
Wie können Städte umgebaut werden, so dass sie fussgängerfreundlich werden? Welche Rolle spielt das Auto künftig noch? Der wöchentliche Blick ins Ausland beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit solchen Fragen – und wirft einen Blick auf Oslo, New York City und eine deutsche Gartenstadt.
von Stefan Ehrbar
12. August 2022
New York City: So könnte die Stadt aussehen
«Ein realistischer, nachvollziehbarer Plan für eine Stadt, die sich den öffentlichen Raum zu eigen macht wie nie zuvor»: So titelt das Magazin «Curbed» seine Vision für das New York City der Zukunft.
Mit dem Aufkommen des Autos in den 50er-Jahren habe die Stadt die Trottoirs verengt, um zusätzliche Fahrspuren zu schaffen. Das Überqueren der Strasse – «einst ein improvisierter Sport, der überall gespielt werden konnte» – wurde auf Kreuzungen mit Ampeln beschränkt. Doch Strassen seien Werkzeuge, und die Tatsache, dass es zu viele Autos in der Stadt gebe, die zu gross, zu umweltschädlich und zu gefährlich seien, sei offensichtlich.
Die Autoren der Vision versuchten, sich vor Augen zu führen, was eine umfassende Umgestaltung des Strassenraums für einen typischen Block in Manhattan bewirken würde. Untersucht wurde die Third Avenue zwischen East 33rd und 34th Street. Diese Strasse sei «verkehrsreich, dicht, laut und lebendig». Auf diese Hektik habe man sich eingelassen: «Unser Ziel war es nicht, New York die Gelassenheit einer niederländischen Provinzstadt aufzudrängen. Ohne Reibung wäre New York nicht New York.»
Es sei auch nicht darum gegangen, einen perfekten Plan zu entwickeln, sondern einen ersten Entwurf, der schnell umgesetzt werden könnte. Zwei Lehren habe man gezogen: Die erste sei, dass jede Verbesserung ein Kompromiss sei. Der Schutz von Busspuren durch Betonbarrieren etwa würde zwar Autos fernhalten, aber auch Express-Busse daran hindern, andere zu überholen.
Die zweite Lehre sei, dass selbst einfache Änderungen eine weitreichende organisatorische Umgestaltung mit sich brächen. Würden etwa geschlossene Mülleimer aufgestellt, müsste die zuständige Behörde Fahrzeuge erneuern und die Verfahren ändern. «Neue Vorschriften und Geschwindigkeitsbegrenzungen bedeuten Durchsetzung und damit Geld, Arbeitskraft und – was am wichtigsten ist – einen Sinn für gemeinsame Ziele», schreiben die Autoren.
Zentrale Elemente der Vision sind: Den Bussen gehört die Strasse. Für Velos und Roller soll es extra breite Spuren geben. Für zu Fuss Gehende muss es breite Trottoirs geben, die Fussgängerstreifen sind zudem idealerweise erhöht mit taktilen Rampen an den Ecken, denn das verlangsamt die Autofahrer und erhöht die Sicherheit. Die Lieferung von Gütern bis in die Blocks hinein sollen Velos übernehmen, während es an zentraleren Orten Umschlagplätze für Lieferwagen geben soll.
Den Autoverkehr wollen die Autoren reduzieren, in dem etwa eine Staugebühr eingeführt wird.
Das Beispiel Oslo: Der Weg zur autofreien Stadt
Im Jahr 2019 gab es auf den Strassen im Stadtzentrum von Oslo erstmals keine tödlichen Unfälle mit Velofahrern oder Fussgängern mehr. Damit wurde ein erklärtes Ziel der «Vision Zero» der norwegischen Hauptstadt erreicht. Diese will die Strassen den Menschen zurückgeben.
Zunächst wurden in den letzten Jahren alle Strassen im Stadtzentrum mit wenigen Ausnahmen für den Autoverkehr gesperrt. Die 760 Parkplätze im inneren Ring wurden aufgehoben und mit Radwegen, Bänken und Miniaturparks ersetzt. Hinzu kamen später die Einführung neuer Fussgängerzonen oder von gemischten Nutzungen auf Strassen. Die Planungspyramide wurde auf den Kopf gestellt: Das Auto steht nun zuunterst statt zuoberst. Zwischen 2016 und 2019 nahm die Zahl der Autos im Osloer Stadtzentrum noch einmal um 28 Prozent ab (Mobimag berichtete).
Oslo gehört neben Barcelona und Lille zu den europäischen Städten mit den wenigsten Unfällen im Strassenverkehr, wie eine letztes Jahr veröffentlichte Studie der Universität Kopenhagen zeigt.
Dabei ist die Innenstadt von Oslo auch spätabends noch belebt. Zudem hat sich auch die Luftqualität merklich verbessert. Das städtische Veloverleihsystem wurde in den letzten Jahren mit mehr Stationen, Lastenvelos und einer besseren App erneuert, alle neuen Bauprojekte müssen autofrei geplant werden. Wie sieht aber eine solche autofreie Innenstadt aus? Einblick gibt ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2017. Er kann auch auf dieser Internetseite angeschaut werden.
Oslo: The Journey to Car-free from STREETFILMS on Vimeo.
Die deutsche Gartenstadt als Vorbild
Die Gartenstadt Drewitz im Südosten Potsdams zählt 5600 Einwohner. Es ist laut einem Bericht des Portals energiezukunft.eu der Stadtteil mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen Potsdams. Doch wer einen heruntergekommenen Ort erwarte, werde eines Besseren belehrt: «Sanierte und bunt gestaltete Plattenbauten durchziehen breite Fusswege und Parkanlagen».
Im Jahr 2009 habe das kommunale Wohnungsunternehmen ProPotsdam zusammen mit der Landeshauptstadt Potsdam und Genossenschaften angefangen, den Ort umzubauen. Neben der Sanierung von Häusern standen mehr Grünflächen und Aufenthaltsorte für die Bewohner im Fokus. Dafür mussten aber Parkplätze verschwinden. Die Frage, wer einen solchen und wo brauchte, wurde in einem offenen Beteiligungsverfahren geklärt.
Das Parkieren auf persönlichen Stellplätzen und Mieterparkplätzen wurde kostenpflichtig gemacht. Gleichzeitig wurde Neumietern ein kostenloses Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung gestellt, denn ein Umzug gilt als günstiger Zeitpunkt, zu dem Menschen ihr Mobilitätsverhalten verändern.
Zusammen mit neuen Parkplätzen ausserhalb der Gebäudekomplexe reduzierte sich der Zielverkehr mit dem Auto um fast die Hälfte. Auch sind nun weniger Bewohner mit dem Auto unterwegs. Dafür sorgen auch bessere Freizeitangebote und ein neues Einkaufszentrum. So wurde etwa das Angebot der Stadtteilschule um neue Kulturangebote erweitert. Die Bewohner müssen ihren Ort damit weniger häufig verlassen.
Die Hauptstrasse wurde von einer vierspurigen Strasse in einen Park mit Spielplätzen, Brunnen und einem Café umgewandelt.
Weniger Bedeutung haben hingegen das Velo und das Car-Sharing. Das kostenlose ÖV-Ticket soll nun auf Auto- und Velo-Sharing-Systeme ausgeweitet werden. Zudem sollen neue Solaranlagen auf den Dächern geschaffen werden und das Angebot des öV verbessert werden.
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