Wenn Städte Strassen beruhigen, verlagert sich der Autoverkehr nicht einfach. Er verschwindet zu einem grossen Teil. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit den Links zu spannenden Geschichten: Die Klimabewegung hat in den letzten zwei Jahren in Deutschland viel Rückhalt verloren – und Städte mit hohem Veloanteil können auch Autostädte sein.
von Stefan Ehrbar
28. Juli 2023
Darum lohnt es sich, dem Auto Platz zu nehmen
Werden Strassen verkehrsberuhigt, so ist das Argument der Gegnerschaft nie weit: Solche Massnahmen führen dazu, dass Autofahrer alternative Routen suchen und der Verkehr in den Nachbarstrassen zunimmt. Doch was ist daran an dieser Behauptung?
Dieser Frage ist die deutsche «Tageszeitung» nachgegangen. Sie kommt zum Schluss: Die Behauptung stimmt nicht. Viel eher trifft das Gegenteil zu.
In einem Artikel beruft sich die Zeitung auf eine Auswertung des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu). Dieses hat die Folgen von Verkehrsversuchen unter anderem in Hamburg analysiert. «Die Untersuchung zeigt, dass Massnahmen, die den Autoverkehr zähmen, im erwünschten Sinne wirken: mehr Lebensqualität und zugleich Mobilität», wird Projektleiterin Uta Bauer zitiert.
Für die Studie hat das Institut 30 Verkehrsversuche in verschiedenen europäischen Ländern angeschaut, die bereits evaluiert wurden. Teilweise handelte es sich dabei um die Verkehrsberuhigung ganzer Quartiere, zum Teil auch um die Beruhigung einzelner Strassen.
Die Forscher weisen darauf hin, dass die verschiedenen Ansätze und Rahmbedingungen nicht direkt miteinander verglichen werden können. Auch wurden die Evaluationen nicht nach einheitlichen Massstäben durchgeführt. Dennoch lassen sich laut Difu Trends ablesen.
So bestätigten fast alle Erhebungen das Phänomen der «traffic evaporation». Verkehrsberuhigungen sorgen demnach dafür, dass das Verkehrsaufkommen insgesamt abnimmt. Autofahrer suchen sich also nicht einfach Alternativrouten, sondern verzichten tatsächlich auf Autofahrten.
Der Rückgang ist nennenswert: Werden Quartiere flächendeckend beruhigt, beträgt der Rückgang des gesamten Autoverkehrs 15 bis 28 Prozent. Werden gar ganze Innenstädte beruhigt, sind es zwischen 25 und 69 Prozent. Im Umfeld einzelner umgestalteter Strassen, heisst es im Artikel, nehme der Verkehr wiederum um vier bis 52 Prozent ab.
Die Autoren begründen dies damit, dass Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sich auch die Rahmenbedingungen ändern. Wenn das Zu-Fuss-Gehen und das Velofahren also attraktiver werden und das Autofahren weniger attraktiv, dann wechseln die Menschen auch aufs Velo oder unternehmen mehr Wege zu Fuss. Zudem reduzieren sie auch ihre Autofahrten, die sich nur «in moderatem Ausmass» verlagerten.
Zudem hat das Difu herausgefunden, dass verkehrsberuhigende Massnahmen in vielen Fällen zu einer besseren Luftqualität geführt haben. Zudem nähmen positive Wirkungen solcher Massnahmen mit der Zeit zu. Das Fazit der Autoren: «Massnahmen, die den Autoverkehr zähmen, wirken im erwünschten Sinne.»
Klimabewegung verliert an Rückhalt
Mit Blockadeaktionen und Protesten versuchen Gruppierungen wie die «Letzte Generation», Aufmerksamkeit für das Problem des Klimawandels zu schaffen und die Politik zum Handeln zu bewegen – nach den Klimastreiks der letzten Jahre, die zudem teilweise von anderen Gruppen organisiert wird. Doch welchen Einfluss hat diese lautere Form des Protests auf die öffentliche Meinung? Dieser Frage ist die gemeinnützige Organisation «More in Common» nachgegangen. Diese sieht sich laut eigenen Aussagen dem Thema gesellschaftlicher Zusammenhang verpflichtet und ist in mehreren Ländern aktiv.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Organisation die Frage stellt. Im Jahr 2021 führte sie eine grosse Klimastudie in Deutschland durch. Die Sorge über den Klimawandel sei damals in der Bevölkerung breit geteilt gewesen, schreibt sei. Nicht zuletzt die Klimastreiks junger Menschen hätten auf unterschiedliche Bevölkerungssegmente Eindruck gemacht und eine Mehrheit habe sich zu den Zielen der Klimaschützerinnen und Klimaschützer bekannt. Das hat sich nun allerdings geändert.
Das zeigt die quantitative Erhebung, die More In Common zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Kantar Public vom 9. bis 24. Mai durchgeführt hat. Bei gut 2000 Menschen wurde per soziodemographisch quotierter Online-Panel-Befragung nachgefragt, wie sie heute auf die Klimabewegung blicken.
Die Verschiebungen in der Bewertung der Klima- und Umweltbewegung seien «erheblich», schreibt More In Common. Die Unterstützungsbereitschaft gegenüber Klimaschützerinnen und -schützern habe sich de facto seit 2021 von 68 auf 34 Prozent halbiert.
Der Aussage «Die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland hat das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick» stimmten vor zwei Jahren noch 60 Prozent der Befragten zu. Dieses Jahr waren es nur noch 25 Prozent. Diese Verluste in der Sympathie zeigten sich «recht symmetrisch über alle unsere sechs gesellschaftlichen Typen», heisst es in einem Artikel zu den Resultaten. Das heisse, dass die Bewegung in allen Gesellschaftsteilen Reputationsverluste erleide, auch bei den Offenen oder Involvierten, die ihnen näher stünden. Bei keiner Gruppe habe die Bewegung dazu gewonnen oder ihren Stand gehalten.
Derzeit sind 85 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Bewegung «häufig mit ihren Protestaktionen zu weit geht». Zu dieser Einschätzung gebe es breite Mehrheiten in allen gesellschaftlichen Schichten, so das Institut. Im Jahr 2021 war die Bevölkerung in dieser Frage noch gespalten. Dabei würden viele Menschen die grundsätzliche Notwendigkeit von starken Aktionen für den Klimaschutz durchaus anerkennen. Das Motiv der Klima-Dringlichkeit ersetze allerdings bei den meisten Leuten nicht die Frage danach, wie man bei Aktionen vorgehe und an wen man sich damit richte. «Und in dieser Hinsicht scheint vielen der wichtigste Punkt, dass es nicht richtig sei, mit Aktionen die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Alltag treffen zu wollen», so die Autoren.
Mehr Velo heisst nicht weniger Auto
Nur weil eine Stadt für den Veloverkehr attraktiv ist und viele Velo fahren, heisst das noch nicht, dass das Auto dort weniger genutzt wird. Darüber berichtet diese Woche die «Zeit» anhand der Beispiele von Münster und Bremen.
In Münster beispielsweise gibt es eine Veloautobahn rund um die Innenstadt und das grösste Veloparkhaus Deutschlands. Jeder fünfte Weg in der Stadt wird mit dem Velo zurückgelegt – dasselbe Niveau wie in der dänischen Velo-Vorzeigestadt Kopenhagen.
Doch gleichzeitig werden noch immer 44 Prozent der Wege mit dem Auto, dem Motorrad oder dem Motorroller zurückgelegt. Zum Vergleich: In Kopenhagen sind es 24 Prozent, in Stuttgart 37 Prozent, in Zürich gar nur 25 Prozent und in Bern und Basel je 30 Prozent (Mobimag berichtete). Selbst die als «Velohölle» bekannte Metropole Berlin kommt nur auf 29 Prozent.
Noch höher ist der Anteil des motorisierten Individualverkehrs in Bremen, das vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) zur fahrradfreundlichsten Grossstadt Deutschlands gekürt wurde. Dort beträgt der Anteil von Auto & Co. 48 Prozent.
Doch was sind die Gründe dafür, dass eine offenbar mustergültige Veloinfrastruktur mit einem so hohen Anteil des Autoverkehrs einhergeht?
Die Antwort liegt einigermassen auf der Hand: In diesen Städten ist der Anteil der zu Fuss Gehenden und des öffentlichen Nahverkehrs tief. Das könnte laut dem Artikel daran liegen, dass zusätzliche Flächen für den Veloverkehr nicht immer Autos weggenommen wurden, sondern auch Fussgängern oder Bussen.
Das geschehe, wenn die Hierarchie bei der Planung nicht stimme, sagt Angela Francke, Professorin für Radverkehr und Nahmobilität an der Universität Kassel. «Eigentlich sollten neue Strassen von aussen nach innen geplant werden», sagt sie. «Erst Fusswege, dann Radwege und der Rest der Breite bleibt für den motorisierten Individualverkehr.»
Stattdessen stehe aber immer wieder im Vordergrund, dass es genug Spuren für den Autoverkehr gebe. Damit gerieten die klimafreundlichen Fortbewegungsarten in Konkurrenz zueinander. Wenn sich Velofahrer und Busse eine Spur teilen sollten, behinderten sie sich gegenseitig. «Schlecht gemachte Infrastruktur erzeugt nur ein Gegeneinander im Verkehr», sagt Francke.
Klimaschutz und lebenswertere Städte müssten nachhaltige Fortbewegungsmittel aber im Paket denken und besser verzahnen. Wenn das geschehe, würden auch längere Strecken mit einer Kombination von Velo und ÖV zurückgelegt.
In Münster beispielsweise ist der Stadtrand laut dem Artikel weniger dicht besiedelt. Dort nutzen die Menschen denn auch weniger oft das Velo, während der öffentliche Nahverkehr gleichzeitig nur eine untergeordnete Rolle spielt. Noch schlechter werde der Anteil der klimafreundlichen Verkehrsmittel, wenn man auch die Menschen aus dem Umland mit einbeziehe. Die mehr als hunderttausend Menschen, die täglich zum Arbeiten und Einkaufen nach Münster kommen, fahren demnach in drei von vier Fällen mit dem Auto in die Stadt. Das zeigt, wie wichtig ein gut ausgebauter und schneller ÖV auch in den Agglomerationen ist – nicht zuletzt für die Städte selbst.
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