Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) lancierten mit «Pikmi» einen Rufbus, der Fahrten kombinieren soll. Doch die bisherigen Auslastungswerte sind tief und nach der Einstellung einer Buslinie wechselten längst nicht alle Passagiere. Ein Fachmann ist äusserst kritisch – und der ökologische Nutzen des Projektes ist fragwürdig.
von Stefan Ehrbar
24. Januar 2022
«Pikmi» heisst das erste On-Demand-Angebot der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Kleinbusse, die von Mobility gestellt und von VBZ-Personal gefahren werden, verkehren jeden Abend von 20 Uhr bis 1 Uhr in den Quartieren Altstetten, Albisrieden und Wiedikon. Sie fahren nicht nach einem starren Fahrplan und nicht in einem starren Netz. Passagiere können die Kleinbusse per App zu virtuellen Haltestellen anfordern und ihre Route wählen. Das System führt mehrere Fahrten zusammen, was die Belegung und die Effizienz erhöhen soll. Dieses Konzept wird «On-Demand Ridepooling» genannt. Gültig sind alle normalen ÖV-Tickets, Zuschläge gibt es nicht. Die Wartezeiten für Passagiere betrugen bisher im Durchschnitt rund 6 Minuten.
Seit November 2020 sind die Pikmi-Busse im Rahmen eines Testbetriebs unterwegs. Zwischen dem 1. Oktober und dem 12. Dezember 2021 wurde in Altstetten gar die Buslinie 35 abends aufgehoben und durch Pikmi ersetzt. Damit wollten die VBZ ermitteln, ob ein On-Demand-Angebot die Quartierbuslinie ersetzen oder gar eine bessere Qualität bieten könnte.
Nun sind erste Resultate da. Sie zeigen: Das Konzept überzeugt noch nicht alle, und der ökologische Nutzen ist fragwürdig.
Heraus sticht zunächst die Zahl der Kundinnen und Kunden pro Fahrt. Es sind gerade einmal 1,6 Personen. Diese Zahl gab Thomas Hablützel, der Bereichsleiter Markt der VBZ, an einer Sitzung der Regionalen Verkehrskonferenz Zürich (RVKZ) am 15. November bekannt. Mittlerweile hat sich diese Zahl etwas erhöht, auch weil das Betriebsgebiet im Dezember nach Wiedikon erweitert wurde. Über 1,8 Personen pro Fahrt werden derzeit registriert, wie VBZ-Sprecher Tobias Wälti sagt. «Referenzprojekte aus Deutschland, etwa in Stuttgart, Hamburg und Berlin, erreichen Besetzungsgrade im Bereich von 1,7 bis 1,9. Insofern konnten bisher zwar keine überraschend hohen Besetzungsgrade erreicht werden, die Werte blieben aber auch nicht unter den Erwartungen zurück», sagt er. Die Anzahl der Fahrgäste sei auch abhängig vom Verlauf der Coronakrise.
Doch ist es ökologisch überhaupt sinnvoll, durchschnittlich 1,6 Personen pro Fahrt mit einem Diesel-Minibus durch die Stadt zu fahren?
Wälti gibt zu bedenken, dass die üblicherweise noch grösseren regulären Busse zu Randzeiten häufig wenig ausgelastet seien. Die Verbindungen ins Quartier seien für das Funktionieren des gesamten Systems aber trotzdem entscheidend. Im Unterschied zu Quartierbussen im Linienverkehr würden die Pikmi-Busse – Vans mit fünf Sitzplätzen im Fahrgastraum – nur bei einem Fahrwunsch verkehren. «Das ist ökologisch sinnvoll», sagt er. «Grundsätzlich gilt, dass es ökologisch wünschenswert ist, wenn die Fahrzeuge möglichst geteilt werden. Es wird vom Pikmi-System ein Pooling angestrebt, damit mit möglichst wenigen Fahrten möglichst viele Fahrtwünsche bedient werden können.»
Im motorisierten Individualverkehr nutzen laut Wälti nur durchschnittlich nur 1,1 Personen ein Fahrzeug. Würden elektrisch betriebene Kleinbusse eingesetzt, würden die emittierten Schadstoffe pro Kopf zudem geringer ausfallen als bei einem nicht voll besetzten grösseren Quartierbus, sagt Wälti. Das ist allerdings beim jetzigen Pilotprojekt nicht der Fall. Zum Einsatz kommen fünf Dieselfahrzeuge und zwei elektrisch betriebene Fahrzeuge. Die VBZ begründen dies damit, dass sie die Fahrzeuge für das zeitlich befristete Projekt aus Nachhaltigkeitsgründen nicht kaufen wollten.
Die ersten Resultate zeigen auch: Nicht jeder stieg nach der Einstellung der Linie 35 auf das Pikmi-System um. Vor der Einstellung der Linie 35 benutzten durchschnittlich 80 Personen diese während der Pikmi-Betriebszeiten. Davon wechselten nach der Einstellung etwa 50 auf Pikmi, 30 hingegen bewegten sich anderweit fort. Die VBZ untersuchen derzeit, auf welche Verkehrsmittel diese zurückgriffen. Möglich wäre laut Wälti eine Verlagerung auf die Buslinien 78 oder 31. Eher ungünstig für die Klimabilanz wäre es hingegen, wenn ein grosser Teil dieser Menschen auf das Auto oder das Taxi umgestiegen wäre.
Zweifel am mybuxi-Modell hat Andreas Kronawitter. Er ist Geschäftsführer von mybuxi, einem Ridepooling-Dienst, der in verschiedenen Regionen der Schweiz wie etwa rund um Andermatt oder im Emmental angeboten wird und sich selbst finanziert (zum Mobimag-Interview mit Andreas Kronawitter).
«Wir sehen Ridepooling in der Stadt kritisch», sagt er. «Es gibt dort viele Alternativen, insbesondere auch Taxis. Es ist unverständlich, warum subventionierte Unternehmen privatwirtschaftlichen in dieser Form Konkurrenz machen dürfen. Aus unserer Sicht müsste ein Ridepooling-Angebot kostendeckend arbeiten können.»
Er sehe einen gewissen Bedarf in den äusseren Teilen der grossen Städte, da die städtischen ÖV-Systeme fast alle radial aufgebaut seien und die Tangentialverbindungen mit oft ineffizienten Linienführungen unattraktiv seien. «Hier kann ein Mobility on demand-Angebot Effizienz und Nachhaltigkeit erhöhen.»
«Aus Sicht von mybuxi mit unserem Fokus auf das ländliche Angebot sehen wir «von aussen kommend» einen Bedarf, die sich entwickelnden «Agglomerationshubs» wie Bern Wankdorf und einzelne überregionale Einrichtungen wie Spitäler anbinden zu können, vor allem wo deren Erreichbarkeit aus dem Umland mit dem Auto im Vergleich deutlich einfacher und schneller ist», sagt er. Pikmi in der Stadt Zürich integriert etwa auch die Verkehrsknoten Triemli und Hardplatz in das Betriebsgebiet, wo der Umstieg auf Tramlinien und städtische und regionale Busse möglich ist.
In Sachen Besetzungsgrad sieht Kronawitter beim VBZ-Projekt noch viel Luft nach oben. «Das Ziel bei mybuxi ist 2,5 Personen durchschnittliche Auslastung im ländlichen Raum», sagt er. Dies mache wirtschaftlich und ökologisch Sinn, wenn damit primär Autofahrten substitutiert würden. «In der Stadt müsste der Besetzungsgrad wohl höher liegen, weil hier auch Langsamverkehre ersetzt werden, die ökologisch besser wären». Allerdings gelte es zu berücksichtigen, dass es einen grossen und wachsenden Teil der Bevölkerung gebe, für den auch kürzere Distanzen eine Herausforderung seien – insbesondere, wenn es Höhenunterschiede gebe.
Auch mybuxi erreiche das selbst gesetzte Ziel von 2,5 Personen noch nicht, sehe aber über längere Zeit einen klaren Aufwärtstrend. «Dieser ist jedoch überlagert von sehr starken Schwankungen, die mit den Corona-Massnahmen, den regionalen Gegebenheiten wie der Impfquote und dem Wetter korrelieren», sagt Kronawitter. Der vergleichsweise tiefe Besetzungsgrad bei Pikmi hingegen könne ein Indiz dafür sein, dass zu viele Fahrzeuge im Einsatz sind.
Der VBZ-Test von Pikmi dauert noch bis Ende April. Ob das Angebot in den Regelbetrieb überführt wird, ist noch nicht entschieden.
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