Der Kanton St. Gallen will mit einem Zwischenkonzept schon ab 2025 grosse Änderungen zwischen Zürich und St. Gallen erwirken. Das hätte auch Auswirkungen auf die Zürcher S-Bahn und den Aargauer Anschluss an den Flughafen. Der Kanton Aargau hält das für «nicht akzeptabel».
von Stefan Ehrbar
17. Mai 2021
«Flughafen-Halt streichen: Die Ostschweiz schlägt eine kleine Bahnrevolution vor», titelte das Newsportal watson.ch vor zwei Wochen. Kurz zuvor hatte der Kanton St. Gallen eine Mitteilung mit dem Titel «Angebotsverbesserungen rasch umsetzen» verschickt. Dort gibt er bekannt, dass er ein Zwischenkonzept für die Zeit zwischen 2025 und 2035 ausgearbeitet hat, das nun vom Bundesamt für Verkehr (BAV) geprüft wird. Das Ziel: In Wil sollen mehr Züge halten – und die Verbindungen zwischen Zürich und der Ostschweiz sollen schon vor dem vollendeten Ausbauschritt 2035 mit dem Brüttenertunnel beschleunigt werden.
«Im Fokus stehen Fahrplananpassungen zwischen Zürich, Wil und St.Gallen. Die schnellen Züge St.Gallen–Zürich verkehren mit Halt in Wil, aber ohne Halt am Flughafen. Mit schlanken Anschlüssen in Wil profitieren auch Gossau, Flawil und Uzwil von schnelleren Verbindungen nach Zürich.»
Doch welche Züge betrifft das genau – und welche Nachteile hat das Konzept?
Antworten gibt Michael Kündig vom Amt für öffentlichen Verkehr des Kanton St. Gallen. Das Konzept beinhaltet demnach folgende Änderungen schon ab 2025:
- Der IC1 soll nicht mehr die Strecke Genf-Bern-Zürich-St. Gallen bedienen, sondern die Strecke Genf-Bern-Zürich-Romanshorn/Kreuzlingen.
- Die IC5 verkehren über Wallisellen und werden weiterhin mit Neigezügen geführt, etwa ICN oder ETR 610. Sie halten nicht mehr am Flughafen. Die Fahrzeit zwischen Zürich und St. Gallen soll etwa 55 Minuten betragen.
- Weiterhin über den Flughafen fahren die heutigen IR 13.
- Die Fahrzeit zwischen Zürich und Bern wird auf etwa zwei Stunden gesenkt. Passagiere auf dieser Strecke müssen in Zürich Löwenstrasse umsteigen.
- Wil würde wieder jede halbe Stunde mit einem schnellen Fernverkehrs-Zug erschlossen. Der Eurocity nach München soll halten, wenn er taktintegriert ist. St. Gallen wäre in diesem Konzept ein Vollknoten und die Züge wären in den 00/30-Knoten in Zürich eingebunden.
- Der Interregio und die S-Bahn sollen den Viertelstundentakt Wil-St. Gallen bilden. Der Interregio soll den 00/30-Knoten in Wil sichern, die IC-Zügen den Knoten 15/45.
- Die S7 des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV) würde künftig zwischen Zürich und Winterthur gestrichen. Die Halte in Kemptthal würden von der S24 übernommen. Das Angebot der S-Bahn kann laut Kündig «zwischen Winterthur und Zürich so ausgebaut werden, dass Überlasten beseitigt werden».
- Weil der IC5 nicht mehr an den Flughafen fahren soll, würde Aarau seine Direktverbindung an den Flughafen verlieren. «Mit der Umstellung fallen einzelne Direktverbindungen an den Flughafen weg, die teilweise kompensiert werden können», sagt Michael Kündig vom Kanton St. Gallen. Mit den hauptbetroffenen Kantonen seien Schaffhausen, Thurgau und dem ZVV seien Gespräche geführt worden, mit anderen noch nicht.
«Der Kanton St.Gallen setzt sich in enger Absprache mit seinen Partnern beharrlich dafür ein, dass die Zwischenschritte möglichst rasch und umfassend eingeführt werden», heisst es in einer Präsentation. Kündig sagt, die Strukturen im Zwischenkonzept entsprächen grundsätzlich jenen des Ausbauschritt 2035 (Mobimag berichtete). Längerfristig werde zudem angestrebt, dass die Züge Bern-Zürich zumindest teilweise wieder nach St. Gallen durchgebunden würden.
Der Kanton St. Gallen will nun den Prüfprozess des BAV begleiten, der im Herbst abgeschlossen sein soll, und Lobbying für sein Projekt betreiben. Das dürfte auch nötig werden. Denn die Begeisterung bei den Betroffenen ist verhalten.
So sagt etwa ZVV-Sprecher Caspar Frey zu Mobimag: «Das Zwischenkonzept hätte auf jeden Fall grosse Auswirkungen auf die Zürcher S-Bahn. Wie die Urheber des Konzept bereits selber angemerkt haben, ist es ein sehr ambitioniertes Konzept, das in einer solch kurzen Zeit nur schwer zu realisieren wäre.» Das BAV und die SBB überprüften es nun. Sobald die Resultate vorliegen, werde auch der ZVV einbezogen.
Wenig von den Plänen hält der Kanton Aargau. Man sei nicht detailliert über das Konzept informiert worden, sagt Matteo Zinniker vom Departement Bau, Verkehr und Umwelt. «Für den Kanton Aargau, im Speziellen für die Wirtschaftsstandorte Baden und Aarau, ist eine Direktverbindung zum Flughafen essenziell» sagt er. «Sie kann nicht durch eine Umsteigeverbindung kompensiert werden». Mit dem Ausbauschritt STEP 2035 liege ein abgestimmtes Konzept vor, das sowohl Züge über Wallisellen wie auch über den Flughafen vorsieht und die Anschlüsse an den Flughafen aus dem Mittelland berücksichtigt. «Vermutlich lässt sich dies nur als Gesamtes umsetzen», sagt Zinniger.
Baden würde seinen Anschluss an den Flughafen auch mit dem St. Galler Konzept nicht verlieren – der IR 36 von Basel SBB an den Flughafen Zürich soll auch künftig verkehren.
Dass der IC 5 nicht mehr in Aarau hält, ist auch im aktuell geplanten Angebot für den Ausbauschritt 2035 vorgesehen. Allerdings erhielte Aarau mit dem IR 55 von Solothurn über Aarau, Zürich HB und Zürich Flughafen nach St. Gallen einen Ersatz in Richtung Flughafen. Dieser IR ist im St. Galler Zwischenkonzept über Zürich HB hinaus noch nicht vorgesehen, womit Aarau für einige Jahre den direkten Flughafen-Anschluss verlieren würde.
Verschiedene Kantone und Städte westlich von Zürich wären durch das Konzept des Kanton St. Gallen von wegfallenden Direktverbindungen zum Flughafen Zürich betroffen, sagt Matteo Zinniker. «Der Kanton Aargau setzt sich stark für die wichtige Direktverbindung von Aarau an den Flughafen Zürich ein. Eine Verschlechterung des Angebots zum Flughafen Zürich, dessen Qualität in Vergangenheit immer wieder wegen Rollmaterialeinsatz und Baustellen gelitten hatte, ist für den Kanton Aargau nicht akzeptabel.»
Das St. Galler Konzept würde den Kanton Aargau nicht nur benachteiligen. Ein perrongleicher Umstieg in Zürich HB an den Flughafen scheint möglich zu sein, und die Reisezeiten nach Winterthur – immerhin die sechstgrösste Stadt der Schweiz – und in die Ostschweiz würden sich verkürzen.
Die Reaktion zeigt aber: Der Direktzug an den Flughafen ist noch immer heilig. Dabei ist der umsteigefreie Zugang zum Airport selbst für grosse Teile des Kanton Zürich nicht gegeben – und in Zukunft werden noch mehr Gemeinden und Zürcher Stadtbahnhöfe ihren Direktzug an den Flughafen verlieren (Mobimag berichtete). Ob Direktverbindungen zum Flughafen aus allen möglichen Ecken und Enden der Schweiz angesichts dessen tatsächlich in Stein gemeisselt sind, muss in Zukunft wohl noch einmal diskutiert werden.
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