Mobilität der Zukunft: Geplanter Wandel oder Transformation by Disaster? Das empfehlen Thomas Sauter-Servaes und Tobias Bowald

Wie gelingt die Mobilitätswende? Bild: Raphael Schaller / Unsplash

Die Klimakatastrophe ist uns auf den Fersen. Bewegen wir uns erst dann, wenn es zu spät ist, oder handeln wir lieber jetzt? Ein wichtiger Baustein, der Katastrophe entgegenzuwirken, ist eine sofortige Mobilitätswende. Damit die Transformation der Mobilität nach Plan und nicht erst «by disaster» erfolgt, müssen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Hand in Hand arbeiten.

von Tobias Bowald und Thomas Sauter-Servaes*
3. Januar 2023


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Hätten Sie es gewusst? Laut den Verkehrszahlen des LITRA und des Bundesamts für Statistik gehen 38 Prozent der Energie, 39 Prozent der CO2-Emissionen und 39 Prozent der Siedlungsfläche in der Schweiz auf das Konto des inländischen Verkehrs. Eines ist sicher: Angesichts der drohenden Klimakatastrophe ist das viel zu viel. Und es zeigt, wie viel Einsparungspotential es gibt. Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen möchten, bis 2050 CO2–Netto–Null zu sein, müssen wir anfangen, etwas zu bewegen. Oder eher, uns zu bewegen – aber anders. Es geht um die Veränderung unserer Fortbewegung. Nicht erst morgen oder im nächsten Monat. Die Mobilitätswende ist jetzt.

Planen – auch für den Worst Case
Aber wie kommen wir dorthin? Lösungsvorschläge wie Flugtaxis oder autonome Fahrzeuge sind zwar inspirierend, ihr Beitrag aber viel zu klein, um den aktuellen Herausforderungen wirksam entgegentreten zu können. Ausserdem scheinen sie viel zu weit weg. Routinen hingegen haben sich etabliert, über Jahre, Jahrzehnte. Das Stadtbild, vollgestellt mit parkenden Autos? Daran haben wir uns alle längst gewöhnt. Eventuell steht sogar das eigene, eigentlich überdimensionierte Auto am Strassenrand, auch wenn man es nicht täglich braucht – und, ausser man fährt gerade in die jährlichen Sommerferien, mit vier freien Plätzen und einem leeren Kofferraum. Doch wie wäre es, sich von dieser Gewohnheit zumindest ein Stück weit wieder zu verabschieden?


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Zwar gibt es in einigen Bereichen bereits Fortschritte in Sachen Mobilitätswende, etwa das wachsende Angebot an nachhaltigen Fortbewegungsalternativen und geteilten Mobilitätsangeboten wie Car- oder Bikesharing. Diese tragen zwar ihren Teil bei, können aber alleine das Steuer noch nicht herumreissen. Auch mit der Elektrifizierung von Fahrzeugen ist es nicht getan. Natürlich wird der Betrieb eines Autos im besten Fall klimaneutral, aber die lokalen Lärm- und Feinstaubemissionen bleiben bestehen. Zu bedenken sind auch die Emissionen, die bei der Elektrifizierung anfallen, zum Beispiel bei der Produktion und für die Bereitstellung der Infrastruktur sowie der Stromerzeugung. Ein weiterer Nachteil: Private Besitzautos, egal ob elektrisch oder benzinbetrieben, brauchen Platz – und zwar viel davon.

Für die urbanen Räume braucht es effizientere Lösungen und eine neue Idee der Alltagsmobilität. Denn die Mobilitätswende lässt sich nur erreichen, wenn weniger Menschen ein eigenes Auto besitzen. Aber noch scheint der Leidensdruck nicht gross genug, damit grössere Teile der Bevölkerung bereit sind, ihre liebgewonnenen und erlernten Lebensweisen zu verändern. Der ZEIT–Autor Bernd Ulrich schrieb vor kurzem zum Thema Nachhaltigkeit: «Wir sind nicht auf dem Weg, sondern bestenfalls auf dem Weg zu einem Weg». Das gilt ganz besonders für den Verkehrssektor. Wenn uns die im Voraus geplante Mobilitätswende «by design» nicht gelingt und wir uns erst zwangsläufig bewegen, wenn es schon zu spät ist – dann wäre es gut, während der «transformation by disaster» zumindest schon einen Zukunftsplan parat zu haben.

Von Vorbildern inspirieren lassen – und umsetzen
Ein solcher Zukunftsplan benötigt den Konsens aller Beteiligten über eine Mobilitätsvision von morgen. Nicht nur das Bildungsbürgertum muss sich Gedanken machen, wie wir in Zukunft leben und uns fortbewegen wollen, sondern alle Bürger:innen und Entscheidungsträger:innen in Städten und Gemeinden. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft müssen gleichermassen an einem Strang ziehen. Um den bisherigen Trendpfad zu verlassen, brauchen wir ein kontinuierliches Steigerungsspiel aus Pull-Massnahmen der Mobilitätsanbieter und Push-Massnahmen der Politik – es braucht also sowohl attraktive alternative Mobilitätsangebote als auch klare Einschränkungen und Anreize.


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Ziel soll sein, eine vollkommen klimaneutrale und sozialverträgliche Mobilität zu entwickeln, in der jede:r mit minimalen Emissionen mobil sein kann. Wir müssen insbesondere den Verkehr in den Städten langfristig nachhaltiger und robuster gegen die Folgen des Klimawandels gestalten. Das kann mit einem optimierten und ausgeklügelten Gesamtsystem gelingen. Arbeitsmodelle wie «Remote Work», zukunftsfähige Siedlungskonzepte wie die 15-Minuten-Stadt und die Vernetzung sowie Optimierung der einzelnen Mobilitätsangebote können dazu beitragen. Stellen Sie sich auch eine Zukunft vor, in der die externen Kosten des Verkehrs wie Umwelt- und Gesundheitskosten unter anderem dank Emissionsabgaben und Mobility Pricing abgegolten sind – natürlich mit Rücksicht auf einkommensschwächere Bevölkerungsschichten.

Was sich mit digitalen Hilfsmitteln heute schon erreichen lässt
Die technologische und digitale Entwicklung eröffnet bereits jetzt zahlreiche Möglichkeiten zur Umsetzung. Sie wird daher im Kontext der Mobilitätswende eine tragende Rolle spielen. Zum Beispiel kann der öffentliche Nahverkehr mit digitalen Tools heute schon deutlich effizienter geplant und betrieben werden. Ausserdem ist der Zugang zu Bahn und Co. flexibler und kundenfreundlicher geworden: Immer mehr Menschen haben über verschiedene digitale Kanäle Zugriff auf die Mobilitätsangebote. Städte können zudem detaillierte Mobilitätsdaten nutzen, um Verkehrsflüsse optimal zu planen und sie intelligent in Echtzeit zu steuern oder sogar die ideale, nachhaltige Stadt der Zukunft zu designen.

Auch stellt die digitale Entwicklung einen elementaren Nährboden zur Entstehung neuartiger skalierbarer Mobilitätsangebote wie On–Demand–Shuttles oder Sharing dar. Und vernetzte Angebotskonzepte wie Mobility-as-a-Service und vernetzende multimodale Dateninfrastrukturen rücken in greifbare Nähe.

Der Weg zur nachhaltigen Mobilitätswende
Die Digitalisierung allein wird allerdings nicht reichen, um die Mobilitätswende zu schaffen. Sie ist ein wichtiger Baustein, der mit weiteren Ideen ergänzt werden muss, die in der Gesellschaft breite Zustimmung finden. Und die müssen nicht mal neu sein: Für viele Aspekte der Mobilitätswende gibt es bereits hervorragende Umsetzungsbeispiele im In- und Ausland. Zum Beispiel erprobt die Stadt Wil aktuell ambitioniert und experimentierfreudig innovative Ansätze für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Mobilität. Im Klöntal (GL) wurde ein griffiges Verkehrskonzept inklusive «Mitfahrbänggli» und Parkraumbewirtschaftung implementiert. Dies gilt es mit unverstelltem Blick zu prüfen, als Inspirationsquelle zu nutzen und gegebenenfalls für die eigenen Gemeinden und Städte zu übernehmen. Wichtig dabei: Die relevanten Stakeholder:innen müssen sich gemeinsam auf diese Reise begeben, um ins Tun zu kommen. Ausprobieren und erleben heisst die Devise. Und die hat eine ganz andere Überzeugungskraft als theoretische Konzeptpapiere.


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Unentschlossenheit hindert oft am ersten Schritt. Deshalb hat die Initiative «Schrittmacher.in» von SBB, ZHAW, Q_PERIOR, metron und urbanista.ch mit dem Starterkit zur Mobilitätswende ein «Rezeptbuch» entwickelt, um lokale Entscheider:innen mit praktischen Ideen und Umsetzungsempfehlungen bei den ersten Schritten zur Mobilitätswende zu unterstützen. Zudem sind interessierte und engagierte Personen eingeladen, eigene Rezepte, Ideen und Inspiration auf www.schrittmacher.in zu veröffentlichen.

Schrittmacher.in empfiehlt insbesondere den Ausbau des Carsharing–Angebots, das viel Potenzial für rasche Erfolge mitbringt. Eine Studie des Schweizer Anbieters Mobility zeigt: Ein Carsharing–Auto ersetzt bis zu elf private Autos. Ein breites Angebot mit etwa einem Carsharing-Standort pro 500 Personen im Einzugsgebiet kann als gute Zielgrösse für die Zukunft anvisiert werden. Das Carsharing ergänzt den öffentlichen Verkehr und deckt Fälle ab, in denen das Velo, der Zug, das Tram oder der Bus keine passende Alternative sind.

Auch ein dichtes Bikesharing–Netz mit qualitativ hochwertigen Velos kann den Alltagsautoverkehr ersetzen. Nebenbei fördert es die Gesundheit. Denn fast die Hälfte aller Autofahrten in Schweizer Städten sind weniger als fünf Kilometer lang – ein ideales Einsatzgebiet für ein geteiltes Velo, das leicht zugänglich ist.

Ein weiterer grosser Hebel ist die Anzahl, Lage und Bewirtschaftung von Parkplätzen, wenn es darum geht, den Umstieg vom Auto auf nachhaltigere Verkehrsmittel zu unterstützen. Viele Investor:innen und Bauherrschaften haben mittlerweile erkannt, dass der Verzicht auf Parkplätze zugunsten von alternativen Mobilitätsformen viele Vorteile hat – nicht nur finanzielle. Noch stellen viele kantonale oder kommunale Vorgaben zwar ein Hindernis zur Reduzierung der Parkfläche dar, doch auch diese bieten Spielraum, der genutzt werden kann.

Nicht zuletzt sollte über die Verbesserung von Fussverkehr nachgedacht werden. Wer zu Fuss unterwegs ist, weiss, wie attraktiv breite und ansprechende Fusswege sind und wie wichtig es ist, ohne Umwege von A nach B zu kommen. Ein gemeinsamer Spaziergang von Verwaltung, Politik und Bevölkerung durchs Quartier ist eine sehr effiziente Art, Schwachstellen zu entdecken und Verbesserungsmöglichkeiten zu diskutieren. Ausserdem schafft der Dialog Nähe zur Bevölkerung – und für diese greifen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft schliesslich ineinander. Gegen die Transformation “by disaster” und für eine geplante Mobilitätswende. Für alle.


*Prof. Dr. Thomas Sauter–Servaes leitet den Ingenieurstudiengang Verkehrssysteme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Sein Forschungsschwerpunkt sind innovative Mobilitätsangebote. Er promovierte an der TU Berlin und arbeitete u.a. als Geschäftsentwickler bei DB Fernverkehr, als Tourismusreferent beim Verkehrsclub Deutschland bzw. als Mobilitätszukunftsforscher am Institut für Transportation Design.

Tobias Bowald ist Mobilitätsexperte bei Q_PERIOR und seit zehn Jahren im Entwicklungs- und Innovationsumfeld in der Mobilitätsbranche tätig. Als langjähriger Projektleiter bei der SBB entwickelte er operative Bereiche der Bahn weiter und prägte als Product Owner Vorhaben rund um die Mobilität der Zukunft. Heute berät er Unternehmen, Behörden und öffentliche Organisationen. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Themen Digitalisierung, Innovation und Nachhaltigkeit im Kontext der Mobilität, Mobilitätsplattformen und Mobilitätsdaten.

Thomas Sauter-Servaes und Tobias Bowald engagieren sich bei „Schrittmacher.in“ für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft.

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