Dumping-Preise und Verkaufsgerüchte: Wie geht es weiter mit Publibike? 🆓

Publibike kostet die Post viel Geld. Bild: Mobimag

Zu Tausenden stehen die Velos und E-Bikes von Publibike in den Schweizer Städten. Doch das Verleihsystem ist hoch defizitär, politisch umstritten und konnte zuletzt nur wenig vom Veloboom profitieren. Das zeigen neue Daten. Jetzt prüft die Post gar einen Verkauf. Selber investieren will sie nicht mehr.

von Stefan Ehrbar
26. März 2021

In Zürich und im Glattal, in Bern, Fribourg, Lausanne, Nyon, Sierre, Sion und Lugano unterhält die Post-Tochter Publibike ein Netz an Verleihstationen. 5100 Velos warten an 530 Stationen auf Nutzer.

Nur: Geld verdient die Post damit nicht, im Gegenteil. Die Firma Publibike, die seit Anfang Jahr offiziell eine Tochter der Post ist, hat Verluste in Millionenhöhe aufsummiert. Ausgerechnet die wichtigsten Verträge mit Zürich und Bern stellten sich als Verlustbringer heraus. Wie geht es nun weiter?

Die Nutzungszahlen tönen eindrücklich. Zwischen April 2019 und Dezember 2020 verzeichnete Publibike drei Millionen Fahrten. Das entspricht durchschnittlich 150’000 Ausleihen pro Monat. Das sind im Durchschnitt allerdings weniger als eine pro Tag und Velo und gerade mal neun pro Ausleihstation.

Diese Werte sind zu tief, als dass Publibike profitabel arbeiten könnte – vor allem, weil die Firma in Zürich oder Bern keine Betriebsbeiträge erhält. Sie gab sich mit dem Recht, die Stationen exklusiv betreiben zu dürfen, zufrieden. Ganz ohne Gelder der öffentlichen Hand operiert Publibike in Bern zwar nicht: Knapp eine Million Franken überwies die Stadt der Post-Tochter, damit ihre Angestellten die Velos nutzen dürfen und die entsprechenden Stationen bei den Verwaltungsgebäuden gebaut werden. Doch das reicht nicht. Um mehr Einnahmen zu generieren, erhöhte Publibike im Jahr 2020 deshalb die Preise. Christian Plüss, der die neue Mobilitäts-Sparte der Post leitet, sagte im Juli 2020 der NZZ, das neue Preismodell sei «dringend nötig» gewesen. «Es wäre aus unternehmerischer Sicht fahrlässig gewesen, so zu verfahren wie bisher.»

Mit den bestehenden Verträgen lasse sich kein Gewinn erzielen, so Plüss. Auf einigen Netzen sei Publibike profitabel, «aber in den grossen Städten wurde unser Verleihsystem zu Preisen offeriert, die viel zu tief waren. Diese Verträge laufen über mehrere Jahre weiter. Das macht die Sanierung schwierig.»

In Zürich läuft der Vertrag mit der Stadt bis Ende 2022 – genauso wie in Bern. Danach besteht die Option für eine Verlängerung um fünf Jahre. Zu den bestehenden Konditionen will Publibike aber nicht mehr weitermachen.  «Wenn die Städte offen sind für neue Verhandlungen und Konditionen, dann sind wir weiterhin interessiert. Ein Modell ohne einen Beitrag der Stadt funktioniert aber für uns nicht», sagte Plüss diese Woche zu CH Media. Die Verträge seien per Ende 2022 gekündigt und die Stadtregierungen informiert worden. «Die Verträge mit den Städten Bern und Zürich haben uns finanziell belastet», so Plüss. «Da haben wir das Geschäftsmodell falsch eingeschätzt.» Ein Modell ohne Beitrag der Stadt funktioniere für Publibike nicht.


Die Aussagen erstaunen – schliesslich hatte die Konkurrenz genau diese Kritik schon bei den Ausschreibungen vorgebracht. Postauto hatte in Zürich den Auftrag gewonnen, weil Publibike auf eben diese Betriebsbeiträge verzichtet hatte. Raoul Stöckle, der damalige Chef des E-Bike-Verleihers Bond, warf damals Publibike vor, mit Dumpingpreisen einen funktionierenden Markt kaputt gemacht zu haben. Auch jetzt ist die Kritik harsch. So sagt etwa François Kuonen, Chef der Firma Intermobility, der «Berner Zeitung», Publibike habe «mit Dumpingangeboten dem funktionierenden Veloverleihmarkt nachhaltigen Schaden zugefügt». Nicht die Stadt Bern habe den Betrieb zum Nulltarif vorgeschlagen, sondern Publibike selbst. «Nun erhält Publibike die Quittung dafür.» Kuonen hatte sich mit seiner Firma auch in Zürich und Bern beworben, war aber unterlegen. Intermobility ist heute in 42 Schweizer Gemeinden tätig.

Dass die Städte auf die Forderung des Postauto-Chefs eingehen, ist alles andere als sicher. Beim Zürcher Tiefbauamt gibt man sich etwa unbeeindruckt. «Wir werden neu verhandeln, wenn es Zeit dafür ist. Der Vertrag läuft ja noch bis 2023», sagt eine Sprecherin dem «Tages-Anzeiger». GLP-Verkehrspolitiker Sven Sobernheim wird wie folgt zitiert: «Es gibt keinen Grund, für Publibike Beiträge zu bezahlen.» Das sehe wohl auch der Gemeinderat und die Stadtregierung so. «Dann muss Publibike eben neu offerieren.» Wenn Publibike verschwinde, würden Anbieter wie Bond oder Uber in die Bresche springen.

Ein Geschäftsmodell, das für Publibike funktioniert, sieht wesentliche Beträge der öffentlichen Hand vor. Exemplarisch dafür steht das neue Verleihnetz im Glattal. Dort betreibt Publibike in Kloten, Opfikon und Wallisellen 19 Stationen mit 190 Velos. 60’000 Franken bezahlen die drei Gemeinden jährlich als Betriebsbeitrag – mit über 300 Franken wird jedes Velo damit jährlich subventioniert.

Doch aus den roten Zahlen kommt Publibike auch damit nicht. Dass sie diese schreibt, wurde 2019 durch einen Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle öffentlich. Obwohl die Post ihr Verleihsystem als «Top-Chance» in ihrer Konzernrechnung anführte, hatten sich bis dann und seit 2012 knapp 11 Millionen Franken Verluste aufsummiert. Alleine 2017 wurden fünf Millionen Franken Verlust geschrieben. Auch 2018 wurde ein Verlust geschrieben. Obwohl die Post ein Staatsbetrieb ist, gibt sie sich alles andere als transparent. Das merkten die Kontrolleure des Bundes in ihrem Bericht an. «Die Zahlen von Publibike werden nicht veröffentlicht. Sie werden in den jährlichen Berichterstattungen der Post auch nicht an den Eigner [der Staat, Anm.] rapportiert», heisst es dort.

Verzweiflungstat? Publibike wirbt mit Discountpreisen. Bild: Publibike

Dass Publibike auch 2019 rote Zahlen schrieb, bestätigte der Bundesrat im März 2020 in einer Antwort auf eine Frage aus dem Nationalrat. Über die Höhe schwieg er sich aber aus. Auch 2020 resultierte ein Verlust. Das bestätigte Post-Mobilitäts-Chef Christian Plüss diese Woche gegenüber CH Media. Die Post-Tochter bleibt ein Millionengrab. Dass Plüss für nächstes Jahr ein operativ ausgeglichenes Ergebnis in Aussicht stellt, heisst im Umkehrschluss, dass die Post auch 2021 mit einem Verlust rechnet. Zudem bedeutet ein operativ ausgeglichenes Ergebnis nicht, dass Gewinn geschrieben wird. Denn in dieser Kennzahl sind etwa die Investitionskosten für Velos und Stationen nicht inbegriffen. Bis Publibike selbst im optimistischen Fall Gewinn schreibt, wird es mindestens 2023.


Die Coronakrise hat nun zwar zu einem Boom des Velofahrens geführt (Mobimag berichtete). Das Wachstum bei Publibike hat sich aber ausgerechnet in dieser Zeit verlangsamt. Von den steil ansteigenden Nutzerzahlen der Anfangszeit ist wenig übrig geblieben.

Zwischen 2017 und 2019 stieg die Zahl der Ausleihen von Monat zu Monat stark an. Im Jahr 2019 wurden zwischen April und Dezember etwa zwei Millionen Fahrten verzeichnet.

Diese Zahl konnte die Post zuletzt nicht mehr wesentlich steigern: Zwischen April 2020 und Dezember 2020 wurden erneut circa zwei Millionen Fahrten gezählt. Postauto-Chef Christian Plüss sagt zu CH Media, die Zahl der Ausleihen habe im gesamten Jahr 2020 um 12 Prozent zugenommen. Allerdings stieg auch die Zahl der Ausleihstationen um 12 Prozent – und der Veloverkehr nahm insgesamt ebenfalls stark zu. In der Stadt Zürich betrug das Plus bei den Velofrequenzen im Jahr 2020 beispielsweise 17 Prozent (Mobimag berichtete).

Publibike kommuniziert zudem 40 Prozent mehr Neukunden für das Jahr 2020. Das hiesse allerdings auch, dass zwar viele Interessierte sich das Angebot einmal anschauten, aber nicht nachhaltig davon begeistert waren. Ein Indiz dafür, dass es nicht rund läuft, ist auch die Vermarktung: «Bis auf Weiteres» können die Werbeflächen auf den Velos in Zürich mit 30 Prozent Rabatt gebucht werden – keine Strategie, die ein Unternehmen wählt, das von Interessenten überrannt wird. Im Winter und nun aktuell wieder im Frühling wirbt Publibike mit Spezialangeboten neue Nutzer an – derzeit gibt es auf bestimmte Abos 13 Prozent Rabatt, im Winter waren es noch mehr.

Wie geht es nun weiter mit Publibike? Zahlen zum Geschäftserfolg hat die Post auch 2021 erneut nicht ausgewiesen – trotz dem Rüffel der Finanzkontrolle. Expansionen nach Genf und Chur wurden laut dem SRF abgeblasen, das Netz in Yverdon aufgegeben. In Basel interessierte sich Publibike zwar für einen Auftrag des Kanton Basel-Stadt, ging aber leer aus.

Mittelfristig wolle die Post mit Publibike «gezielte Partnerschaften» eingehen, etwa mit Verkehrsbetrieben. So formulierte es ihr Verwaltungsratspräsident Urs Schwaller schon 2019. Zu einer Zusammenarbeit ist es aber bis heute nicht gekommen – dem Vernehmen nach fehlt auch den angefragten Verkehrsbetrieben die Fantasie, wie das Geschäft unter den gegebenen Voraussetzungen rentabel betrieben werden könnte. Nun schliesst die Post auch einen Verkauf nicht mehr aus: «Die Post ist jetzt an einem Punkt, an dem sie keine grossen Investitionen in Publibike ohne Partner mehr tätigen will», so Plüss zu CH Media.

Unter Beschuss gekommen ist Publibike mittlerweile auch von der Politik. Letztes Jahr forderten etwa die FDP, BDP- und CVP-Fraktion im Berner Stadtrat die Regierung auf, künftig auf ein privates Verleihsystem zu setzen. Diese verwies darauf, dass der Auftrag auch künftig wieder ausgeschrieben werde und sich auch private Anbieter beteiligen könnten. In Zürich wiederum sorgte ein Postulat dafür, dass die kostenlose Verleihalternative «Züri rollt», ein Beschäftigungsprogramm der Asylorganisation Zürich, trotz dem städtischen Auftrag an Publibike weiter betrieben wird. Für Begeisterung in der Post-Zentrale dürfte das nicht gesorgt haben.

Ein Publibike-Verkauf wurde laut der «Aargauer Zeitung» schon früher geprüft. Er hätte einen Abschreiber in der Höhe von 50 Millionen Franken zur Folge, berichtete die Zeitung im Sommer 2019.


Im Interview mit der NZZ sagte Christian Plüss, erst einmal müsse ein Geschäftsmodell gefunden werden, das belastbar sei. «Ob wir der beste Eigner dieses Dienstes sind, kann man hinterfragen. Solange Publibike zu Postauto gehört, machen wir aber das Bestmögliche draus.»

Ein Ass hat Publibike im Ärmel. Es verfügt über Nutzerdaten von mittlerweile 150’000 Menschen. Dabei handelt es sich um überdurchschnittlich urbane, junge Menschen – ein Datenschatz, mit dem viele Unternehmen etwas anfangen können. Ob es sich dabei allerdings um klassische Veloverleiher handelt, ist eine andere Frage.



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