Die Passagierzahlen an den Schweizer Flughäfen steigen stärker, als es noch vor wenigen Monaten erwartet wurde. Insbesondere bei den Geschäftsreisenden sehen die Airlines deutlich mehr Buchungen. Doch nach wie vor haben Billigflieger einen Vorsprung vor Swiss & Co. Das spielt insbesondere einem Schweizer Flughafen in die Hände.
von Stefan Ehrbar
1. November 2021
Das Jahr wird für die Airlines und Flughäfen immer besser. Nachdem im Frühsommer schon die Reisefreiheit innerhalb Europas zumindest für vollständig Geimpfte wieder hergestellt wurde, öffnen sich diese und nächste Woche auch die wichtigen Auslandsmärkte USA, Thailand und Singapur nach Monaten wieder für Schweizer Reisende. Weitere Lockerungen sind angekündigt. So prüft etwa Australien eine frühere Öffnung seiner Grenzen für internationale Reisende. Indien stellt ab sofort wieder Visa für Touristen aus und lässt diese nach 19 Monaten der Grenzöffnung per 15. November erstmals wieder auf kommerziellen Flügen einreisen.
Von dieser Entwicklung profitieren auch Schweizer Airlines und Flughäfen. Die Swiss führte im Schnitt der letzten 7 Tage per 28. Oktober 34,4 Prozent weniger Flüge durch als 2019 zur selben Zeit – der kleinste Rückgang seit Beginn der Krise. Der Flughafen Zürich verzeichnete am selben Datum einen Rückgang von 28,2 Prozent der Bewegungen, der beste Wert seit März 2020 (mehr Daten und Grafiken dazu finden Sie im Mobilitäts-Monitoring). Am Flughafen Genf betrug der Rückgang gar nur noch 24,2 Prozent.
Weil immer noch tendenziell kleinere Flugzeuge als vor der Krise eingesetzt werden und insbesondere im Langstreckenverkehr viele Verbindungen noch nicht wieder aufgenommen wurden – am Flughafen Genf hebt etwa erst heute erstmals seit Monaten wieder ein Langstreckenflugzeug nach New York ab – sind die Passagierzahlen stärker im Minus als die Zahl der Bewegungen.
Ein Vergleich der drei grössten Schweizer Flughäfen Zürich, Genf und Basel zeigt dabei erstaunliche Unterschiede auf.
Im Vergleich der Passagierzahlen zum selben Monat im Jahr 2019 zeigt sich, dass der Euroairport Basel bei der Erholung am weitesten fortgeschritten ist. Im September betrug das Minus der Passagierzahlen gegenüber September 2019 45 Prozent. Am Flughafen Genf waren es 48 Prozent und am Flughafen Zürich 52 Prozent. Noch grösser waren die Unterschiede im Sommer: Im Juni betrug der Abstand der Flughäfen Zürich und Basel ganze 16 Prozentpunkte.
Die Erklärungen dafür bleiben im Wesentlichen die Gleichen wie schon in der ersten Mobimag-Spezialauswertung zu Flughäfen im August.
Der Euroairport Basel und auch der Flughafen Genf sind keine Hubs, zu denen eine Airline viele Kurzstreckenflüge betreibt, deren Passagiere den Betrieb eines grossen Langstreckennetz ermöglichen. Stattdessen setzen sie auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen innerhalb Europas. Diese Verbindungen erholten sich in den letzten Monaten deutlich schneller. Betrieben werden viele solcher Punkt-zu-Punkt-Verbindungen von Billig-Airlines wie Ryanair, Wizz Air oder Easyjet, die allesamt Basel anfliegen, aber mit Ausnahme von Easyjet nicht den teureren Zürcher Flughafen.
Diese Airlines bieten schon fast wieder die selbe Kapazität an wie vor der Krise. Sie haben sich zudem die Schwäche der grossen Netzwerkairlines zunutze gemacht und sind auf Strecken eingesprungen, welche diese aufgegeben haben. Dank einer einheitlichen, günstigen Flotte, viel Flexibilität und nicht zuletzt Personal, das häufig auf osteuropäischen Basen angestellt ist und demnach keine hohen Lohnkosten verursacht, können diese Billiganbieter ihr Angebot viel schneller wieder hochfahren. Ihr Geschäftsmodell ist nicht darauf ausgerichtet, dass sie ein Langstreckennetz brauchen, mit dem Netzwerk-Airlines wie die Lufthansa mit der Tochter Swiss oder AirFrance-KLM das meiste Geld verdienen.
Zahlen von Eurocontrol belegen dies eindrücklich: Per 26. Oktober führte Ryanair nur noch 4,6 Prozent weniger Flüge durch als 2019, bei Wizzair betrug das Minus 4,8 Prozent. Bei Iberia hingegen betrug das Minus 29,0 Prozent, bei AirFrance 29,2 Prozent und bei Lufthansa 38,4 Prozent. Gleich hoch war das Minus auch bei Easyjet – dem einstigen europäischen Pionier des Billigfliegens, der mittlerweile durch Ryanair und Wizzair erheblich unter Druck geraten ist. Vor einigen Wochen machten sogar Gerüchte die Runde, wonach Wizzair eine Übernahme von Easyjet geplant habe.
Mit dem Wiedererstarken der Langstrecke dürften in den kommenden Monaten die Passagierzahlen allerdings auch am Flughafen Zürich wieder stärker steigen. Dazu passt auch das überraschend starke Abschneiden des Geschäftsreiseverkehr, der in Zürich wichtiger ist als in Basel, wo anteilsmässig mehr Tourismus- und sogenannt ethnischer Verkehr von und zu ausländischen Verwandten stattfindet. Noch im August sagte Claire Freudenberger, Sprecherin des Basler Euroaiport zu Mobimag, für die Zeit nach der Pandemie werde erwartet, dass als erstes Reisen im Bereich der Besuche von Freunden und Familien sich wieder erholen, gefolgt von Urlaubsreisen und Städtetrips. Der Geschäftsreiseverkehr werde länger brauchen.
Mittlerweile sind die Airlines aber deutlich optimistischer, was die Geschäftsreisen angeht. So sagte Lufthansa-Sprecher Andreas Bartels zur «NZZ am Sonntag»: «Wir hatten vergangenes Jahr noch stärkere Bedenken, dass die neuen Videokonferenztechnologien tatsächlich den Geschäftsreiseverkehr deutlicher reduzieren. [...] Aber wir stellen fest, dass sie den Managern auch mehr Flexibilität und damit neue Möglichkeiten zum Reisen eröffnen, obwohl zu Hause wichtige Sitzungen anstehen. Im Rahmen unseres noch begrenzten Angebots ist die Businessclass oft voll.»
Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte dem Aviatikjournalisten Sam Chui kürzlich, er sei nicht mehr so pessimistisch wie letztes Jahr. Lufthansa erwarte mittelfristig bei den Geschäftsreisenden nur noch ein Minus von 10 Prozent oder sogar weniger. «Der Geschäftsreiseverkehr ist schneller und stärker zurückgekommen, als wir es erwartet haben», so Spohr. Das gelte auch für die Schweiz. Die Airlines der Gruppe bauten deshalb ihr Angebot aus.
Dass die Coronakrise einen deutlichen Einfluss auf die Reise- und Flugaktivitäten der Menschen hat, darf damit bezweifelt werden. Das sehen selbst Schweizer Verkehrspolitiker so, die in Anbetracht des Klimawandels den Flugverkehr reduzieren möchten. Er sei pessimistisch, sagte etwa SP-Kantonsrat Felix Hoesch im Mobimag-Interview. «Eigenverantwortung funktioniert im Bereich Umwelt nicht». Momentan sieht es gar so aus, als könnte sich die Aviatik schneller erholen, als dies noch vor einigen Monaten prognostiziert wurde. Die Coronakrise wäre dann im Rückblick eine kleine Delle, die schnell ausgeglichen wurde – nicht unähnlich früheren Krisen wie etwa der Zeit nach 9/11 oder der Finanzkrise.
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