
Je reifer ein Produkt ist, desto unwichtiger die Technologie. Das gilt auch für die Mobilität. In einer Studie hat der Branchenverband its-mobility nun untersucht, was dies für Anbieter von Mobility as a Service bedeutet. Brauchen sie ein neues Geschäftsmodell – und wird die An- und Heimreise künftig gleich von Restaurants, Konzerthäusern & Co. angeboten?
von Stefan Ehrbar
23. Januar 2024
Was ist der Zweck von Mobilität? Dieser vermeintlich einfachen Frage ist die Arbeitsgruppe its-ch in ihrem neuesten Bericht «Purpose of Mobility» nachgegangen. Die grosse Frage dahinter lautet: Brauchen Anbieter von Mobility as a Service (MaaS) künftig ein ganz neues Geschäftsmodell, weil ihre Technologie in den Hintergrund tritt? Unter MaaS versteht man Dienstleister, die Mobilität über eine ganze Reisekette und unabhängig vom Verkehrsmittel anbieten. Ein Beispiel dafür war die von den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) getestete App yumuv mit einem Routenplaner, über die sowohl der ÖV als auch Carsharing-Autos, E-Trottinette und E-Bikes gebucht werden konnten. Auch die App Whim, die den ÖV und drei E-Trottinett-Anbieter vereint, gehört in diese Kategorie. Whim hat sich allerdings wieder aus der Schweiz zurückgezogen.
Die Befürchtung, dass solche Angebote sich umorientieren müssen, kommt nicht von ungefähr. «Ein Blick in die technologische Entwicklung anderer Branchen zeigt, dass bei fortschreitender digitaler Reife, die Technologie selbst zusehends in den Hintergrund gerät und irgendwann nur noch in Symbiose mit dem Zweck zum Vorschein kommt», schreiben die Autoren. So sei dies beim Musikhören geschehen. Gestartet mit einem absoluten Fokus auf den Besitz von Platten, sei das Musikhören heute beim reinen Konsum von Musik über Streaming-Plattformen angelangt.
«Übertragen auf den Mobilitätsmarkt heisst dies: MaaS-Angebote werden mit dem dahinterliegenden Zweck, also das Ziel der Mobilität, verknüpft. Dabei rückt der Zweck in den Vordergrund und das Mobilitätsangebot wird, individualisierbar nach den spezifischen Bedürfnissen, mit angeboten», heisst es im Bericht. «Indem ein Anbieter sein Angebot mit der zugehörigen Mobilität erweitert, kann er also die Wertschöpfungskette erweitern. Es entstehen «Beyond MaaS» Angebote und Ökosysteme.» Denkbar wäre also beispielsweise, dass ein Konzerthaus gleich auch die Anreise mit verschiedenen Verkehrsmitteln in seiner App anbietet und in den Preis integriert.
Die its-Arbeitsgruppe mit dem Namen «Purpose of Mobility» hat deshalb eine Hauptthese untersucht, nämlich, dass der Zweck der Mobilität in Zukunft wichtiger wird als die Mobilität. Daraus abgeleitet wurden auch zwei Folgethesen angeschaut: Dass Mobilität zur «Commodity» wird, wir in Zukunft also nicht mehr für Mobilitätsdienstleistungen bezahlen, sondern für den Zweck der Mobilität, und dass sich die Geschäftsmodelle der Mobilitätsanbieter grundsätzlich ändern.
Und zu welchem Schluss gelangen die Fachleute?
Die Mobilität werde als Mittel zum Zweck eingesetzt, um das eigentliche Bedürfnis zu befriedigen. Das kann die Fahrt zur Arbeit oder ins Restaurant sein. «Unternehmen werden Leistungen anbieten, um das primäre Bedürfnis der Kundin oder des Kunden zu befriedigen und die Transportleistung wird dabei nur noch eine Subleistung als Teil des Gesamten sein», glauben die its-Experten.
Die Wertschöpfungsketten würden sich durch die Integration von Mobilitätszweck und -mittel verändern. Es dürften neue Businessmodelle entstehen. Als Herzstück von Beyond-MaaS-Produkten werde eine neuartige Plattformkomponente entstehen. Diese koordiniere und verknüpfe die aus dem primärem Bedürfnis – also etwa dem Restaurant- oder Konzertbesuch – abgeleiteten Anforderungen intelligent mit den verfügbaren Mobilitätsprodukten und generiere ein integriertes Angebot aus Zweck und Mobilität. Dieses berücksichtige auch den physischen Kontext wie das Wetter, das Passagier – oder Stauaufkommen.
«Dies hat zur Folge, dass konventionelle Mobilitätsanbieter ebenso wie MaaS-Anbieter ihre bestehenden Strukturen kritisch hinterfragen und anpassen müssen, um in dieser Struktur weiterhin relevante und kommerziell interessante Dienstleistungen zu erbringen», heisst es in der Studie. Die Chance liege darin, sich zum Beyond-MaaS-Anbieter weiterzuentwickeln.
Vorbehalte melden die its-Experten gegenüber der Mobilität in Form eines Selbstzwecks an, wenn es also um eine Bahnrundreise oder eine Mountainbike-Tour geht. Für solche Fälle dürfte diese Entwicklung weniger relevant sein.
In der Studie heisst es, dass beispielsweise ÖV-Anbieter zukünftige Beyond-MaaS-Anbieter werden könnten. Bestehende Ressourcen könnten durch entsprechende Geschäftsmodelle effizienter genutzt werden und die Auslastung besser gesteuert werden. Neue Kundinnen und Kunden könnten angesprochen werden. Auf der anderen Seite könnte sich die Zahl der Abo-Kundschaft verringern – und der Kundenbezug nicht mehr beim ÖV-Anbieter stattfinden, sondern beim Beyond-MaaS-Anbieter.
Doch auch für bestehende MaaS-Anbieter gibt es Chancen und Risiken. Sie starten laut der Studie zwar in der Pole Position und kennen die Bedürfnisse der Kundschaft am besten. Zudem sind sie oft schon international tätig. Doch sie laufen auch Gefahr, austauschbar zu sein, weil ihre Broker-Rolle nur vermittelnd und für die Kundschaft unsichtbar ist. Zudem gibt es das Risiko der Marktkonsolidierung mit einer Tendenz zur Monopolisierung.
Noch sind MaaS- und Beyond-MaaS-Anbieter in der Schweiz dünn gesät. Doch mit Vorhaben wie der Mobilitätsdaten-Infrastruktur (Modi), welche der Bund aufbauen will, könnten sie wichtiger werden. Dort soll eine Datenbank geschaffen werden, die die Basis für intermodalen Verkehr enthält. Diese Nadim genannte Datenbank soll die Möglichkeit zur Verfügung stellen, die Angebote verschiedenster Mobilitätsanbieter an einem Ort für alle interessierten Parteien zugreifbar zu machen. So könnten theoretisch alle Firmen mit einem entsprechenden Know-How eine App bauen, die verschiedene Verkehrsmittel kombinier- und buchbar macht. «Dabei ist zentral, dass diese Vermittler keine Mobilitätsanbieter sein müssen, sondern alle Akteure angesprochen sind, die Mobilität in ihre Leistungen, Services oder Produkte «einbauen» wollen», heisst es in der Studie. «Das können Arbeitgeber, Veranstalter von Kultur und Sport, Gemeinden, Tourismusregionen und Mobility as a Service Anbieter etc. sein».
«Mobility as a Service bedient die Bedürfnisse der Nutzenden nicht direkt, sondern beschränkt sich darauf, eine Mobilitätsdienstleistung zu sein. Die Kopplung zum Purpose ist der logische nächste Schritt», schreiben die Autoren in ihrem Fazit. «Dort, wo Mobilität stärker zweckgebunden und einfacher kommerzialisierbar ist (z. B. Einkaufen, Arbeiten), lassen sich Chancen für erweiterte oder neue Geschäftsmodelle identifizieren. Anbieter können mit Beyond MaaS-Angeboten eine Erweiterung ihrer Wertschöpfungskette und ihres Geschäftsmodells erreichen. Für Nutzende kann dies tatsächlich dazu führen, dass der Preis von Mobilitätsdienstleistungen im Gesamtpreis des Angebots aufgeht und damit nicht mehr separat für Mobilität bezahlt wird.»
Bei freiwilligen und nicht kommerziellen Aktivitäten wie etwa dem Verwandtenbesuch allerdings habe Beyond MaaS weniger grosses Potenzial. Hier fehle eine Kommerzialisierbarkeit schlichtweg oder sei kaum zu erreichen.
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