Der Deutschlandtakt ist in Gefahr, weil die Bundesregierung deutlich weniger Geld ausgeben darf. Güterbahnen warnen in drastischen Worten. Ausserdem im Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Berlin will auf vielen Strassen wieder Tempo 50 statt Tempo 30 – und so wurden die Niederlande zum Velo-Paradies.
von Stefan Ehrbar
9. Februar 2024
Kahlschlag beim Bahn-Ausbau in Deutschland
Deutschland will mit dem Deutschlandtakt ein Jahrhundert-Ausbauprojekt auf der Schiene umsetzen – eigentlich. Denn wie in den letzten Tagen bekannt wurde, will die Bundesregierung den Rotstift ansetzen. Für dringend nötige Ausbauten soll viel weniger Geld gesprochen werden als geplant.
«Mit dem Ausbau der Bahn lässt man es erst einmal sein», schreibt das Portal spiegel.de. Diesen Schluss lege eine kürzlich an den Aufsichtsrat versandte bahninterne Liste nahe. Erstellt habe das Dokument die Infrastruktursparte der Deutschen Bahn (DB) «InfraGo».
Hintergrund der Kürzungen ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches 60 Milliarden Euro aus dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds gestrichen hat. Die deutsche Regierung musste deshalb einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr erstellen, in dem viele Ausgaben gekürzt wurden, wie etwa der «Deutschlandfunk» berichtete.
Für die Bahn bedeutet das Urteil, dass für sie geplante Gelder aus dem Fonds nicht oder nur teilweise zur Verfügung stehen oder anderweitig aufgetrieben werden müssen. Im Papier schreibt der Vorsitzende des InfraGo-Vorstands, es habe einer kurzfristigen Priorisierung der Infrastrukturmassnahmen bedurft. Weil weniger Geld fliesse, würden fast alle Mittel für den Bestand gebraucht, um das Netz zu sanieren.
«Für die Bahnstrecken, die für eine Erweiterung der Kapazitäten im ohnehin überlasteten Netz nötig wären, ist daher kaum noch Geld da», heisst es im Artikel. Die von der grossen Koalition ausgedachte Idee des Deutschlandtaktes werde damit Utopie bleiben, die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Verdoppelung der Verkehrsleistung auf der Schiene bis 2030 sei kaum zu erreichen.
«Die Bahnliste ist ein Hilferuf, sie deutet aber auch auf ein massives Haushaltsloch beim Staatskonzern hin. Statt der ursprünglich veranschlagten 45 Milliarden Euro stehen der Bahn nur noch knappe 27 Milliarden zur Verfügung», heisst es im Artikel.
Betroffen von den Kürzungen seien verschiedenste Projekte wie etwa die Planung einer digitalen S-Bahn in Hamburg oder eine sinnvolle Anbindung des Fehmarnbelt-Tunnels zwischen Dänemark und Deutschland. Kritik an den geplanten Kürzungen äusserte auch der Verband der Güterbahnen, denn auch mehrere Projekte für den Güterverkehr sind betroffen.
«Es mangelt nicht an Geld in Deutschland. Autobahnen sollen weiterhin ausgebaut werden. Es fehlt der Wille, das politische Ziel zur Verkehrsverlagerung realpolitisch anzugehen und Geld und Planungskapazitäten vom Strassenbau abzuziehen», wird Peter Westenberger, der Geschäftsführer des Verbands, in einer Mitteilung zitiert. Aus- und Neubau von Strecken seien nicht optional, sondern Voraussetzung für Verkehrsverlagerung.
Berlin will weniger Tempo 30 – mit Folgen
Die Berliner Umwelt- und Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) will auf vielen Hauptstrassen in der deutschen Hauptstadt wieder Tempo 50 statt Tempo 30 signalisieren lassen. Weil sich die Luftqualität verbessert habe, müssten die vor Jahren aus Umweltgründen angeordneten Tempo-30-Abschnitte auf 34 Hauptstrassen aus rechtlichen Gründen wieder aufgehoben werden, argumentiert sie.
Tempo 30 soll bleiben, wo es der Verkehrssicherheit wegen notwendig ist – etwa, weil Schulen an einer Strasse liegen – oder wenn die Grenzwerte weiterhin nicht eingehalten sind. Das dürfte auf lediglich sieben Hauptstrassen der Fall sein. Am Entscheid gibt es nun heftige Kritik – etwa von Oliver Schwedes, der bis 2023 als Gastprofessor das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der Technischen Universität Berlin geleitet hat.
In einem Interview mit dem Portal rbb24.de sagt er, es gebe zwar einen Rechtsrahmen, der es nicht einfach mache, Tempo 30 einzuführen, weshalb man früher auf das Argument der Luftqualität zurückgegriffen habe. «Aber wir kennen seit vielen Jahren eigentlich viele weitere Gründe, warum man Tempo 30 einführen sollte», sagt er.
Der jetzige Rechtsrahmen mache das zwar nicht einfach, aber man könne auch umgekehrt argumentieren und sagen, dass die Luftqualität wegen Tempo 30 verbessert wurde und man nun nicht wieder das Gegenteil riskieren wolle.
Für den Verkehrsfluss und die Verkehrsmenge mache es keinen relevanten Unterschied, ob Tempo 30 oder Tempo 50 signalisiert seien. «Tempo 30 wirkt sich nicht negativ auf die Kapazitäten der übergeordneten Strassen aus, die davon betroffen sind. Umgekehrt treten aber eine ganze Reihe von positiven Effekten ein, die mit einer Reduzierung auf Tempo 30 einhergehen», sagt Schwedes.
Dazu gehöre vor allem die Sicherheit. «In einer Gefahrensituation ist der Bremsweg bei Tempo 50 entsprechend länger, und an derselben Stelle ist die Aufprallkraft auf den Menschen dann entsprechend grösser und in der Summe haben sie dann mehr Unfälle, schlimmere Unfälle und die Wahrscheinlichkeit von Todesfällen steigt dementsprechend auch.»
Wie die Niederlande zum Velo-Paradies wurden
Die Niederlande gelten als weltweites Vorbild, wenn es um die Förderung des Velofahrens geht. In kaum einem anderen europäischen Land hat das Zweirad einen so hohen Anteil an der Verkehrsmittelnutzung und kaum irgendwo ist das Velofahren durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten so beliebt.
In Amsterdam, Rotterdam oder Utrecht beispielsweise ist der Anteil des Velos an den zurückgelegten Wegen viel höher als in Schweizer Städten wie Zürich, Basel oder Bern. Wie die Niederlande dies erreicht haben, hat Chris Bruntlett, der Autor von «Building the Cycling City: The Dutch Blueprint» nun in einem Artikel auf dem Portal globalcyclingnetwork.com erklärt.
«Orte, an denen mehr Menschen mit dem Velo und weniger mit dem Auto fahren, sind für alle besser, ob Velofahrer oder nicht», heisst es im Artikel. Die Strassen in den Niederlanden seien oft ruhig, die Luft sei sauber, Fussgänger würden unbekümmert zwischen Trottoir und Strasse hinweg laufen.
Laut Bruntlett ist das kein geografischer Zufall, sondern Ergebnis mutiger Kampagnen, mutiger Politik und bewusster Stadtplanung.
«In den Städten der Niederlande greifen die meisten Menschen nicht von sich aus zum Autoschlüssel, wenn sie einkaufen, ihre Kinder zur Schule oder zur Arbeit bringen wollen», sagt der Experte. In einer Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2019 hätten 62 Prozent der Niederländer angegeben, dass ihr Hauptverkehrsmittel an einem typischen Tag ein Velo oder ein Roller sei oder eine Kombination davon sei.
Bruntlett räumt ein, dass auch in den Niederlanden noch immer 47 Prozent der Fahrten mit dem Auto unternommen werden. Aber weil sich so viele Menschen für andere Verkehrsmittel entscheiden würden, fühlten sich insbesondere innerstädtische Fahrten ganz anders an als in den meisten Städten der Welt.
Niederländische Städte machten das Autofahren unbequem und sorgten dafür, dass Velofahren und öffentliche Verkehrsmittel schnell, einfach und angenehm seien. Es gebe hochwertige, rot asphaltierte und abgetrennte Velowege, die breit genug seien, damit man Seite an Seite mit Freunden auf dem Velo fahren und sich unterhalten könne. Das Veloweg-Netz sei lückenlos, das Umsteigen zwischen Velo und ÖV an den Bahnhöfen einfach mit sicheren Abstellplätzen und genügend Platz fürs Velo in den Zügen.
«Gleichzeitig, und das ist vielleicht das Wichtigste, sind die Städte so gestaltet, dass Autofahren langsam und langwierig ist», heisst es im Artikel. Die Fahrtrouten innerhalb der niederländischen Städte sind laut Bruntlett «ein wenig indirekt, ein wenig umständlich, da der Verkehr auf die Umgehungsstrassen gelenkt wird, damit er nicht durch die Wohn- und Geschäftsviertel der Stadt fliesst». Zudem seien die Parkmöglichkeiten eingeschränkt und es gebe Beschränkungen für Autos mit hohem Schadstoffausstoss.
Nicht erwähnt wird allerdings im Artikel, dass auch in niederländischen Städten das Auto noch höhere Anteile hat als etwa in Zürich oder Bern und dass der ÖV dafür vergleichsweise tiefe Anteile aufweist. Inwiefern niederländische Städte als Vorbild für die Schweiz gelten, ist deshalb umstritten (Mobimag berichtete).
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