
Die meisten Autos in Europa werden als Occasionen gekauft. Leasingfirmen als wichtigste Akteure im Markt entscheiden deshalb über die Elektrifizierung. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Elektrovelos senken den Ölbedarf drastisch – und ein altes Urteil erklärt, warum deutsche Städte voll von Autos sind.
von Stefan Ehrbar
24. November 2023
Der Einfluss der Leasingfirmen auf die Elektrifizierung
So schnell wie die Fahrzeugflotte in der Europäischen Union (EU) derzeit elektrifiziert wird, werden bis im Jahr 2035 etwa 33 Millionen Haushalte in der Union Zugang zu Elektroautos auf dem Occasions-Markt haben. Das hat die NGO «Transport & Environment» (T&E) ausgerechnet.
Zum Vergleich: In der EU gibt es knapp 200 Millionen Privathaushalte. Der Bedarf kann deshalb voraussichtlich nicht gedeckt werden. Das Angebot könnte allerdings erhöht werden, wenn Leasing-Firmen vermehrt auf Elektroautos setzen würden, heisst es in einem neuen Artikel der NGO.
Vier von zehn Autos, die jedes Jahr in der EU auf den Gebrauchtwagenmarkt kommen, stammen laut dem Artikel aus dem Leasingsektor. Gleichzeitig kaufen fast acht von zehn EU-Bürgern ihr Auto aus zweiter Hand, insbesondere solche mit tiefen und mittleren Einkommen.
T&E fordert deshalb die sieben grössten europäischen Leasingunternehmen dazu auf, ab 2028 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zu verleasen, sondern nur noch elektrisch betriebene Fahrzeuge. Der gesamte Sektor soll dies bis 2030 tun.
Wenn die Firmen dies befolgen würden, könnten bis 2035 zusätzliche 18 Millionen Elektroautos auf den Occasionsmarkt kommen, eine Zunahme um 56 Prozent gegenüber der Prognose. Noch wichtiger sei aber, dass acht Millionen dieser Autos weniger als 10’000 Euro auf dem Zweitmarkt kosten würden. So könnten sich auch Haushalte mit tieferen Einkommen ein Elektroauto leisten.
Damit könnten sie auch Geld sparen: Laut einer Studie der Konsumentenorganisation BEUC sparen Haushalte fast 6000 Euro über eine Zeitspanne von sieben Jahren, wenn sie ein Elektroauto statt eines Verbrenners nutzen. Denn der Strom ist deutlich günstiger als Benzin oder Diesel. Deshalb sei ein grosser Zufluss in den Occasionsmarkt so wichtig, schreibt T&E.
Allerdings sieht es derzeit noch nicht so aus, als dass Leasingfirmen die Vorgaben erreichen würden. Obwohl sie in ihrer Werbung davon sprechen, führend zu sein bei der Elektrifizierung, würden sie sich nicht schnell genug in Richtung Elektrifizierung bewegen. Beispielsweise habe noch keine einzige der grossen Leasingfirmen ein Enddatum für Verbrenner kommuniziert, und die Firmen adaptierten Elektroautos auch nicht schneller als der Markt.
«Es ist keine Untertreibung zu sagen, dass Leasingfirmen die Elektrifizierung beschleunigen und für 80 Prozent der Bevölkerung demokratisieren können», wird Stef Cornelis von T&E zitiert. «Sie sind sowohl ökologisch als auch sozial in der Pflicht».
Darum sind Elektrovelos so wichtig
Fast die Hälfte aller Pendlerfahrten in Australien werden mit dem Auto zurückgelegt. Die durchschnittliche Entfernung beträgt dabei weniger als 10 Kilometer. Von den 4,2 Millionen täglichen Autofahrten in Perth entfallen 2,8 Millionen auf Strecken von weniger als 2 Kilometer. In den USA finden 60 Prozent aller Autofahrten auf Strecken von weniger als 10 Kilometern statt.
Um dem Klimawandel Herr zu werden, ist es essenziell, solche Fahrten klimaverträglicher abzuwickeln. Welche Rolle dabei Elektrovelos spielen könnten, hat das Portal «Ars Technica» in einem neuen Artikel untersucht. Der Umstieg auf Elektrovelos oder Elektroroller sei der naheliegende Schritt, schreiben die Autoren – und zwar nicht nur wegen der Emissionen, sondern auch, weil diese Gefährte in der Anschaffung und im Betrieb viel günstiger sind als Autos.
Derzeit verdrängen Elektrovelos und -mopeds laut dem Artikel viermal so viel Öl wie alle Elektroautos der Welt. Das liege daran, dass sie sich in China und anderen Ländern, in denen Mopeds schon länger ein gängiges Verkehrsmittel sind, schnell verbreiten.
Im letzten Jahr seien weltweit über 20 Millionen Elektroautos für Private und 1,3 Millionen gewerbliche Elektrofahrzeuge wie Busse, Lieferwagen und Lastwagen unterwegs gewesen. Doch diese Zahlen würden von zwei- und dreirädrigen Elektrofahrzeugen «völlig in den Schatten gestellt». Im vergangenen Jahr sind weltweit demnach über 280 Millionen Elektromopeds, -velos, -scooter und -dreiräder gezählt worden.
Alleine dieser Fuhrpark senkt die weltweite Ölnachfrage um eine Million Barrel Öl pro Tag, heisst es im Artikel mit Verweis auf Zahlen von Bloomberg. Das entspricht etwa einem Prozent des gesamten Ölbedarfs der Welt. Wenn sich solche Fahrzeuge also auch in anderen Ländern stärker durchsetzen würden, könnte der Bedarf nach Öl noch drastischer gesenkt werden.
Elektroautos würden zwar «als Wunderwaffe gegen Abgase und Luftverschmutzung in den Städten gepriesen, da ihre Auspuffemissionen gleich null sind». Wenn sie mit erneuerbarem Strom aufgeladen werden, seien sie sogar noch grüner. Aber: «Sie sind zwar sauberere Autos, aber sie sind immer noch Autos, die Platz auf den Strassen brauchen und viel Strom für ihren Antrieb benötigen. Durch ihre Batterien sind sie schwerer als herkömmliche Autos und benötigen viel Energie aus seltenen Erden.» Kleinere zwei- und dreirädrige Gefährte würden viel besser abschneiden.
Warum überall Autos rumstehen dürfen
Städte in Deutschland sind «vollgestopft mit Autos», schreibt diese Woche die deutsche «Tageszeitung» – und geht der Frage nach, warum das so ist. «Ganze Strassenzüge sind vom sogenannten ruhenden Verkehr besetzt. Es scheint, als gehöre das Auto zur Stadt wie Möbel zur Wohnung», heisst es im Text.
Dass dem so sei, habe viel mit der Rechtslage zu tun – und einem bestimmten Urteil. Denn bis in die 1960er-Jahre sei der Besitz eines Autos in Deutschland an den Besitz eines privaten Stellplatzes gekoppelt gewesen. Was heute radikal erscheine, sei damals geltendes Recht gewesen.
Geändert habe sich das erst mit einem – im negativen Sinne – «bahnbrechenden» Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 1966, das als «Bremer Laternenpark-Urteil» bekannt geworden ist.
Zurück ging die Entscheidung auf einen Kaufmann aus Bremen, der seit 1957 seinen Lieferwagen über Nacht in der Nähe seiner Wohnung am Strassenrand abgestellt hatte statt auf dem privaten Stellplatz. Abmahnungen zog der Mann vor die Gerichte und erhielt schlussendlich Recht.
Das Bundesverwaltungsgericht als letzte Instanz hatte zu entscheiden, ob das dauerhafte Parkieren eines privaten Autos im öffentlichen Raum unter den Gemeingebrauch fällt oder nicht. Dieser garantiert allen Menschen einen gleichen und kostenfreien Zugang zu öffentlichen Flächen wie Strassen oder Stadtparks, heisst es im Artikel. «Das Prinzip: Jeder, der nicht gegen den Zweck des Gemeingebrauchs handelt, darf die öffentlichen Flächen nutzen.»
Bis zum Urteil im Jahr 1966 waren Strassen laut der deutschen Strassenverkehrsordnung dem fliessenden Verkehr vorbehalten und nur kurzes Parkieren zum Be- und Entladen erlaubt.
«Doch mit der rasanten Motorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Anforderung immer schwerer einzuhalten. Die Anzahl an Autos übertraf die der privaten Stellplätze, sodass frischgebackene Autobesitzer:innen notgedrungen damit begannen, ihre Autos einfach am Strassenrand abzustellen», heisst es im Artikel. «Vielerorts wurde dies von den Kommunen geduldet, auch wenn es streng genommen einen Verstoss gegen die geltende Rechtslage bedeutete.»
Auf diese Entwicklung nahmen auch die obersten Richter Bezug. Die «Tageszeitung» zitiert aus dem Urteil. Dort schrieb das Gericht: «In einer stürmischen Entwicklung seit Anfang der fünfziger Jahre ist das Automobil in der Bundesrepublik (…) zu einem Gebrauchsgegenstand aller Bevölkerungskreise geworden. Diese Entwicklung hat der Staat nicht nur geduldet, sondern gefördert.»
Deshalb erweise sich das Abstellen von Autos über Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen an öffentlichen Strassen «als grundsätzlich den Verkehrsbedürfnissen entsprechend und als gemeinverträglich».
Das Urteil räumte laut dem Artikel dem Auto ein Privileg ein, das die Stadtbilder dauerhaft veränderte und sich in der Rechtsprechung verankert habe. Die Frage sei nun, ob das Urteil noch zeitgemäss sei. Der Verkehrssoziologe Andreas Knie sagt, es sei «völlig aus der Zeit gefallen». Die Motorisierung sei längst kein Staatsziel mehr, im Gegenteil. Angesichts des Pariser Klimaabkommens und des Klima-Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 sei nun der Klimaschutz ein wichtigeres Staatsziel. Aufgrund dessen könnte ein Präzedenzfall angestrengt werden.
Schreiben Sie einen Kommentar