrsverbunds (ZVV) vor. Anwohner aus Süddeutschland profitieren hingegen von schnelleren Verbindungen an den grössten Schweizer Airport.

von Stefan Ehrbar
30. März 2021

Die Passagiere am Flughafen Zürich reisen zur Mehrheit mit dem öffentlichen Verkehr an. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2017 betrug der Wert 55 Prozent (Link zur Studie). Das dürfte ein Rekordwert unter den Lufthansa-Hubs sein. Zum Vergleich: In Wien lag der Wert im gleichen Jahr bei 51,7 Prozent, in München war der ÖV-Anteil im Jahr 2019 bei unter 50 Prozent. Nur zehn Minuten dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof zum grössten Schweizer Flughafen, unzählige Fernverkehrszüge und S-Bahnen halten direkt unter dem Flughafen.

Doch jetzt plant der zuständige Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) eine Verschlechterung der Anbindung. Künftig werden sogar Bewohner der Stadt Zürich vermehrt umsteigen müssen. Dafür profitieren Anwohner aus dem anliegenden Ausland von besseren Verbindungen. Konkret sind folgende Änderungen geplant:

  • Die S16, die heute das linke Zürichseeufer mit dem Flughafen Zürich verbindet, fährt neu nicht mehr an den Flughafen, sondern voraussichtlich als S-Bahnlinie M von Stäfa via Meilen, Stadelhofen und Oerlikon nach Niederweningen.
  • Damit verlieren nicht nur Zollikon, Küsnacht, Erlenbach, Winkel, Herrliberg und Feldmeilen ihren direkten Zug an den Flughafen, sondern auch ein Grossteil der Stadt Zürich: Ab Stadelhofen und ab Hardbrücke verkehrt künftig kein Zug mehr direkt zum Airport. Davon dürften etwa 100’000 Einwohner direkt betroffen sein. So viele wohnen in den Kreisen 4 und 5 rund um den Bahnhof Hardbrücke sowie im Seefeld und im Kreis 7 rund um den Bahnhof Stadelhofen.
  • Laut Angaben des ZVV reisten zuletzt knapp 300’000 Menschen jedes Jahr mit der S16 alleine zwischen Stadelhofen und dem Flughafen. Insgesamt reisen vom linken Zürichseeufer, Tiefenbrunnen und Stadelhofen derzeit etwa 470’000 Menschen jährlich an den Flughafen – ein Teil davon nutzt allerdings die S6 oder S7 und steigt um.
  • Zwischen Zürich-Wiedikon und Zürich-Flughafen sowie zwischen Zürich-Wollishofen und dem Flughafen wird es künftig keinen direkten Zug mehr geben, zeigt der Liniennetzplan 2035 des ZVV. Davon dürften noch einmal Tausende betroffen sein. Im Kreis 3, in dem der Bahnhof Wiedikon liegt, leben beispielsweise über 50’000 Menschen. Auch Kilchberg und Rüschlikon verlieren ihren direkten Flughafenzug.

Die Pläne sollen mit dem «Ausbauschritt 2035» umgesetzt werden, der für die Zürcher S-Bahn einen Quantensprung bedeutet.

Die Änderung bei der S16 geht darauf zurück, dass die Kapazität im Furttal, Unterland, Kloten und Wallisellen ausgebaut werden soll. Ein solcher Ausbau wäre laut Aussagen des Regierungsrats nicht möglich, wenn die S16 weiterhin an den Flughafen fahren würde. Denn rund um den Bahnhof Oerlikon kämen sich Züge dabei in die Quere. Lösen liesse sich das Problem nur mit dem Bau einer Entflechtung in Form einer Brücke. Das könne aber wegen der knappen Platzverhältnisse vor Ort nicht umgesetzt werden. Eine weitere Alternative, der Bau einer Güterumfahrungslinie, damit zwischen Hardbrücke und Oerlikon mehr Personenzüge fahren könnten, wäre hingegen zu teuer, so der Regierungsrat.

Die direkt Betroffenen müssen künftig auch die Gleise wechseln. Ein Umsteigen am selben Perron ist weder in Stadelhofen noch Oerlikon möglich. Dafür wird die S7 am Zürichseeufer neu den ganzen Tag bis Stäfa im Viertelstundentakt fahren, die S6 und S16 viertelstündlich bis Meilen.

ZVV-Sprecher Thomas Kellenberger bestätigt die Planungen. «Wie das Netznutzungskonzept zeigt, können mit dem Ausbauschritt 2035 ab diesen Bahnhöfen keine Direktverbindungen mehr an den Flughafen angeboten werden», sagt er zu Mobimag. Für die Zürcher S-Bahn werde nach der Pandemie langfristig eine Nachfragesteigerung prognostiziert. Einerseits werde dafür neue Infrastruktur geschaffen, etwa mit dem Brüttenertunnel und dem Ausbau des Bahnhof Stadelhofen. Andererseits sei es «zwingend erforderlich, dass die Infrastruktur optimal ausgelastet werden kann. Das kann nur durch eine weitere Systematisierung des Angebots erreicht werden, womit auch eine gewisse Konzentration der Linien einhergeht.»

Das Angebot werde mit dem Ausbauschritt 2035 fast im ganzen Kanton wesentlich ausgebaut – auch auf der Achse Zürich Hauptbahnhof – Oerlikon – Flughafen. Dort würden künftig 12 Verbindungen pro Stunde und Richtung in einer im Vergleich zu heute gleichmässigen Verteilung angeboten, sagt Kellenberger. «Mithin entsteht ein 5-Minuten-Takt». Am linken und rechten Zürichseeufer würden jeweils Viertelstundentakte angeboten.

An den Flughafen entstünden «während des ganzen Tags durchgehend Reisemöglichkeiten mit guten und kurzen Umsteigemöglichkeiten – entweder in Zürich HB oder für das linke Ufer auch in Oerlikon. Für das einfache Reisen mit Gepäck sorgen niederflurige Fahrzeuge sowie an den Bahnhöfen Lifte und in Zürich HB auch Rolltreppen sowie relativ kurze Wege.» Kellenberger merkt zudem an, «dass Reisende an den Flughafen vor und nach der S-Bahn auch den Weg von Ihrem Wohnort an den Bahnhof sowie am Flughafen von den Gleisen zu den Check-Ins und zum Gate zurücklegen müssen.»

Grundsätzlich werde den umsteigefreien Verbindungen an den Flughafen gemessen an der Nachfrage «tendenziell eine sehr hohe Bedeutung zugemessen», so der ZVV-Sprecher. «Aufgrund des dichteren Angebots dürfte das künftig jedoch ein bisschen abnehmen.»

Andere können sich hingegen freuen. Gewisse Verbindungen zum Flughafen werden deutlich aufgewertet. Profitieren werden Passagiere auf diesen Strecken:

  • Zwischen Zürich-Wipkingen und Zürich-Flughafen soll künftig wieder jede Viertelstunde eine S-Bahn verkehren.
  • Zwischen Kemptthal, Effretikon, Bassersdorf und Zürich-Flughafen wird ebenfalls jede Viertelstunde eine S-Bahn fahren (statt alle 30 Minuten).

Diese Änderungen sind bereits im Netznutzungskonzept 2035 hinterlegt, welches das Bundesamt für Verkehr im Februar 2021 publizierte. Es bildet die Grundlage für die künftige Nutzung des Eisenbahnnetzes, entspricht aber keinem definitiven Fahrplan. Änderungen an der Planung sind möglich.

Besser erschlossen wird der Flughafen Zürich künftig auch aus dem Ausland – vor allem aus Richtung München. Hier stehen nicht mehr Verbindungen zur Diskussion – fürs Erste bleibt es bei sechs täglichen Verbindungen pro Richtung auf der Strecke Zürich-München. Angedacht ist eine Erhöhung auf ganzjährig sieben tägliche Züge, ein konkretes Datum steht aber dafür noch nicht.

Ab Dezember 2021 sollen die Züge aber erneut beschleunigt werden und damit die Strecke zwischen München und Zürich in 3 Stunden und 30 Minuten (gegenüber heute über 4 Stunden) zurücklegen.

Damit wird der Flughafen Zürich für viele Passagiere aus dem deutschen, österreichischen und ostschweizerischen Raum attraktiver. Das zeigen folgende Reisezeitverkürzungen, die ab 2021 umgesetzt werden sollen:

  • München-Zürich Flughafen: 3h 22 Minuten (statt 4h 1 Minuten)
  • Buchloe-Zürich Flughafen: 2h 40 Minuten (statt 3h 10 Minuten)
  • Memmingen-Zürich Flughafen: 2h 15 Minuten (statt 2h 45 Minuten)
  • Lindau-Zürich Flughafen: 1h 24 Minuten (statt 1h 54 Minuten)
  • Bregenz-Zürich Flughafen: 1h 16 Minuten (statt 1h 40 Minuten)
  • St. Margrethen-Zürich Flughafen: 1h 15 Minuten (statt 1h 17 Minuten)

Diese Verschiebungen könnten dem Flughafen Zürich helfen, wenn es um das Anlocken von Passagieren aus dem deutschen Grenzgebiet geht – besonders um die ÖV-affinen. Denn nun verschieben sich die Gewichte im Vergleich der Flughäfen München und Zürich.

Während heute beispielsweise die Fahrt von Buchloe mit dem ÖV an den Zürcher Flughafen rund doppelt so lange dauert wie jene an den Flughafen München, wird sich das künftig auf einen Zeitunterschied von noch etwa mehr als einer Stunde einpendeln – dafür ist die Anreise nach Zürich ohne Umsteigen möglich.

Wer in Memmingen wohnt, ist heute fast eine Stunde schneller am Flughafen München als in Zürich. Künftig wird sich dieser Zeitunterschied noch auf etwa 20 Minuten belaufen – dafür ist der Zürcher Airport ohne Umsteigen erreichbar. Das ist ein wichtiges Argument für Flugreisende mit viel Gepäck. Für Flugreisende aus Lindau oder Bregenz wiederum wird der Flughafen Zürich sogar deutlich attraktiver sein als jener in München – zumindest, was die Anreise mit dem ÖV betrifft.

Noch sind diese Verbesserungen allerdings nicht in trockenen Tüchern. Sie können nur umgesetzt werden, wenn die «Astoro»-Züge, die auf dem Eurocity München-Zürich eingesetzt werden, bis Ende 2021 die Stromsysteme an der Grenze während der Fahrt wechseln können. Das wird «dynamische Transition» genannt – ein Verfahren, das künftig auch an der italienischen Grenze zum Einsatz kommen soll und kürzere Fahrzeiten ermöglicht. Noch hat der Hersteller der Züge, Alstom, mit diesem Verfahren seine Probleme, vor allem im Zusammenhang mit dem Zugsicherungssystem ETCS Baseline 3. Wenn er diese nicht bis Ende 2021 in den Griff bekommt, dann wird sich die Verbesserung des Angebots auf dieser Strecke weiter verzögern.

Ewig währt dieser Vorteil allerdings nicht: Gemäss der aktuellen Planung für den Horizont 2035 sollen die Eurocity-Züge aus München künftig den Flughafen nicht mehr bedienen und stattdessen ab Winterthur via Wallisellen ohne Halt nach Zürich fahren.



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2 Kommentare

  1. Im Artikel wird der Wegfall der Direktverbindungen vom linken Seeufer und Stadelhofen zum Flughafen Verbesserungen der Verbindungen München – Zürich Flughafen gegenübergestellt. Es wird aber übersehen, dass gemäss aktuellem Planungsstand Ausbauschritt 2035 auch die Züge Richtung München nicht mehr am Flughafen halten werden.

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