So viele Pendler sind auf ausgewählten Strecken mit der Bahn und dem Auto unterwegs

Zwischen grossen Städten ist die Bahn sehr beliebt. Bild: Tomek Baginski / Unsplash

Aggregierte Handy-Daten der Genossenschaft 42hacks zeigen, auf welchen Strecken wie viele Pendler mit welchem Verkehrsmittel unterwegs sind. Die Bahn schneidet vor allem zwischen den grossen Zentren und auf längeren Strecken gut ab – aber selbst auf sehr gut ausgebauten S-Bahn-Verbindungen dominiert das Auto.

von Stefan Ehrbar
28. November 2022

Um den Anteil des öffentlichen Verkehrs an den zurückgelegten Kilometern und Wegen zu erhöhen, spannen die BLS, die SOB, Postauto und der Kanton St. Gallen mit der Genossenschaft 42hacks zusammen. Ein entsprechendes Projekt zur Steigerung des sogenannten Modal Split wurde im Oktober in Zürich vorgestellt.

Dank der Zusammenarbeit können etwa Strecken identifiziert werden, auf denen viele Menschen unterwegs sind, die aber einen geringen ÖV-Anteil aufweisen. Dabei wird auf aggregierte Mobilfunk-Daten zurückgegriffen, die 42hacks in einem interaktiven Tool sammelt und visualisiert. Das Tool ermöglicht es auch, neue Bahnverbindungen zu planen und den erwarteten Modal Split berechnen zu lassen.

Als erste Folge aus dieser neuen Datenbank lancierte die BLS einen «Pop-Up-Zug», der von Ostermundigen nach Burgdorf fährt. Die Analyse hat ergeben, dass auf dieser Strecke viele Menschen unterwegs sind, aber der ÖV-Anteil tief ist – auch, weil in Bern-Wankdorf umgestiegen werden muss. Der Zug verkehrt testweise seit dem 31. Oktober und noch bis am 9. November fünfmal täglich, wie es in einer Mitteilung heisst.

Ein weiteres Projekt wollen die SOB, Postauto und der Kanton St. Gallen lancieren, um die Anreise ins Skigebiet Flumserberge mit dem ÖV zu stärken. Details dazu sind noch nicht bekannt. Ebenfalls plant der Kanton St. Gallen zusammen mit Arbeitgebern ein Pilotprojekt im Linthgebiet.

Die Daten von 42hacks sind öffentlich zugänglich. Mobimag hat sie ausgewertet und zeigt für über 50 Pendlerstrecken auf, wie viele Menschen pro Werk- und Wochenendtag unterwegs sind und wie hoch der Modal Split ist. Ausgewertet wurden Daten des November 2019. Dies, weil dieser Monat noch nicht von der Coronakrise beeinflusst war und weil der November in aller Regel der stärkste Pendlermonat ist.

Die Resultate sind in den folgenden drei Tabellen aufgeführt, die sich durchsuchen und in aufsteigender respektive absteigender Reihenfolge sortieren lassen. Auf einige erstaunliche Erkenntnisse, welche die Daten zulassen, wird im Folgenden eingegangen.

Lesebeispiel: Im November 2019 pendelten durchschnittlich 25’795 Pendler pro Werktag mit dem Zug zwischen Zürich und Winterthur respektive umgekehrt. Reisen, die vorher begannen und/oder später endeten, sind nicht inkludiert. Wer beispielsweise von St. Gallen nach Zürich pendelt, ist in diesen Zahlen nicht enthalten, auch wenn er die Teilstrecke Winterthur-Zürich befährt. Bei den Reisenden auf dieser Strecke kommt die Bahn werktags auf einen Anteil von 56 Prozent, am Wochenende auf einen von 46 Prozent. Die Anteile der Bahn und des Autos ergeben zusammen 100 Prozent. Zum Autoverkehr gehören auch Wege, die mit dem strassengebundenen ÖV zurückgelegt werden. Dies ist auf einigen wenigen Strecken relevant, die in der Auflistung auf sehr tiefe Modal-Split-Werte kommen – etwa Zürich-Schlieren oder Bern-Ostermundigen. Denn dort dürfte ein grosser Teil der Pendler mit dem Tram respektive Bus unterwegs sein, was dem Autoverkehr zugeschlagen wird. Der sehr tiefe Modal Split auf diesen Strecken ist demnach mit Vorsicht zu geniessen und nicht als Anteil des ÖV zu interpretieren. Die Tabellen sind nach Anzahl der Zugpendler/Tag geordnet.


Die untersuchten Strecken mit der absolut grössten Zahl an Pendlern pro Wochentag sind Zürich-Winterthur, Zürich-Uster und Zürich-Basel.

Den höchsten Modal Split hingegen erreicht die Bahn auf der Strecke Bern-Visp, die mit 97 Prozent von fast keiner Pendlerin und keinem Pendler mit dem Auto zurückgelegt wird. Dies dürfte auf den deutlichen Zeitvorteil, den der Lötschberg-Basistunnel gegenüber dem Auto ermöglicht, zurückzuführen sein. In absoluten Zahlen ist die Strecke Bern-Visp allerdings keine besonders wichtige Pendlerstrecke.

Ebenfalls sehr hoch ist der Modalsplit auf der «Rennstrecke» Zürich-Bern (90 Prozent), zwischen Zürich und Olten (87 Prozent) und - trotz Angebot mit nur einem Stundentakt - zwischen Luzern und Bern mit 84 Prozent. Auch zwischen Zürich und Chur nehmen 80 Prozent der Passagiere den Zug.

An Wochenendtagen sieht das Bild nur leicht anders aus.


Die Rangliste in Sachen absolute Passagierzahlen der Bahn sieht auf den ersten drei Plätzen gleich aus. Zwischen Zürich und Luzern sind allerdings am Wochenende mehr Menschen mit dem Zug unterwegs als zwischen Zürich und Bern oder Bern und Thun, was sie auf den folgenden Plätzen etwas verändert.

In Sachen Modal Split sind die Werte am Wochenende fast durchgehend tiefer. Zwischen Zürich und Bern liegt der Bahn-Anteil bei 81 Prozent, zwischen Bern und Kloten (der Standortgemeinde des Flughafen Zürich) bei 76 Prozent, zwischen Zürich und Olten bei 75 Prozent.

Auch auf den übrigen Strecken ist der Modal Split an Wochenenden tiefer als unter der Woche. Das deutet darauf hin, dass der angedachte Fokus der ÖV-Branche auf den Freizeitverkehr richtig ist: Dort ist das Potenzial noch deutlich höher.

Insgesamt werden wochentags deutlich mehr tägliche Zugfahrten unternommen als an Wochenenden. Folgende Tabelle gibt den kumulierten Modal-Split-Anteil auf den untersuchten Strecken wider.


Auch in dieser Gesamtbetrachtung ist der Modal Split auf Strecken wie Zürich-Olten, Zürich-Bern, Luzern-Bern, Zürich-Chur und Bern-Kloten am höchsten und liegt bei deutlich über 75 Prozent.

Bei einer Betrachtung der Strecken und ihrer Charakteristika fällt auf:

  •  Auf Strecken zwischen grossen Städten, die länger als 30 Minuten auseinander liegen, ist der Modal Split am höchsten. Hier dürfte die Bahn für viele Pendlerinnen und Pendler das Mittel der Wahl sein – und das GA wohl auch eine im Vergleich zum Auto günstige Mobilitäts-Alternative.
  • Selbst auf S-Bahn-Strecken mit dichtem Takt und schnellen Fahrzeiten hingegen ist der ÖV-Anteil bereits erstaunlich tief. Bemerkenswert ist dies etwa im Fall von Zürich-Uster: Die S-Bahn verkehrt alle 15 Minuten ohne Halt zwischen Zürich-Stadelhofen und Uster und legt die Strecke in 11 Minuten zurück – eine Fahrzeit, die mit dem Auto nicht annähernd erreichbar ist. Trotzdem beträgt der Anteil der Bahn nur etwa die Hälfte. Auf Strecken wie Aarau-Olten, Zürich-Schwerzenbach, Luzern-Sursee oder Zürich-Meilen liegt der ÖV-Anteil zum Teil sogar sehr deutlich unter 50 Prozent.
  • Die Idee des Kanton St. Gallen, Arbeitgeber in Projekte zur Förderung des ÖV zu integrieren, scheint sinnvoll. Der Kanton will dies im Linthgebiet tun, weshalb exemplarisch die Strecken Uznach-Rapperswil und Uznach-Zürich ausgewertet wurden. Auf letzterer pendeln zwar weniger Leute, der Modal Split ist aber mit 37 Prozent über doppelt so hoch wie zwischen der viel kürzeren Strecke zwischen Uznach und Rapperswil. 
  • Generell scheint die Schwierigkeit zu sein, Menschen auch auf kurzen Pendlerstrecken in der näheren Umgebung für den ÖV zu begeistern. Hier hat das Auto selbst im städtischen Umfeld eine starke Stellung. Das mag auch daran liegen, dass der Zeitgewinn mit dem Auto prozentual hoch ist, weil die wenigsten Fahrten nur zwischen den Bahnhöfen stattfinden, sondern noch vor- und nachgelagert die Benutzung eines Bus oder Trams inkludieren. Mit dem Auto hingegen kann von Beginn weg die schnellste Route gewählt werden.
  • Grundsätzlich gilt: Die Daten wurden dem Portal von 42hacks entnommen. Es besteht kein Gewähr für die Richtigkeit. Auch die hier vorgestellten Interpretationen unterliegen dieser Einschränkung.

Die Daten von 42hacks sind öffentlich einsehbar auf der Internetseite ov42.com.

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