
Zwischen Paris und Mailand verkehren keine Hochgeschwindigkeitszüge mehr. Das hat Einfluss auf die Schweiz. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Amsterdam setzt auf grossflächiges Tempo 30 – und drei Massnahmen würden die Emissionen der Schiff- und Luftfahrt wirksam reduzieren.
von Stefan Ehrbar
6. Oktober 2023
Längere Zeit keine Züge über die Savoyen
Am 27. August hat ein Erdrutsch in Saint-Andrè en Savoie in Frankreich direkt hinter der italienischen Grenze für eine Sperrung der Bahnstrecke gesorgt. Gemäss Medienberichten haben sich 700 Kubikmeter Gestein gelöst.
In der Folge musste der internationale Verkehr zwischen Frankreich und Italien auf dieser Strecke eingestellt werden. Auf dieser Verbindung zwischen Paris und Mailand führen die französische SNCF und Trenitalia Hochgeschwindigkeitszüge.
Die Sperrung dürfte noch länger anhalten, wie diese Woche bekannt wurde. Wie «Le Figaro» berichtet, geht François Ravier, der Präfekt von Savoyen, davon aus, dass der Bahnverkehr für fast ein Jahr unterbrochen sein dürfte.
Ursprünglich planten die SNCF und Trenitalia, ab November wieder die Strecke zu befahren. Trenitalia führte bis vor dem Erdrutsch drei Züge pro Richtung und Tag zwischen Paris, Lyon und Mailand respektive Turin mit den Frecciarossa-Zügen.
Reisende, deren Verbindung annulliert wird, können eine Rückerstattung des Ticketpreises oder eine kostenlose Umbuchung über eine andere Route verlangen, schreibt die Zeitung.
Ein Problem wird der Unterbruch nicht nur für Reisende zwischen Frankreich und Italien, sondern auch für den Wintertourismus. Die SNCF will während der Weihnachts- und Winterferien nun Reisende mit TGV-Zügen bis Saint-Michel-de-Maurienne fahren, von wo aus Ersatzbusse die Skifahrer zu den Skigebieten der Haute-Maurienne bringen sollen.
Ausweichen auf die Strasse ist nur bedingt möglich: Der Mont-Blanc-Tunnel wird wegen Bauarbeiten vom 16. Oktober bis 18. Dezember geschlossen. Die Bahnen empfehlen alternative Reisewege – etwa von Paris mit TGV Lyria nach Zürich und von hier aus nach Mailand. Dies ist derzeit trotz Sperrung des Gotthard-Basistunnels und einer damit einhergehenden Verlängerung der Reisezeit um eine Stunde die schnellste Variante. Die zusätzliche Nachfrage auf der Strecke könnte nun dazu führen, dass die Preise steigen.
Dass Trenitalia bis vor dem Erdrutsch tägliche Hochgeschwindigkeits-Züge zwischen Mailand und Paris führte, wurde in der Vergangenheit oft als positives Beispiel der Liberalisierung angesehen. Allerdings zeigt das mit drei Verbindungen pro Tag bescheidene Angebot auch, dass solche Lösungen dem internationalen Verkehr mit Kooperationen, wie ihn etwa die SBB betreibt, nicht zwingend überlegen sind.
Amsterdam setzt auf Tempo 30
Mit Amsterdam setzt eine weitere Stadt auf Tempo 30. Wie das Portal nltimes.nl diese Woche berichtet, will die niederländische Metropole auf 80 Prozent der Strassen die Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde einführen.
Die Massnahme soll am 8. Dezember in Kraft treten. Bereits jetzt werden fast 5000 neue Geschwindigkeitsschilder aufgestellt, 170 Ampeln umgestellt und weitere infrastrukturelle Massnahmen ergriffen. Ausserdem startet die Stadtverwaltung laut dem Artikel eine Kampagne mit dem Motto «Wir fahren 30 füreinander». Mit Tempo 30 soll die Verkehrssicherheit erhöht werden und der Lärm reduziert.
Die Stadt erhofft sich vom neuen Tempolimit eine Reduktion von schweren Unfällen im Strassenverkehr um 20 bis 30 Prozent. Die Wirkung soll wissenschaftlich analysiert werden.
Auf einigen Strecken gilt Tempo 30 neu auch für den öffentlichen Verkehr. Auf anderen wird für diesen ein eigenes Trasse eingerichtet, so dass Busse und Trams weiterhin 50 Kilometer pro Stunde fahren dürfen. Auch in der Schweiz ist dieses Vorgehen bekannt: Wenn ein sogenannter «unabhängiger Bahnkörper» gebaut wird, das Trasse von Bus und Tram also von der üblichen Strasse baulich abgetrennt wird, können für diese höhere Geschwindigkeiten signalisiert werden als für den restlichen Verkehr.
Amsterdam begleitet die Einführung von Tempo 30 auf weiteren Strassen mit einer Aktion in weiterführenden Schulen. Dort sollen Jugendliche über die Änderungen unterrichtet werden.
Zudem ist laut dem Artikel ein Test in den Schulen geplant, bei dem die Schülerinnen und Schüler über die Auswirkungen eines Unfalls mit 50 oder mit 30 Kilometern pro Stunde unterrichtet werden. Ab Januar wird Amsterdam zudem Geschwindigkeitsmessanlagen aufstellen, die mit Smiley-Gesichtern je nach gefahrener Geschwindigkeit Autofahrer an das neue Tempolimit erinnern sollen.
So gelingt Emissionsreduktion in Aviatik und Schifffahrt
Der internationale Luft- und Seeverkehr sind zusammen für etwa drei Prozent der Treibhausgase verantwortlich, die jedes Jahr in die Atmosphäre gelangen. Der Luftverkehr kam 2022 auf 436 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, der internationale Seeverkehr auf 706 Millionen.
Laut dem europäischen Think Tank Bruegel ist es diesen beiden Branchen bisher nicht gelungen, die Emissionen zu reduzieren. Im Gegenteil: Während die Gesamtemissionen in der Europäischen Union seit 1990 um 30 Prozent gesunken seien, hätten jene des Luft- und Schiffverkehrs um 29 respektive 26 Prozent zugenommen. Es ist die stärkste Zunahme aller Wirtschaftssektoren.
Ein Grossteil der Emissionen der beiden Branchen werden laut einer neuen Arbeit des Think Tanks als international klassifiziert – ein Erbe des Kyoto-Protokolls. Das habe aber zur Folge, dass Regierungen weniger Anreize haben, diese beiden Sektoren zu dekarbonisieren.
Regierungen sind demnach nicht verpflichtet, klare Emissions-Reduktionspfade für den internationalen Anteil des Luft- und Seeverkehrs zu definieren. Da die Branchen zudem grenzüberschreitend tätig sind, unterliegen sie nicht nationalen CO2-Preisregelungen. Diese Ausgangslage macht es laut den Autoren sehr schwierig, das Verursacherprinzip in den beiden Branchen durchzusetzen.
Zudem würden Luftfahrt- und Schifffahrtsunternehmen steuerlich besonders behandelt. Beide Sektoren bezahlten weder Mehrwertsteuern noch Verbrauchssteuern auf Treibstoffe – anders als der Schienen- und Strassenverkehr. «Das verschafft ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Verkehrsträgern», heisst es in der Arbeit.
Besonders deutlich werde dies im Luftverkehr, wo die Beförderung von Passagieren fünfmal emissionsintensiver sei als mit der Bahn, ein Flug in Europa aber in 70 Prozent der Fälle biliger sei als ein entsprechendes Flugtickets. Unternehmen in den beiden Sektoren profitierten zudem von niedrigen Unternehmenssteuern, weil sie mehr Freiheit hätten, sich überall auf der Welt zu registrieren.
Am 7. Juli dieses Jahres hat sich die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) auf eine weltweite Strategie zur Reduktion von Emissionen geeinigt. Bis 2030 sollen diese im Vergleich zu 2008 zwischen 20 und 30 Prozent reduziert werden, bis 2040 zwischen 70 und 80 Prozent. Bis etwa 2050 soll die Schifffahrt das Ziel von Netto Null erreichen.
Die internationale Luftfahrt wiederum hat sich auf ein Schema namens «Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation» (CORSIA) geeinigt, das ebenfalls ein Ziel von Netto Null bis 2050 vorsieht. Doch laut den Autoren bringt die Festlegung von weit entfernten, ehrgeizigen Zielen ohne Definition eines klaren Weges dahin zu wenig – gerade in Industrien mit langen Beschaffungszyklen. Zudem seien die Ziele nicht rechtsverbindlich.
Doch wie müssten Regeln ausgestaltet sein, damit sie auch wirken? Der Thinktank stellt drei Massnahmen vor. Erstens sollte die Bilanzierungsmethode geändert werden, so dass die internationalen Emissionen den Abfahrts- und Ankunftsländern von Flugzeugen und Schiffen zugeordnet werden. Zweitens sollen neue verbindliche Massnahmen in internationale Verträge aufgenommen werden. Ein Beispiel dafür sind neue Normen für Schiffskraftstoffe, die grossen Einfluss auf die Emissionen haben.
Und drittens schlägt Bruegel vor, weltweit obligatorische Mindestverbrauchssteuern auf die von den beiden Industrien verwendeten fossilen Brennstoffe einzuführen. Diese Einnahmequelle könnte genutzt werden, um Klimaschutzmassnahmen zu finanzieren und wäre ein Anreiz für die Unternehmen, die Umstellung auf nicht fossile Antriebsarten zu beschleunigen. Allenfalls könnte auch eine Klimasteuer auf Flugtickets helfen, heisst es in der Arbeit.
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