Neue Autos gelten als sicherer. Das stimmt aber nur, weil die Sicherheit der Fussgänger ignoriert wird. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit Links zu spannenden Geschichten: Der Berliner Hauptbahnhof ist zu klein – und in Spanien wollen Rechte die Verkehrswende rückgängig machen. Barcelona muss deshalb einen Superblock aufheben.
von Stefan Ehrbar
29. September 2023
Sind neue Autos gar nicht sicherer?
Neue Autos sollten eigentlich sicherer sein als alte. Doch stimmt das überhaupt? Dieser Frage geht der Fernsehsender WUSA aus Washington D.C. mit Blick auf die USA nach.
Ein Problem ist laut dem diese Woche erschienenen Artikel auf dem Portal des Senders, dass aktuelle Sicherheitsratings in den USA nur die Sicherheit der Insassen von Fahrzeugen berücksichtigen, nicht aber die Sicherheit von Fussgängern. Im Artikel wird von einem «blinden Fleck» gesprochen.
Die Zahl der Verkehrstoten in den USA steige, obwohl die Testdaten der Regierung belegten, dass Fahrzeuge sicherer geworden seien. Den stärksten Anstieg bei den Verkehrstoten zeigten die Daten bei den Fussgängern und Velofahrern: Zwischen 2011 und 2022 wurde dort ein Anstieg von über 60 Prozent registriert.
Diese Entwicklung fällt laut dem Artikel mit einem steilen Anstieg der Verkäufe von SUVs, Pickup-Trucks und Vans zusammen – grosse Autos also, die eine schlechtere Sicht auf die unmittelbare Umgebung bieten.
Diese Kategorien machten laut dem Portal motorintelligence.com im letzten Jahr 78 Prozent der Neuwagenverkäufe in den USA aus.
Der nationale Verband der städtischen Verkehrsbeamten («National Association of City Transportation Officials») will nun erreichen, dass die Sicherheitsbewertungen von Fahrzeugen auch die Sicherheit von Personen ausserhalb des Fahrzeugs berücksichtigen müssen.
Jessica Cicchino, Vizepräsidentin der Nonprofit-Organisation Insurance Institute for Highway Safety wird damit zitiert, dass nicht genau geklärt sei, weshalb es eine Zunahme von tödlichen Fussgängerunfällen gebe. Die Zunahme grösserer Fahrzeuge scheine aber dazu beizutragen.
«Viele Studien haben gezeigt, dass grössere Fahrzeuge wie SUVs und Pickups Fussgänger und Velofahrer eher töten oder schwer verletzen, wenn sie in einen Unfall verwickelt sind», so Cicchino. Grosse Fahrzeuge würden Menschen eher am Kopf und an lebenswichtigen Organen treffen als am Bein. Die Bauweise der Fahrzeuge könne zudem zu Sichtproblemen führen.
SUVs und Pickups sind laut einer Studie des Instituts am häufigsten in Linksabbiegeunfälle verwickelt. Das deutet laut Cicchino daraufhin, dass es für die Lenker dieser Fahrzeuge schwieriger sein könnte, Fussgänger zu sehen. SUVs und Pickups haben zusehends grössere tote Winkel und hohe Motorhauben, welche die Sicht verschlechtern.
Berliner Hauptbahnhof ist zu klein
Im Mai 2006 wurde der neue Berliner Hauptbahnhof eröffnet. Er steht mit etwa 330’000 Reisenden pro Tag auf Platz 4 der meistgenutzten Bahnhöfe Deutschlands – nach Hamburg, Frankfurt a.M. und München.
Das markante Gebäude von Architekt Meinhard von Gerkan gilt mittlerweile als eine Sehenswürdigkeit der Stadt. Doch schon 17 Jahre nach der Eröffnung des etwa eine Milliarde Euro teuren Bahnhofs zeichnet sich ab, dass er zu klein ist. Nun will die Deutsche Bahn (DB) als Betreiberin nachrüsten, wie diese Woche der «Tagesspiegel» berichtet. Grund dafür sind auch gestiegene Fahrgastzahlen. Berlin wächst stark und zählt mittlerweile knapp 3,9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, ist aber auch bei Touristinnen und Touristen zusehends beliebt.
Der Konzernbevollmächtigte der DB für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Alexander Kaczmarek wird damit zitiert, dass es am Berliner Hauptbahnhof «schon sehr eng» werde, wenn dort Reisende mit Koffern stünden.
Wenn die Zahl der Fahrgäste gegenüber 2019 verdoppelt werden solle, wie es die deutsche Bundesregierung als Ziel bis 2030 ausgegeben hat, dann müssten zusätzliche Ausgänge für eine schnellere Leerung der Perrons gebaut werden oder die dortigen Flächen vergrössert werden.
Im Zentrum der Ausbaupläne stehen demnach die vier Regional- und Fernverkehrsgleise im oberen Teil des Bahnhofs. Die DB wolle aber nicht nur am Berliner Hauptbahnhof, sondern auch in anderen Teilen der Stadt die Infrastruktur ausbauen.
So sollen beispielsweise die Perrons am Alexanderplatz, am Zoologischen Garten oder an der Friedrichsstrasse umgebaut werden. Gemäss Kaczmarek nahmen die Fahrgastzahlen an den grössten Berliner Bahnhöfen in den letzten zehn Jahren um fast ein Drittel zu. Die Infrastruktur sei deswegen stark belastet, was auch die Pünktlichkeit belaste und ein limitierender Faktor für den Takt sei.
Spanien tritt bei Verkehrswende auf die Bremse
Vielen Verkehrsplanerinnen und -planern galt Spanien in den letzten Jahren als progressives Vorbild. Barcelona beispielsweise erlangte mit den «Superblocks» internationale Bekanntheit. Darunter wird eine Ansammlung von Häuserblocks verstanden, in denen der Autoverkehr reduziert wird und dafür das öffentliche Leben auf die Strasse verlagert wird.
Damit wollen die Städte die Aufenthalts- und Lebensqualität, aber auch die Sicherheit und das Klima in den Städten fördern. Zudem gelten Massnahmen wie Superblocks als Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel.
Barcelona setzte den ersten Superblock im Jahr 2017 um und beschloss vor drei Jahren eine Ausweitung auf weitere 21 Strassen. Doch wie andere verkehrsberuhigende Massnahmen auch erhalten die Superblocks nun Gegenwind. Das schreibt diese Woche die «Frankfurter Allgemeine Zeitung».
Es gehe wieder rückwärts in Spanien, heisst es im Artikel. «Neue Fahrradwege verschwinden, Autos bekommen mehr Platz, die Einrichtung von Umweltzonen wird um Jahre verschoben.» In Barcelona habe ein Gericht angeordnet, die grösste verkehrsberuhigte Zone in der Innenstadt rückgängig zu machen.
Die verkehrsberuhigte Zone im Carrer de Consell de Cent muss demnach wieder in eine Autostrasse zurückverwandelt werden. Auf 2,7 Kilometern war dort im Mai eine «grüne Achse» mit Bäumen eröffnet worden, auf der die Fussgänger Vorrang haben, so die Zeitung.
Die Linksregierung von Barcelona wolle bei der Energie- und Verkehrswende zur «Avantgarde» gehören, so die Zeitung. Doch seit den Kommunal- und Regionalwahlen, aus denen Konservative und Rechtspopulisten siegreich hervorgingen, schwinge das Pendel zurück, nicht nur in Barcelona.
In vielen Städten habe die konservative Partei PP keine Mehrheit und spanne deshalb mit der rechtspopulistischen Vox-Partei zusammen. Das hat Folgen. «Dort treten die Rechtspopulisten auf die verkehrspolitische Bremse. Valencia, Gijón, Logroño, Valladolid, Palma und Elche wollen Fahrradwege rückgängig machen oder auf ihnen wieder Autos zulassen», heisst es.
Umweltzonen würden von der Vox-Partei als «Teil einer globalistischen Agenda zur Schaffung einer neuen politischen Ordnung» abgelehnt, obwohl sie eigentlich gesetzlich vorgeschrieben wären. In Grossstädten wie Valencia weigere sich die Regierung deshalb, solche auszuweisen.
Mehr noch: In Valencia wollen die regierenden Parteien PP und Vox nun sogar prüfen, wie sich mehr Platz für den motorisierten Individualverkehr gewinnen lässt. Oft kritisieren Politikerinnen und Politiker dr Vox-Partei Umweltzonen und ähnliches als Angriff auf das Budget von Familien mit geringem Einkommen, denen das Geld für neue, saubere Autos fehle.
Die amtierende Regierung allerdings will sich den Widerstand gegen die verkehrsberuhigenden Massnahmen nicht bieten lassen. Die sozialistische Umweltministerin Ribera Badalona spricht von einem «Angriff auf die Gesundheit der Einwohner». Ein Gesetz der Zentralregierung sieht vor, dass Städte mit mehr als 50’000 Einwohnern bis Ende Jahr eine Umweltzone haben müssen. Dafür erhielten sie Subventionen. Ribera will diese nun deshalb zurückfordern.
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