Die SBB will 1,6 Milliarden Franken mehr für ihre Infrastruktur: Diese Projekte würde sie streichen, wenn der Bund nicht mehr Geld spricht 🆓

Gefährdet: Perronverlängerungen zwischen Effretikon und Wetzikon. Parpan05/Wikimedia/CC BY-SA 3.0

Die Bahn will für den Unterhalt und die Erneuerung ihrer Infrastruktur in der Periode von 2025 bis 2028 etwa 1,6 Milliarden Franken mehr, als der Bundesrat vorschlägt. Sie warnt in drastischen Worten vor den Folgen, sollte der Forderung nicht entsprochen werden und nennt konkrete Sparopfer. Der Bund meldet Zweifel an.

von Stefan Ehrbar
14. November 2023

Der SBB reicht 7,7 Milliarden Franken nicht. So viel Geld will ihnen der Bund für die Jahre 2025 bis 2028 für den Betrieb und Erhalt der Infrastruktur bezahlen. Das wären 100 Millionen Franken mehr als in der derzeit laufenden Vierjahresperiode, teuerungsbedingt aber sechs Prozent weniger. Die SBB fordert 9,3 Milliarden Franken, wie aus einem Schreiben herausgeht, das sie kürzlich im Rahmen der Vernehmlassung an den Bund schickte. Diese ging Ende Oktober zu Ende.


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Die Bahn warnt in drastischen Worten vor den Folgen, sollte ihrer Forderung nicht entsprochen werden. Mit den vorgesehenen Mitteln werde sie nicht in der Lage sein, die Anforderungen des Bundes zu erfüllen. Eine «strukturelle Unterfinanzierung» werde mittel- bis langfristig eine eingeschränkte Verfügbarkeit der Infrastruktur zur Folge haben. Das führe zu Streckensperrungen oder Abschnitten, auf denen langsamer gefahren werden muss.

Es drohe eine Überalterung der bestehenden Anlagen, «was mit einer generellen Zunahme der inhärenten Sicherheitsrisiken verbunden ist». Verbesserungen der Sicherheit seien nicht möglich: So könnten etwa Bahnhöfe, auf denen es schon heute eng ist, nicht ausgebaut werden.


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Damit nicht genug. Die SBB listet eine Fülle von negativen Konsequenzen auf. Schon heute könnten Regional- und Nebenstrecken nicht ausreichend erneuert werden. Mit noch weniger Geld steige aber auch das Risiko von Störungen und Ausfällen auf Hauptstrecken. Der Zustand der Infrastruktur könne mit den vom Bund vorgesehen Mitteln nicht gehalten werden, und der Rückstand beim Erhalt der Infrastruktur werde weiter zunehmen.

Die SBB nennt konkrete Massnahmen, auf die sie verzichten müssten. Dazu gehören:

  • Perronverlängerungen, die den Einsatz längerer Züge ermöglichen, etwa zwischen Effretikon ZH und Wetzikon ZH oder Coppet und Genf,
  • Massnahmen für mehr Züge auf viel befahrenen Strecken, sogenannte Zugfolgezeitverkürzungen, konkret solche zwischen Olten und Aarburg, Zofingen und Emmenbrücke, Genf und Morges und Neuenburg und Biel,
  • wichtige Projekte im Güterverkehr wie die digitale Kupplung, die den zuletzt defizitären inländischen Güterverkehr effizienter machen sollen und
  • die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes, die sich weiter bis gegen Ende der dreissiger Jahre verzögern könnte.

Die SBB begründet ihre Forderung nach 9,3 Milliarden Franken damit, dass die Teuerung in den letzten Jahren hoch gewesen sei. Werde diese herausgerechnet, verlange sie nur 2,4 Prozent mehr pro Jahr – ein ähnlicher Mehrbedarf wie in den letzten Jahren. Dass dieser Betrag zunimmt, begründet die Bahn damit, dass ihre Infrastruktur in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewachsen sei.

So seien S-Bahn-Systeme in Zürich und Genf gebaut und die Bahn 2000 fertiggestellt worden. Der Gotthard- und Ceneri-Basistunnel und die Durchmesserlinie in Zürich gingen in den Besitz der SBB über. «Die betreffenden Anlagen müssen unterhalten und teilweise bereits erneuert werden», schreibt die Bahn.

Mittel für den Ausbau der Bahninfrastruktur sind politisch oft unbestritten. Der sogenannte Ausbauschritt 2035, der wichtige Ausbauten bis etwa ins Jahr 2040 umfasst, wurde beispielsweise vom Parlament von 11,5 Milliarden Franken, die der Bundesrat sprechen wollte, auf 12,9 Milliarden Franken erhöht. Dafür wurden weitere Ausbauprojekte aufgenommen.

Für Politiker ist es attraktiv, Ausbauten zu forcieren, weil sie damit beweisen können, etwas für ihre Wählerschaft zu tun. Doch zusätzliche Infrastruktur zieht Folgekosten nach sich. Jeder zusätzliche Meter Schiene verursacht nach der Eröffnung Kosten für den Unterhalt und die Erneuerung, die über die Leistungsvereinbarung bezahlt werden müssen. Wenn das Angebot ausgebaut wird, braucht es auch neues Rollmaterial und Depots.

In der Vergangenheit zeigte sich die SBB deshalb zusehends skeptischer gegenüber Ausbauwünschen des Parlaments. In ihrer Stellungnahme warnt sie nun: Wenn der Zahlungsrahmen für den Infrastruktur-Unterhalt nicht erhöht wird, droht sich der nächste Ausbauschritt zu verzögern. Dazu gehören unter anderem der Ausbau der Bahnstrecke Zürich-Winterthur mit dem Brüttener Tunnel, der für die Ostschweiz zentral ist, oder der Zimmerberg-Basistunnel II, der die Fahrzeit zwischen der Zentralschweiz und Zürich verkürzen soll.

Damit diese Projekte nicht weiter verzögert werden, müsse die SBB laut ihrem Schreiben schon jetzt möglichst viele Erneuerungen durchführen. Sonst würden diese Arbeiten in die Periode 2029 bis 2032 verschoben. Dann aber wären schon Arbeiten für den Ausbauschritt geplant. Weil die personellen und technischen Ressourcen sowie die möglichen Bauintervalle begrenzt sind, sei absehbar, dass wegen der vorgesehenen Mittelkürzung «die Umsetzung der Ausbauschritte zeitlich nach hinten verschoben werden muss», so die SBB.

Die Bahn verspricht, dass sie ihr die geforderten 9,3 Milliarden Franken auch tatsächlich bis 2028 verbauen könnte. Daran hat der Bund allerdings seine Zweifel: Die Bahn habe in den letzten Jahren das Instandhaltungsvolumen wegen der Verfügbarkeit von Bauintervallen und Ressourcen nicht vollständig umsetzen können, sagte Michael Müller, Sprecher des Bundesamts für Verkehr (BAVim Juli zu CH Media.

Die Bahnen seien in ihren Offerten «sehr optimistisch», was sich in den nächsten Jahren umsetzen liesse, schrieb der Bund in einem dieses Jahr veröffentlichten Bericht zu seiner Finanzplanung. Allerdings geht auch der Bund davon aus, dass mit seinem vorgesehenen Zahlungsrahmen «eine Abnahme der Substanzerhaltungsquote» zu erwarten ist. Sprich: Der Rückstand bei der Sanierung der Infrastruktur dürfte zunehmen.

Das BAV will den aktuellen Konflikt mit der SBB nicht kommentieren. Das Amt werte derzeit die Rückmeldungen der Vernehmlassung aus, sagt Müller. Es könnte der SBB zumindest teilweise entgegenkommen: Das BAV «prüft auch eine Erhöhung des Zahlungsrahmens», so Müller. Der Bundesrat entscheidet voraussichtlich im Mai 2024 über den definitiven Betrag.



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