Der Bahnausbau wird 14 Milliarden Franken teurer – ist es das Aus für Projekte in Basel und Luzern? Das sagt die Chefin des BAV

Der Bahn-Ausbau wird deutlich teurer. Bild: SBB

Der Ausbau der Bahninfrastruktur läuft finanziell aus dem Ruder. Er dürfte fast doppelt so teuer werden als geplant. Wie konnte es so weit kommen – und was bedeutet das für den Tiefbahnhof Luzern und das Basler Herzstück? Die Direktorin des Bundesamts für Verkehr, Christa Hostettler, nimmt Stellung – und sagt, wer Schuld hat.

Stefan Ehrbar,
2. Dezember 2024

Dass der laufende Bahnausbau teurer wird, zeichnete sich ab. Doch die konkrete Zahl, die das Bundesamt für Verkehr (BAV) aus dem Departement von Bundesrat Albert Rösti am Donnerstag kommunizierte, ist ein Schock für die Branche und Verkehrspolitiker. Satte 14 Milliarden Franken mehr als geplant dürfte der Ausbauschritt 2035 (AS 2035) kosten. Bewilligt hatte das Parlament gut 16 Milliarden Franken.

Für die Kostenexplosion gibt es zwei wichtige Gründe: Die SBB entschieden vor zwei Jahren, auf die Wako-Technologie in den neuen Fernverkehrsdoppelstockzügen von Alstom zu verzichten. Diese hätte schnelleres Fahren in Kurven ermöglicht. Die Zeitgewinne müssen nun durch Infrastrukturausbauten ermöglicht werden.

Zweitens rechneten die SBB im Jahr 2021 noch einmal nach – und kamen zum Schluss, dass mehr Reserven eingeplant werden müssen, was mehr Infrastruktur bedeutet. Die zuvor angenommenen Fahrzeiten seien «zu wenig realitätsnah», die Zugfolgezeiten «zu knapp» und die grossen Bahnhöfe «mit zu viel Angebot beplant» (Mobimag berichtete). Würden die ursprünglichen Planungsgrundlagen hinterlegt, wären laut SBB-Berechnungen künftig 15 Prozent der Züge verspätet.

Diese Erkenntnisse flossen in die «Konsolidierung» des AS 2035 ein, die das BAV in den vergangenen zwei Jahren durchführte. Nun ist klar: Für den Bau von zusätzlichen Gleisen und Abstellanlagen werden 8,5 Milliarden Franken fällig. Weitere 5,5 Milliarden Franken Mehrkosten entstehen, weil schon beschlossene Projekte wegen der Inflation teurer werden und weil weitere Bahnhöfe wegen steigender Passagierzahlen ausgebaut werden müssen, etwa Genf, Brig oder Zürich-Hardbrücke. Zudem kommen weitere kleine Projekte dazu.

Wurden diese Massnahmen in der Planung vergessen? Die neue Direktorin des Bundesamts für Verkehr, Christa Hostettler, sagt, bei der Planung des AS 2035 sei das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer resilienten Infrastruktur noch nicht so hoch gewesen wie heute. Für ein robustes Netz brauche es die zusätzlichen Weichen, Gleise und Abstellanlagen. Zudem sei die Verkehrszunahme sehr hoch, was die Investitionen in die Bahnhöfe nötig mache, und neue Normen sowie die Inflation verteuerten das Bauen weiter. Das habe sich erst in der jüngeren Vergangenheit gezeigt.

Die Mehrkosten seien «zu hoch», sagt Hostettler. «Jetzt müssen wir über die Bücher». Die Zahlen würden intern und extern noch einmal geprüft und Alternativen angeschaut. Ein Beispiel: Wo neue Viertelstundentakte geplant sind, könnten stattdessen auch zwei Züge pro dreissig Minuten in ungleichen Zeitabständen verkehren. Das wäre für die Kundschaft weniger attraktiv, doch damit könnten möglicherweise Ausbauten eingespart werden. Auch für externe Ideen sei das BAV offen.

Die Mehrkosten haben auch Einfluss auf den nächsten Ausbauschritt, der 2026 ins Parlament kommen soll. Für diesen prüft das BAV derzeit mehrere Grossprojekte, etwa Tiefbahnhöfe in Luzern und Basel. Auf fachlicher Ebene liefen die Planungen weiter, sagt Hostettler.

Klar ist aber: Alle Ausbauschritte werden aus dem Bahninfrastrukturfonds (BIF) bezahlt, und der leert sich bedenklich schnell. Die Finanzierung der Mehrkosten ist laut dem BAV nicht gesichert. Je teurer Reparaturmassnahmen für den laufenden Ausbauschritt werden, desto weniger Geld steht für neue Projekte zur Verfügung. Hostettler betont aber, dass neue Ausbauprojekte auch parallel zum laufenden Ausbauschritt realisiert werden könnten – wenn sie mit anderen Ausbauten in der Gegend abgestimmt und kompatibel sind.

Im Frühling finden Gespräche mit den Kantonen statt, in denen sich diese entscheiden müssen, auf welche Angebote sie zu verzichten bereit wären. Es gebe mehrere Stossrichtungen, sagt Hostettler. Eine sei, die Konsolidierung umzusetzen und erste Grossprojekte für den nächsten Ausbauschritt zu planen. Möglich sei aber auch, dass man Projekte des aktuellen Ausbaus noch einmal grundsätzlich auf den Prüfstand stelle. Dann würde sich der Ausbau weiter verzögern.

Hinter dem AS 2035 stecke ein Angebotskonzept, das vor allem auf mehr Kapazität setze, sagt Hostettler. Und diese brauche es, denn das Wachstum der Nachfrage sei real. Klar sei aber auch: «Wir müssen Abstriche machen». Keine allzu grosse Hoffnung setzt sie auf die Digitalisierung. Das europäische Zugsicherungssystem ETCS könne zwar die Kapazitäten ohne Ausbauten erhöhen, doch die Umstellung dauere auch in der Schweiz bis weit über das Jahr 2050 hinaus.

Wer hat Schuld an den unerfreulichen Nachrichten? Die neuen Planungsparameter und den Verzicht auf die Wako-Technologie müssten die SBB verantworten, sagt Hostettler. Es sei wichtig gewesen, dass das BAV die Mehrkosten kommuniziert habe. «Nun müssen wir schauen, auf was wir verzichten können und wo es neue Prioritäten zu setzen gilt.»

Aus der Politik kommen selbst von links kritische Töne. «Schon etwas desaströs» seien die Nachrichten, schreibt Grünen-Nationalrat Michael Töngi. Die Mehrkosten entsprächen einer Verdoppelung der Summe fast ohne zusätzliches Angebot. Dabei wäre es jetzt wichtig, den ÖV etwa in Agglomerationen auszubauen. «Das können wir uns abschminken, wenn lange Jahre kein neues Projekt mehr in Angriff genommen und hauptsächlich repariert wird.»

Die Zukunft des Schweizer ÖV-Ausbaus scheint ungewiss. Klar ist hingegen schon jetzt, dass der Projektname AS 2035 Makulatur ist. Die Ausbauten werden frühestens in den 2040er-Jahren abgeschlossen sein.

1 Comment

  1. Es wurden doch grad 4.9 Mia frei durch den abgelehnten Autobahnausbau? Das schaffen wir schon. Die Mehrkosten entstehen ja offenbar zu grossen Teilen dadurch, dass die Bahn stark ausgelastet ist. Offensichtlich brauchen wir die Bahn.

Diesen Artikel kommentieren