Im «First-Class-Seat» mit dem Doppelstock-Bus nach Barcelona: Das sind die Pläne des Schweizer Nachtbus-Startup Twiliner

So soll der Twiliner-Sitz aussehen. Visualisierung: Twiliner

Das Schweizer Startup Twiliner will ab Ende Jahr Nachtbusreisen in europäische Metropolen anbieten – und einiges anderes machen als Flixbus und Co. So wurde ein ganz neuer Sitz entwickelt. Gründer Luca Bortolani sagt, welche Lücke sein Angebot schliesst, wie teuer die Fahrten werden und warum belgische Fahrerinnen und Fahrer zum Einsatz kommen.

von Stefan Ehrbar
4. April 2023

Einen solchen Sitz gab es noch nie. Um die Vision vom bequemen Nachtreisebus möglich zu machen, hat Luca Bortolani, Gründer des Schweizer Start-Up Twiliner, ihn erfunden. Zusammen mit einem englischen Hersteller von Flugzeugsitzen hat sein Team einen «First Class»-Sitz für Reisebusse entwickelt und zum Patent angemeldet. Anders als herkömmliche Bussitze lässt sich dieser nicht nur leicht kippen, sondern komplett flach legen und als Bett benutzen.

Die Schwierigkeit liegt im Rückhaltesystem: Bisher gibt es in Europa keinen solchen Sitz, der zugelassen ist. Bortolani rechnet damit, dass das seiner Firma noch diesen Sommer gelingt, wie er im Gespräch mit Mobimag verrät. Momentan werden Prototypen gebaut. Frühestens ab November oder dann Anfang 2024 soll der erste Twiliner-Nachtbus aus der Schweiz in europäische Metropolen fahren. 

Das Konzept hinter Twiliner lässt sich mit «Boutique-Bus» umschreiben. «Wir wollen einen schönen, individuell gestalteten Nachtreisebus für Europa auf die Beine stellen», sagt Bortolani. «Wenn wir es schaffen, Busreisen wirklich bequem zu machen, sind sie eine Alternative zum Fliegen. Dafür braucht es aber diesen Sitz.» Für dessen Entwicklung hat Twiliner Beiträge der Förderstelle Innosuisse erhalten und arbeitet mit der Berner Fachhochschule zusammen.

Preislich wird Twiliner Flugzeugen, aber auch Fernbus-Anbietern wie Flixbus unterlegen sein. Die erste Route, die Twiliner aufnehmen will, führt von Zürich über Bern und Genf nach Barcelona.

Ein Weg wird etwa 200 Franken kosten, inklusive Frühstück.

An wen richtet sich dieses Angebot? Seine Zielgruppe umschreibt Bortolani mit dem Begriff «mindful optimist»: «Es sind Menschen, die achtsam und bewusst reisen, denen es nicht so günstig wie möglich und schnell und laut sein muss, sondern solche, die das Reisen erleben wollen.» Zwar sei die Fahrt mit dem Bus langsamer als mit dem Flugzeug, dafür könne man arbeiten und die lästigen Wartezeiten am Flughafen entfallen. Und: «Wir richten uns an Menschen, die wissen, dass sie mit ihrem Handeln einen Einfluss auf die Welt haben.»

Seine Motivation sei, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Die Idee zu Twiliner hatte er vor vier Jahren. Vor zweieinhalb Jahren stieg der Migros-Pionierfonds ein. Mittlerweile arbeiten drei Festangestellte in der Schweiz an der Verwirklichung des Projekts, hinzu kommen verschiedene Partner. «Der Flugverkehr ist einer der grössten Treiber des Klimawandels», sagt Bortolani. «Wir glauben nicht, dass es einen Weg gibt, diesen in den nächsten Jahrzehnten klimaneutral zu gestalten.» Zwar gebe es synthetische Treibstoffe, die sogenannten SAF. Doch diese seien erst spärlich verfügbar und würden zuerst auf Langstrecken gebraucht werden. In Europa hingegen brauche es Alternativen zum Fliegen.

Diese gibt es zwar schon. Das eigene Auto sei aber für viele auf längeren Strecken keine bequeme Option, genauso wie die heute verkehrenden Fernbusse. Anders sieht es bei Nachtzügen aus: Auf Strecken, auf denen diese fahren, will Twiliner nicht angreifen. «Wir füllen mit einem bequemen Reiseangebot in die Lücke von Routen, die nicht oder nur schlecht mit dem Zug erreichbar sind.»

Ideal wäre eigentlich die Strecke von Zürich nach London. Auf dieser gebe es am meisten Verkehr und dieser sei über das Jahr hinaus relativ beständig, sagt Bortolani. Allerdings müssten alle Fahrgäste auf dieser Strecke früh am Morgen aussteigen und ihren Pass zeigen. Das sei ein zu grosses Hindernis, denn das Ziel sei, bei allen Routen sechs bis sieben Stunden Fahrt in der Nacht ohne Pause zu bieten. Twiliner wird deshalb auch keine Zwischenstopps im Ausland einlegen und dort Passagiere einsammeln.

Für den Betrieb wird Twiliner mit Buspartnern zusammen arbeiten. Die Linie Zürich-Barcelona soll von Personal der belgischen Firma Staf Cars gefahren werden. Dass kein Schweizer Buspartner zum Einsatz kommt, dürfte auch an den hohen Löhnen hierzulande liegen – mit Firmen wie Eurobus oder dem hiesigen Ableger von Dr. Richard gäbe es schliesslich naheliegende Partner. Auch Flixbus setzt bis heute keine Schweizer Fahrerinnen und Fahrer ein. Ob die Busfahrer dereinst Leerfahrten von Brüssel nach Zürich durchführen müssen, also etwa mit dem Auto die Strecke zurücklegen, um den Bus zu übernehmen, sei noch nicht klar, sagt Bortolani.

Der Bus selbst soll mit Biodiesel aus Schweizer Produktion betrieben werden. Laut Bortolani hat ein solcher Bus eine gute Klimabilanz und kommt auf 24 Gramm CO2 pro Personenkilometer. Zum Vergleich: Der Zug kommt auf der Langstrecke auf 30 Gramm, ein normaler Diesel-Reisebus auf 36, das Auto auf 209 und das Flugzeug auf 319 Gramm.

Bei den Bussen will Twiliner auf das Modell 9700 DD von Volvo setzen – der längste erhältliche Doppelstockbus. Der Bus soll im Oberdeck 18 Sitze und unten drei Sitze sowie ein grosses WC und eine Garderobe aufweisen. Eine Dusche wird es nicht geben. Gekauft oder geleast werden sollen die Busse, die in der Ausführung eines fertigen Standarbusses etwa 0,5 Millionen Franken kosten, nicht von Twiliner, sondern von den Buspartnern. Diese sollen auch an den Ticketerträgen teilhaben. Es ist dasselbe Modell, das auch Flixbus anwendet.

Das geplante Streckennetz von Twiliner.

«Wir sind überzeugt, dass es eine Nachfrage gibt im Markt», sagt Volkswirt Bortolani. Den Bedarf hätten auch Umfragen gezeigt, die Twiliner auf der SBB-Seite geschaltet habe. Der Link dazu erschien, wenn Kundinnen und Kunden dort nach längeren Zugreisen suchten. Sowieso würde Bortolani gerne mit den SBB zusammenarbeiten – idealerweise mit einer Integration in den Online-Fahrplan. 

Zunächst will Twiliner mit einem Bus starten. «Damit wollen wir vieles lernen und dann schnell wachsen», sagt Bortolani. Neue Routen könnten später relativ flexibel mit einer Vorlaufzeit von etwa einem halben Jahr aufgenommen werden. 

Zunächst aber braucht Bortolani noch einmal Geld und führt momentan Gespräche mit Investoren. «Wir möchten auch zukünftigen Kunden ermöglichen, Teil von Twiliner zu werden», sagt Bortolani. Dafür bietet er einen Teil der Twiliner Aktien über die Webseite zum Kauf an. «Wir sind eine kleine Firma, die gegen Giganten der Mobilitätsbranche antritt. Aber wir füllen mit unserem neuen Mobilitätsangebot eine Lücke. Einen bequemen Nachtbus gibt es bis heute nicht. Alle, die die Vision von Twiliner unterstützen, sind herzlich willkommen.»

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