In und um die Stadt Bern stehen in den nächsten Jahren Erweiterungsprojekte für den ÖV an – etwa mit den Trams nach Ostermundigen und Kleinwabern. Doch an richtig grosse Brocken wagen sich die verantwortlichen Behörden nicht, wie ihre neuesten Stellungnahmen zeigen. Die RBS-Verlängerung oder ein Tram Köniz bleiben wohl Visionen.
von Stefan Ehrbar
16. Januar 2024
Die Buslinie 10 in Bern ist die meistgenutzte der Schweiz. In Stosszeiten verkehren die Gelenkbusse alle 2,5 Minuten von Schliern in der Gemeinde Köniz über den Berner Bahnhof nach Ostermundigen. Der Bus ist angesichts der hohen Passagierzahlen eigentlich das falsche Gefäss. Denn gerade wenn so dichte Takte nötig werden, steigt das Risiko von Paketbildung und unregelmässigem Betrieb – geschweige denn davon, dass ein Tram von den meisten Passagieren als komfortabler empfunden wird. Doch nur an einem Ende der Linie wird bald ein solches fahren.
Voraussichtlich Ende 2029 soll das Tram Ostermundigen vom Bahnhof Bern bis Ostermundigen eröffnet werden. Die Linie 10 wird dann auf den verbliebenen Ast von Bern nach Schliern eingekürzt.
Um einen zuverlässigeren Betrieb zu erreichen, soll die Linie per Ende 2026 auf Doppelgelenk-Trolleybusse umgestellt werden, die mehr Kapazität aufweisen. Damit kann der Takt reduziert werden. Angedacht ist derzeit ein 3,75-Minuten-Takt von Bern bis Köniz Schloss und ein 7,5-Minuten-Takt auf dem letzten Abschnitt nach Schliern in den Stosszeiten.
Allerdings ist auch ein solcher Takt immer noch dicht und beweist, dass auch auf diesem Ast die Nachfrage nach einem Tram vorhanden wäre. Im Jahr 2014 wurde ein Tram nach Köniz in einer Volksabstimmung zwar abgelehnt. Nichtsdestotrotz untersuchte der Kanton Bern letztes Jahr, ob es Zeit wäre, ein solches wieder zu planen – oder ob die RBS bis über Köniz heraus verlängert oder das Netz der BLS ausgebaut werden sollte. Dabei wurde auch die Frage untersucht, wie die Erschliessung des Inselspitals verbessert werden könnte.
Die Zweckmässigkeitsbeurteilung fiel allerdings ernüchternd aus für Visionäre. Das geht aus dem Synthesebericht hervor (Link zur PDF-Datei am Schluss des Artikels).
Untersucht wurden verschiedene Varianten:
- Eine RBS-Verlängerung bis Schwarzenburg, die die S6 der BLS ersetzen soll und grösstenteils unterirdisch verläuft
- Eine RBS-Verlängerung nur bis Köniz, die die S6 der BLS ergänzt und die Funktion der heutigen Buslinie 10 übernimmt
- Eine RBS-Verlängerung bis Köniz mit Rückbau der BLS-Bahnlinie und ein neuer Bus von Köniz nach Schwarzenburg als Ersatz auf dem letzten Abschnitt
- Eine RBS-Verlängerung bis zum Inselspital
- Ein Tram bis Schliern als Ersatz der Buslinie 10
- Ein Tram bis Köniz Zentrum
- Ein Tram bis Köniz, das ab dem Bahnhof Weissenbühl bis Köniz unterirdisch verläuft
- Ein Tram Insel Murtenstrasse (ein Tram vom Bahnhof Bern bis zur Insel entlang der Laupen- und Murtenstrasse, allenfalls mit Verlängerung Richtung Westen)
- Busbetrieb mit maximalem Takt von 3,75 Minuten
- Verbesserungen bei der BLS (etwa mit unteridischer Linienführung zwischen Fischermätteli und Köniz oder Fahrzeitverkürzung zwischen Niederscherli und Schwarzenburg).
Relativ früh verworfen wurden weitere Varianten wie eine Kombination von Tram und RBS-Verlängerung oder ein Tram, das die Buslinie 17 ersetzen würde. Dies wegen hohen Kosten, Überkapazitäten und zu geringer erwarteter Nachfrage.
Der Kanton empfiehlt nun aber, weiterhin auf eine Buslösung im Korridor Bern-Köniz-Schliern zu setzen. Die Kapazitäten dafür seien langfristig ausreichend, das Kosten-Nutzen-Verhältnis am besten. Solange die Entwicklung im Rahmen der aktuellen Prognosen von Bund und Kanton verlaufe, sei ein Wechsel von Bus auf Tram oder Bahn in den kommenden 20 oder 30 Jahren nicht notwendig. Das gelte auch für die Strecke vom Bahnhof Bern zur Insel. Der Kanton empfiehlt den Einsatz von Doppelgelenkbussen auf den Linien 10, 12 und 101, den Ausbau der Veloinfrastruktur und den geplanten Doppelspurausbau der BLS zwischen den Vidmarhallen und dem Bahnhof Köniz, der den Viertelstundentakt der S6 ab Mitte der 30er-Jahre zwischen Bern und Niederscherli ermöglichen soll.
Im Gegensatz zu früheren Prognosen rechnet der Kanton nun sogar mit einer weniger starken Wachstumsnachfrage. Das führt er auf ein geringeres Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwachstum, flächigere Verteilung davon, ein hohes Wachstum beim Veloverkehr und veränderte Mobilitätsgewohnheiten etwa wegen Homeoffice zurück.
Treffen die konservativen Prognosen allerdings nicht ein und die Nachfrage nimmt stärker zu als im sogenannten Basis-Szenario, hält der Kanton einen Wechsel vom Bus zur Variante Tram Schliern mit Tram Insel als angezeigt. Offen sei, ob ob ein solches Tram von Beginn weg bis Schliern geplant und realisiert werden soll oder zunächst nur bis Köniz.
Bevor ein solches Tram aber realisiert werden könnte, bräuchte es eine zweite Tramachse in der Stadt Bern. Ohne eine solche seien keine weiteren Tramlinien zwischen Hirschengraben und Bahnhof Bern möglich, heisst es in der Studie.
Um genau diese zweite Tramachse ist nun ein Streit entbrannt.
Dass es eine solche braucht, ist im Grundsatz unbestritten. Denn mit nur einer Tramachse ist das Berner Tramnetz einerseits überlastet. Andererseits sind grosse Teile davon schnell lahmgelegt, wenn es zu Defekten oder Unterbrüchen etwa wegen Demonstrationen kommt. Im Sommer 2023 hat die Regionalkonferenz Bern-Mittelland die Zweckmässigkeitsbeurteilung zur zweiten Tramachse vorgelegt.
Eine Linienführung ohne Nachteile gibt es laut der Konferenz nicht. Vorgeschlagen sind drei Varianten:
- Variante 1 via Speichergasse und Nägeligasse: Damit würden die bestehenden Achsen durch die Spital- und Marktgasse sowie der Hirschengraben entlastet und die nördliche und westliche Altstadt besser erschlossen. Der Raum ist allerdings knapp.
- Variante 2 via Lorrainebrücke und Viktoriarain: Damit würden die bestehenden Achsen etwas weniger entlastet als bei Variante 1, dafür würde eine grossräumige Entflechtung ermöglicht und die Variante würde neue Netzmöglichkeiten und Neuerschliessungen etwa mit der Anbindung der Schützenmatt und der Gewerbeschule Lorraine ermöglichen
- Variante 3 via Bundesgasse und Kochergasse: Die Entlastungswirkung wäre gross, weil auch der Bereich Bubenberg-/Bahnhofplatz entlastet würde. Eine kurze Tramführung zwischen Bern West und Bern Ost wäre möglich, diese Variante hätte aber längere Umsteigewege am Bahnhof zur Folge. Zudem wäre diese Achse häufig von Demonstrationen betroffen, weil sie vor dem Bundeshaus durchführen würde. Der Bund hätte zudem ein Wörtchen mitzureden beim Betrieb, denn dieser würde Gebäude des Bundes tangieren. Es ist unklar, ob er dieser Variante zustimmen würde.
Die Berner Stadtregierung hat sich im Oktober 2023 für die Variante 3 ausgesprochen. Sie halte nur diese für vertretbar. Sie sei als einzige kompatibel zur erforderlichen Weiterentwicklung des Stadtraums Bahnhof. Eine weitere Belastung des schon stark genutzten Bubenberg- und Bahnhofplatzes halte der Gemeinderat nicht für opportun. Dadurch würde eine qualitative städtebauliche Entwicklung verhindert, schreibt er.
Die städtischen Verkehrsbetriebe sehen das allerdings anders. Bernmobil hält einzig die Variante 1 für sinnvoll. Einen Teil der Trams über den Bahnhofplatz und die Speichergasse zu leiten, sei für einen zuverlässigen Betrieb die beste Option, argumentiert der Betrieb laut «Bund». Mittlerweile ist die öffentliche Mitwirkung zu Ende gegangen. Deren Ergebnisse werden erneut zur Mitwirkung aufgelegt. Bis 2025 soll eine Bestvariante eruiert werden und «die fachlichen Grundlagen für den weiteren politischen Entscheidprozess geliefert», schreibt die Regionalkonferenz.
Bis die zweite Tramachse in Betrieb geht, dürfte noch viel Wasser die Aare hinunterfliessen. Doch bis dann muss die Region Bern nicht auf eine neue Tramstrecke warten: Ende 2028 – und damit ein Jahr später als bis vor kurzem geplant – soll das Tram Kleinwabern in Betrieb gehen. Dabei handelt es sich um eine 1,4 Kilometer lange Verlängerung der Tramlinie 9 von Wabern nach Kleinwabern. Sowohl Wabern als auch Kleinwabern sind Ortsteile von Köniz, das damit doch noch rasch zu einem neuen Tram kommt. Es könnte auf absehbare Zeit das letzte gewesen sein.
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