
Am Chaos an Flughäfen und Bahnhöfen sei der Irrglaube schuld, Mobilität sei ein günstiges Grundrecht, schreibt das «Handelsblatt». Auch im wöchentlichen Blick aufs Ausland: In den USA knacken Elektroautos eine magische Grenze und die Bahnverbindung Zürich-Stuttgart steht auf dem Spiel.
von Stefan Ehrbar
15. Juli 2022
Muss Reisen mehr kosten?
«Was sich Deutschland bei seinen wichtigsten Verkehrsmitteln leistet, ist einfach nur noch trist», schreibt das deutsche «Handelsblatt» mit Blick auf lange Warteschlangen an Flughäfen und verspätete Züge. Europas grösste Volkswirtschaft erlebe einen «Verkehrsinfarkt».
Fluggesellschaften, Flughäfen und die Bahn hätten beim Neustart nach der schlimmsten Phase der Pandemie versagt, etwa in dem die Lufthansa zu viel Personal abgebaut habe. Die Infrastruktur der Bahn wiederum sei marode. Deutschland habe über Jahre nicht ausreichend investiert und «nicht den wahren Preis für unsere Mobilität gezahlt», so der Autor.
Jetzt müsse in Zeiten der Inflation investiert werden. «Die Folgen lassen sich nicht mehr schönreden», heisst es im Artikel. «Wer künftig von A nach B reisen will, muss mehr dafür bezahlen, egal, welches Verkehrsmittel er wählt.»
Das Preisdumping habe die Luftfahrt über die Jahre kaputt gemacht. Der Wettbewerb sei ruinös. Das zeige sich auch daran, dass deutsche Flughäfen jetzt Personal im Ausland suchten, weil niemand mehr den Job machen wolle. Das alles sei unter dem Vorwand der Demokratisierung des Reisens gegangen. «Für 40 Euro nach Mallorca reisen, das konnten sich auch weniger Betuchte leisten. Aber funktioniert das auf Dauer? Nein.»
Auch bei der Bahn führten vor allem monetäre Gründe zu Störungen. Eine als AG organisierte und damit per Definition gewinnorientierte Staatsbahn, die den Bürgern eine mobile Grundversorgung sichern soll, das passe nicht zusammen. Das Ziel, einen möglichst hohen Gewinn zu erreichen, sei kontraproduktiv.
Mobilität habe ihren Preis, so der Autor. «Wir müssen diesen künftig auch bezahlen.» Reisen zum Billigtarif sei eine Illusion.
USA: «Tipping point» für Elektroautos
In den USA waren zuletzt erstmals mehr als 5 Prozent der neu verkauften Fahrzeuge voll elektrisch betrieben. Im Vergleich zu Europa ist das zwar wenig. In der Schweiz betrug der Anteil der Elektroautos zuletzt etwa 16,4 Prozent (Mobimag berichtete). Doch diese Schwelle ist enorm wichtig.
Wie Bloomberg berichtet, handelt es sich dabei um einen sogenannten «Tipping Point». Das hätten die Elektroauto-Verkäufe in verschiedenen Ländern gezeigt. Wenn die 5-Prozent-Schwelle erst einmal erreicht sei, sei die massenhafte Verbreitung von Elektroautos nicht mehr aufzuhalten.
«Dieser Schwellenwert signalisiert den Beginn der Masseneinführung von Elektroautos und den Zeitraum, in dem sich die technologischen Präferenzen schnell ändern», schreibt das Wirtschaftsmedium. Es prognostiziert, dass Ende 2025 ein Viertel der Neuwagenverkäufe in den USA auf rein elektrische Fahrzeuge zurückzuführen sein könnten. Das wäre eines oder zwei Jahre früher, als es die wichtigsten Prognosen bisher vermuteten.
Doch warum ist die 5-Prozent-Grenze so wichtig? Bloomberg schreibt, die meisten neuen Technologien folgten einer S-förmigen Akzeptanzkurve. Dazu zählten in der Vergangenheit etwa die Elektrizität, Fernseher, Mobiltelefone, das Internet und sogar LED-Glühbirnen. «In der Anfangsphase geht der Absatz nur langsam voran», schreibt Bloomberg. «Aber sobald sich die Dinge durchgesetzt haben, geht es erstaunlich schnell.»
Die USA dürften sich in Sachen Elektroauto nun an diesem Punkt befinden. Wie schnell es danach gehen kann, zeigt das Beispiel von Norwegen: Schon knapp sechs Jahre nach Überschreiten der 5-Prozent-Marke war dort mehr als jedes zweite neu verkaufte Fahrzeug rein elektrisch betrieben.
Bahnstrecke Zürich-Stuttgart in Gefahr
Das Milliardenprojekt Stuttgart 21 mit einem neuen unterirdischen Durchgangsbahnhof dürfte negative Konsequenzen für die Bahnverbindung Zürich-Stuttgart haben, die derzeit im Zwei-Stundentakt mit direkten Intercity-Zügen über die sogenannte Gäubahn bedient wird.
Ab 2025 soll diese Verbindung nach jetziger Planung für mehrere Jahre nicht mehr möglich sein. Die Intercity-Züge sollen dann im Stuttgarter Vorortsbahnhof Vaihingen enden, wo auf den Regionalverkehr umgestiegen werden müsste.
Laut einem Bericht des Portals schiene.de bringt das massive Fahrzeitenverlängerungen mit sich. Schuld sind Verzögerungen beim zum Projekt Stuttgart 21 gehörenden Flughafenbahnhof.
Die Deutsche Bahn will den Teil der Bahnstrecke von Vaihingen in den Stuttgarter Hauptbahnhof trotz dieser Verzögerungen und ohne Vorliegen einer Alternative ab 2025 stilllegen, weil sie sonst einen Teil des Kopfbahnhofes weiter betreiben müsste.
Um diese sogenannte Panoramabahntrasse von Vaihingen zum Stuttgarter Hauptbahnhof tobt nun ein Streit: Betroffene deutsche Gemeinden haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zum Schluss kommt, dass eine Stilllegung nicht ohne eisenbahnrechtliches Stilllegungsverfahren möglich ist. Schliesslich bestehe eine Betriebspflicht. Die Gemeinden argumentieren auch damit, dass Stuttgart die freiwerdende Fläche sowieso erst in ein paar Jahren städtebaulich nutzen will.
Die Gäubahn sei keine Tingeltangel-, und auch keine Bimmelbahn ins Hinterland, sondern in Wirklichkeit eine wichtige Verbindung zwischen der Schweiz und Stuttgart, wird der Oberbürgermeister von Rottweil im Artikel zitiert. Auch Peter Füglistaler, Direktor des Schweizer Bundesamt für Verkehr, äussert seinen Unmut. «Wir sind natürlich nicht zufrieden mit der Situation, weil es unser Ziel ist, die internationalen Verbindungen auszubauen und so auch mehr Menschen in der Schweiz auf die Schiene zu bekommen», sagte er an einer Veranstaltung.
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