Sind Lastenvelos gefährlicher als gedacht? // Frankfurt führt Tempo 20 ein // Autolobby verwässert neue Abgasnormen

Lastenvelos sind schwer – und damit gefährlicher. Bild: ruediger_schoen/Pixabay

Ein deutscher Unfallforscher warnt: Unfälle mit Lastenvelos gehen fast immer schwerer aus als solche mit normalen Zweirädern. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Frankfurt führt in der Innenstadt Tempo 20 ein – und die Automobil-Lobby verwässerte die neue Abgasnorm Euro 7.

von Stefan Ehrbar
10. November 2023

Die Gefahr durch die Lastenvelos

Sind Lastenvelos eine grössere Gefahr für Fussgängerinnen und Fussgänger als gedacht? Dieser Frage geht diese Woche das Portal spiegel.de nach, ausgehend von einem neuen Crashtest, den die deutsche Unfallforschung der Versicherer (UDV) in Münster durchgeführt hat.

Dazu wurden verschiedene Unfall-Szenarien mit Dummies analysiert. Laut Unfallforscher Siegfried Brockmann vom UDV wurden zwar Autos oder Lastwagen im Verkehr nicht weniger gefährlich und sind immer noch deutlich gefährlicher als Velos. Damit befasse man sich aber seit langem.

Anders sehe es aus bei Unfällen, in die Velofahrerinnen und -fahrer und Fussgänger involviert sind. Über diesen Konflikt sei lange nicht ernsthaft diskutiert worden, «weil alle immer so tun, als ob beide im selben Boot sitzen». Dem sei aber nicht so.

Während im deutschen Strassenverkehr während der Coronajahre so wenige Menschen verunglückten wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr, seien die Unfallzahlen bei den Velofahrern hoch geblieben. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland demnach über 75’000 verunglückte Velofahrerinnen und -fahrer und fast 23’000 verunglückte E-Bike-Fahrer. Über 720 Menschen kamen bei Zusammenstössen zwischen Velofahrern und Fussgängern zu Schaden, 13 verstarben bei solchen Unfällen.

Zum Teil hat das laut dem Artikel mit der Zunahme des Veloverkehrs zu tun, aber auch damit, dass die Velos immer schneller, grösser und schwerer werden. Das liegt vor allem an Elektro- und Lastenvelos. E-Bikes werden bereits erfasst: In Deutschland verunglückten 2022 doppelt so viele E-Bike-Fahrer wie drei Jahre zuvor. Bei Cargovelos allerdings gibt es noch blinde Flecken.

Dabei wächst dieser Markt stark – und es handelt sich laut dem Forscher um Gefährte, mit denen viele noch keine Erfahrung haben. Laut Brockmann sind Kollisionen zwischen den meist elektrisch angetriebenen Lastenvelos und Fussgängern immer gefährlicher als solche zwischen normalen Velos und Fussgängern, weil die Geschwindigkeit und die Masse das Unfallgeschehen «dramatisch beeinflussen».

Die Crashtests mit Dummies zeigten laut Brockmann, dass bei Kollisionen mit Lastenvelos oft mit schlimmen Verletzungen zu rechnen ist, etwa weil in Tests der Kopf oft auf der Fahrbahn anschlug, was fast immer zu schweren Verletzungen führt.

Brockmann plädiert deshalb für getrennte Velowege, die exklusiv den Velos vorbehalten sind. Im Umkehrschluss sollten Fussgängerwege ausschliesslich dem Fussverkehr zugänglich sein und ÖV-Haltestellen sollten so geplant werden, dass beim Aussteigen keine Velowege gekreuzt werden müssen. Zudem sollten Fussgängerzonen nicht für Velos freigegeben werden. «Denn so, wie das Auto in vielen Fällen der Stärkere ist, so sind Radfahrer gegenüber Fussgängern stärker», heisst es.

Frankfurt führt Tempo 20 ein

Die deutsche Finanzmetropole Frankfurt am Main mit etwa 750’000 Einwohnerinnen und Einwohnern führt im Dezember eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 20 Kilometern pro Stunde in Teilen der Innenstadt ein.

Zunächst soll das neue Tempolimit rund um die Börse signalisiert werden, danach in weiteren Strassen. Das berichten verschiedene deutsche Medien. Der zuständige Verkehrsdezernent Wolfgang Siefert von den Grünen bezeichnet laut der «Frankfurter Rundschau» eine autoarme Innenstadt als sein erklärtes Ziel. Wenn weniger Autos unterwegs seien, steige die Aufenthaltsqualität. Deshalb sollen neben dem neuen Tempolimit auch Parkplätze wegfallen.

Zudem sollen anreisende Gäste die Parkhäuser nutzen. Nicht betroffen vom neuen Geschwindigkeitsregime sind die Ein- und Ausfallstrassen, auf denen weiterhin 50 Kilometer pro Stunde gefahren werden kann.

Anders als in vielen Städten steht auch der Handel hinter diesen Plänen. Joachim Stoll, der Vizepräsident des Einzelhandelsverbands Hessen-Süd begrüsst laut dem Artikel die «lang geplante Umsetzung der Verkehrsberuhigung». Diese komme der Aufenthaltsqualität zugute. Wichtig sei, dass Parkhäuser erreichbar blieben.

Zudem fordert Stoll eine Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, und es sei wichtig, die Sauberkeit und Sicherheit nicht aus den Augen zu verlieren. In vielen europäischen Städten gehe der Trend in Richtung weniger Autos und mehr Grün und Schatten. Das würden die Menschen laut Stoll auch von Frankfurt erwarten.

Skeptischer ist hingegen die CDU. Frank Nagel, der bei der Frankfurter Ortspartei für den Verkehr zuständig ist, begrüsst zwar die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Ob Tempo-20-Zonen dafür geeignet seien, wisse er aber nicht. Zudem sei es schwer, in der engen Innenstadt den Verkehr zu überwachen, denn für Geschwindigkeitskontrollen brauche es bestimmte Mindestabstände.

Autolobby verwässert neue Abgasnorm

Die Europäische Union plant die Einführung der neuen Abgasnorm Euro 7. Allerdings hat der Umweltausschuss der EU im Oktober für eine Verschiebung der Einführung gestimmt. Die Euro-7-Norm im Jahr 2025 wird damit für neue Autos zwei- bis dreieinhalb Jahre später in Kraft treten, wie «Auto Motor und Sport» berichtet.

Mehr noch: Wie der «Guardian» diese Woche berichtet, ist es der Automobil-Lobby gelungen, die neue Euro-7-Norm zu verwässern. «Nach intensiver Lobbyarbeit ist die EU im Begriff, ein bahnbrechendes Gesetz zur Umweltverschmutzung durch Autos zu verwässern, was nach Ansicht von Experten Gesundheits- und Umweltkosten in Höhe von schätzungsweise 100 Milliarden Euro verursachen wird.»

Der Artikel stützt sich auf eine Analyse, die das «Consortium for Ultra-low Vehicle Emissions» (Clove) für den Guardian und das Online-Medium Voxeurop erstellt hat.

Demnach geht die Hälfte der ursprünglich geplanten Einsparungen durch die neue Euro-7-Norm für Auto-Emissionen aufgrund von Schäden durch Stickstoffoxid durch Abschwächungen wieder verloren. Dieses Gas ist der Hauptschadstoff, der von Verbrennungsmotoren und insbesondere von Dieselmotoren freigesetzt wird. Laut dem Artikel ist Stickstoffoxid für 49’000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr in der EU verantwortlich.

Das Konsortium Clove war ebenfalls in die Erarbeitung von Euro 7 involviert und empfahl, die Menge an Stickstoffoxid, die neue Fahrzeuge ausstossen dürfen, deutlich zu reduzieren und die realen Fahrbedingungen bei den Zulassungstests zu verschärfen.

Allerdings haben sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten im September darauf geeinigt, dass die Grenzwerte für Stickstoffoxid und auch für andere Schadstoffe wie ultrafeine Partikel beinahe gleich bleiben sollen. Auch bei den Zulassungstests sind gegenüber der aktuellen Norm Euro 6 kaum Änderungen geplant. Die einzig wichtige Reform besteht laut dem Artikel darin, dass erstmals Grenzwerte für Partikelemissionen von Reifen und Bremsen geregelt werden sollen.

Dies sei auf das Lobbying der Automobilindustrie zurückzuführen. Die Autohersteller hätten den ursprünglich schärferen Vorschlag der EU-Kommission als «völlig unverhältnismässig» kritisiert. Er führe zu hohen Kosten für die Industrie und die Kundinnen und Kunden.

Clove geht allerdings davon aus, dass die strengeren Normen zwar Mehrkosten von 30 Milliarden Euro für die Hersteller bedeutet hätten, gleichzeitig aber einen erwarteten Nutzen von 182 Milliarden Euro durch die Verringerung der Verschmutzung erzielt hätten.

«Die Automobilhersteller setzten sich dafür ein, dass die vorgeschlagenen Reformen verwässert werden. Aus E-Mails und Protokollen, die der Guardian und Voxeurop dank Anträgen auf Informationsfreiheit erhalten haben, geht hervor, dass die Kommission stark vom Verband der europäischen Automobilhersteller (Acea) beeinflusst wurde», heisst es im Artikel. Bei einem geheimen Treffen am 1. Juni 2022 zwischen Vertretern des EU-Binnenmarktkommissars Thierry Breton und dem damaligen Acea-Vorsitzenden hätten sich die Autohersteller etwa für die Beibehaltung der alten Regeln stark gemacht.

Der EU-Vertreter soll dem Lobbyisten, der gleichzeitig Vorstandsvorsitzender von BMW ist, versichert haben, dass die EU zwar ehrgeizige, aber «machbare» Anforderungen stellen werde. Im November 2022 stellte die Kommission ihre Vorschläge vor und übernahm dabei weitgehend die von der Industrie vorgeschlagenen Grenzwerte.

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