Die Nachtzüge in Europa wurden auf einen Schlag deutlich teurer. Die Empörung ist gross. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Das Deutschlandticket gilt ab Januar voraussichtlich nicht mehr überall im Land – und darum steigt die Zahl der tödlichen Unfälle mit Fussgängern in den USA so stark an.
von Stefan Ehrbar
15. Dezember 2023
Das steckt hinter den Nachtzug-Preiserhöhungen
Mit grossem Tamtam wurde diese Woche die neue Nachtzug-Verbindung der ÖBB von Berlin nach Paris eröffnet – eine Strecke, die in der Vergangenheit bereits von mehreren Gesellschaften bedient wurde, seit 2020 allerdings nicht mehr. Nun fährt wieder ein Nightjet auf der Strecke, zunächst dreimal wöchentlich, später soll er jeden Tag verkehren.
Doch gleichzeitig hat die ÖBB ein neues Preissystem eingeführt: Von einigermassen fixen Preisen hat sie sich verabschiedet und dynamische Preise eingeführt. Dieses «Yield Management» ist vor allem aus der Airline-Branche bekannt: Die Preise richten sich nach der Nachfrage. Wenn sie hoch ist – beispielsweise in Schulferien – steigen sie automatisch, dafür sind sie in Nebenverkehrszeiten tiefer.
Der Grundgedanke hinter diesem Preissystem ist, eine konstant hohe Auslastung zu erreichen und gleichzeitig die Erlöse zu maximieren. Doch nach Ansicht vieler Kritiker hat die ÖBB den Bogen überspannt.
Wie Timo Grossenbacher, der Betreiber der Schweizer Plattform night-ride.ch auf seinem Blog vorrechnet, wurden die Preise teils drastisch erhöht. Er hat dafür zufällig zehn Daten aus den nächsten drei Monaten herausgesucht und alte mit den neuen Preisen für die Kategorie «Sparschiene Komfort Semi-Flex» verglichen. Im Durchschnitt seien die Preise um 184 Prozent erhöht worden, schreibt er.
Das trifft auch auf die Nightjet-Linien aus der Schweiz nach Europa respektive umgekehrt zu – etwa auf den NJ 408 von Berlin nach Zürich. Ein Platz im 6er-Abteil eines Liegewagens kostet für eine Fahrt zwischen dem 12.12.2023 und dem 28.2.2024 demnach zwischen 100 und 165 Euro, für ein 1er-Abteil im Schlafwagen Deluxe werden zwischen 495 und 775 Euro pro Person fällig.
Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» spricht die ÖBB nicht von einer Erhöhung der Preise, sondern von einer «breiteren Preisspanne». Wie die Zeitung schreibt, werde ein Bett im Schlafwagen-Zweierabteil von Zürich nach Wien aber auch bei längerfristiger Buchung etwa 50 Prozent teurer als bisher, nämlich 300 Euro. Selbst die Businessclass bei der Swiss sei billiger. Mit neuen Zügen hat die Preiserhöhung nichts zu tun: Diese sind auf dieser Strecke noch nicht im Einsatz.
Der Zugblogger Sebastian Wilken, der das Online-Magazin «Zugpost» herausgibt und sich seit Jahren mit Nachtzügen beschäftigt, schreibt auf dem Kurznachrichtendienst Mastodon: «Über Nacht erhöht nun die ÖBB so massiv die Preise, dass sich kein normaler Mensch mehr eine Nachtzugfahrt leisten kann. Ein Staatsunternehmen baut erst einen Hype auf, um dann – der Markt regelt! – nach allen Regeln der Kunst abzuzocken.»
Der Aufschrei über die Preiserhöhungen dürfte auch damit zu tun haben, dass die Reise mit dem Nachtzug nun in den meisten Fällen deutlich teurer wird als das Fliegen, obwohl die Verbindungen zumindest teilweise subventioniert sind und von der ÖBB in Zusammenarbeit mit anderen Staatsbahnen betrieben werden. Zudem sind dynamische Preise gerade für Familien, die umweltfreundlich verreisen wollen, ein Nachteil: Sie können oft gar nicht anders, als während der Schulferien zu verreisen – also dann, wenn die Nachfrage und dementsprechend die Preise hoch sind.
Das Deutschlandticket gilt nicht mehr überall
Seit dem Mai dieses Jahres gibt es in Deutschland das sogenannte «Deutschlandticket». Es erlaubt zum Preis von 49 Euro pro Monat die Nutzung des gesamten öffentlichen Nahverkehrs im Land. Dazu zählen Regional- und Stadtbusse genauso wie S-Bahnen, U-Bahnen oder Regionalzüge.
Das Ticket ist die Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets, das im Sommer 2022 angeboten wurde und das Millionen von Menschen auf den öffentlichen Verkehr brachte. Beim Deutschlandticket übernehmen der Bund und die Länder einen grossen Teil der anfallenden Kosten, und zwar je hälftig. Allerdings ist die Finanzierung nicht gesichert. Bund und Länder streiten sich derzeit um die Kostenteilung über Mai 2024 hinaus. Zudem wurde auch schon eine Preiserhöhung diskutiert. Diese Woche wurde nun bekannt: Ab 1. Januar gilt das Deutschlandticket nicht mehr überall.
Der Kreistag des Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt hat beschlossen, Zuschüsse in der Höhe von über 40’000 Euro für die Periode von Januar bis April nicht mehr zu bewilligen. Dieser Entschluss wurde mit Stimmen aus der CDU, der FDP und der Partei ProAltmark gefällt.
Auf sechs Buslinien in der Stadt Stendal und 35 Linien im Landkreis gilt das Deutschlandticket deshalb voraussichtlich ab 1. Januar nicht mehr. Wer damit fahren will, muss ein Busticket der lokalen Verkehrsbetriebe kaufen. Weiterhin genutzt werden kann das Deutschlandticket im Landkreis beispielsweise für Regionalzüge.
Die Vorsitzende des Kreistags Annegret Schwarz (CDU) begründet den Entscheid damit, dass der Betrag in keinem Verhältnis zur Nutzbarkeit stehe. Zudem sei der Landkreis stark verschuldet und nicht genügend Menschen würden den Bus nutzen. Kritiker befürchten, dass nun andere Landkreise nachziehen und das Deutschlandticket insgesamt auf der Kippe stehen könnte.
Denn die Finanzierung bereitet auch anderswo Sorgen. Wie die «Frankfurter Rundschau» berichtet, gibt etwa der Münchner Verkehrsverbund an, durch das Deutschlandticket Einnahmen im mittleren dreistelligen Millionenbereich zu verlieren. Dem stünden Mehreinnahmen durch zusätzliche Verkäufe im unteren einstelligen Millionenbereich gegenüber.
Darum gibt es in den USA mehr tödliche Fussgänger-Unfälle
Seit 2009 steigt die Zahl der tödlichen Unfälle mit Fussgängern in den USA wieder an. Nachdem sie seit 1980 von 40 Todesfällen pro eine Million Einwohner pro Jahr auf etwa 15 gesunken war, hat sie seither wieder auf etwa 22 Todesfälle pro Million Menschen zugenommen. Im Jahr 2021 starben in den USA über 7300 Fussgänger. Warum diese Zahl wieder zugenommen hat, hat die «New York Times» in einer grossen Daten-Analyse zu beantworten versucht.
Das Phänomen sei in anderen, vergleichsweise wohlhabenden Ländern nicht zu beobachten, schreibt die Zeitung. Und: Fast der gesamte Anstieg geht auf mehr Unfälle in der Nacht zurück. Diese ist definiert als Zeit zwischen 19 Uhr und 7 Uhr morgens. Auch das ist nur in den USA so zu sehen und in den anderen analysierten Ländern Kanada, Australien, Grossbritannien und Frankreich nicht.
Im Jahr 2021 starben drei von vier in einen tödlichen Unfall verwickelte Fussgängerinnen und Fussgänger in den USA in der Nacht. «Das ist etwas, das unser Berufsstand, offen gesagt, übersehen hat», wird Rebecca Sanders zitiert, die Gründerin von Safe Streets Research and Consulting.
«Dieser Trend kommt zu einer wachsendem Kluft zwischen den USA und anderen Ländern bei den Verkehrstoten hinzu», heisst es im Text. «Die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf lokalen Strassen sind in den USA oft höher, Gesetze und kulturelle Verbote gegen gefährliches Fahren können schwächer sein, und die amerikanische Infrastruktur wurde in vielerlei Hinsicht so gestaltet, dass sie rasende Autos ermöglicht.»
Deshalb könnten US-amerikanische Strassen und die Fussgänger auf ihnen besonders anfällig sein für neue Risiken wie Smartphones und grössere Fahrzeuge. Aber auch das sei nur ein Teil des Bildes.
Nicht zu unterschätzen ist der Effekt der Helligkeit. Michael Flannagan, pensionierter Professor an der Universität von Michigan, sagt, die Zunahme sei «ein reiner Effekt des Tageslichts oder der Dunkelheit», der für die zu Fuss Gehenden «enorm» sei.
In der Dunkelheit sieht man Fussgängerinnen und Fussgänger schwerer als andere Verkehrsteilnehmer. Sie tragen in der Regel keine reflektierenden Kleider, und amerikanische Strassen wurden auch nicht speziell im Hinblick auf dieses Risiko entwickelt, heisst es im Artikel.
Dies erklärt allerdings immer noch nicht, weshalb das Phänomen so stark auf die USA beschränkt ist. Die Autoren ziehen insbesondere das Innere der Fahrzeuge als Erklärung heran. «Dort hantieren Lenker mit ihren Smartphones und immer komplexer gewordenen Anzeigen auf dem Armaturenbrett», heisst es. Zudem seien die Fahrzeuge immer schwerer und kräftiger geworden.
Kaum verändert haben dürften sich hingegen Gründe wie Alkohol, Geschwindigkeitsübertretungen oder Müdigkeit. «Was sich geändert hat, ist die Menge an Technologie, mit der wir uns umgeben», wird David Strayer zitiert, ein Verkehrspsychologe von der Universität von Utah. Allerdings sind auch Smartphones kein alleiniges amerikanisches Phänomen.
Die Zeitung schreibt als weitere Erklärung, in den USA gebe es fast nur Automaten, die im Gegensatz zu geschalteten Autos ermöglichen, die Hände für das Smartphone und andere Aufgaben frei zu haben. Zahlen zeigten, dass US-Amerikaner fast dreimal so viel Zeit mit Telefonieren während des Fahrens verbringen als beispielsweise Menschen aus Grossbritannien. Gleichzeitig geben US-Amerikaner öfter als andere an, während dem Fahren abgelenkt zu sein.
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