Eisenbahn vs Autobahn in Deutschland // So knapp werden Velos überholt // Boston fördert den ÖV mit Stadt-Mitarbeitenden

Gibt es bald noch mehr Baustellen auf deutschen Autobahnen? Bild: Monika/Pixabay

Weil der deutsche Verkehrsminister auch Autobahnen schnell ausbauen will, liegen Bahn-Projekte brach. Das sorgt für Kritik. Ausserdem im wöchentlichen Blick aufs Ausland mit den Links zu spannenden Geschichten: Velofahrende werden viel zu knapp überholt – und die US-Stadt Boston setzt voll auf den öffentlichen Verkehr.

von Stefan Ehrbar
10. Februar 2023

Eisenbahn vs Autobahn in Deutschland

In der deutschen Verkehrspolitik ist Feuer im Dach. Mehrere Verbände des Schienen- und Güterverkehrs haben diese Woche in einer gemeinsamen Mitteilung den Verkehrsministers Volker Wissing (FDP) kritisiert.

Dabei handelt es sich um die Allianz pro Schiene, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, den Verband der Güterwagenhalter und den Verband die Güterbahnen. In ihrer Mitteilung nehmen sie Bezug auf die Handlungsempfehlungen der Beschleunigungskommission Schiene, die Vertreter der Bahn im letzten Dezember Wissing vorgelegt hatten.

Zu diesen Empfehlungen gehört etwa, Hochleistungskorridore rasch umzusetzen, das Kapazitätsmanagement konsequent zu digitalisieren und zu optimieren, kapazitätssteigernde Bauten schneller umzusetzen, den Schienenverkehr neu zu finanzieren und der Schiene im Planungsrecht Vorrang einzuräumen, wie heise.de berichtet.

Doch Wissing lasse die insgesamt 70 Vorschläge seit knapp zwei Monaten liegen. «Unstrittige Massnahmen zum Ausbau der Schiene hängen in der Bundesregierung fest, weil nach dem Willen der FDP auch der Neubau von Autobahnen beschleunigt werden soll», heisst es in der Mitteilung der Verbände.

«Mittlerweile sind wir so weit, dass der Bundesverkehrsminister den Schienengüterverkehr kleinredet, um den Neubau von Strassen zu legitimieren. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Bei der Schiene müssen wir alles beschleunigen, bei der Strasse nur die Sanierung», wird der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, zitiert.

Die Güterbahnen hätten in der Corona- und Energiekriese geliefert. Ihr Anteil liege deutlich höher als vor Corona, heisst es in der Mitteilung weiter. Von zurzeit rund 20 Prozent hielten die Unternehmen ein Wachstum auf 35 Prozent bis 2035 möglich, wenn der Bund seine Hausaufgaben bei Infrastruktur und Rahmenbedingungen mache.

So wären 10 bis 15 Prozent weniger Lastwagen auf den Strassen unterwegs, rechnen die Verbände vor.

Das deutsche Verkehrsministerium hat im Dezember 2022 den Entwurf für ein Gesetz vorgelegt, mit dem Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich beschleunigt werden sollen. Kritik hat sich daran entzündet, weil das nicht nur für Bahnlinien und Flughafeninfrastruktur gelten soll, sondern auch für Autobahn-Projekte. Im Entwurf sind Strassenbauvorhaben wie die Verlängerung der A100 in Berlin enthalten.

Selbst in der regierenden Koalition ist der beschleunigte Bau von Autobahn-Infrastruktur aber umstritten und er ist auch nicht Bestandteil des Koalitionsvertrags.

Von einer «toxischen Autobahn-Liste» spricht der «Spiegel». Zwar handle es sich bei den 144 von Wissing vorgelegten Projekten nicht um Neubauten, sondern um Verlängerungen oder Ausbauten. Aber dennoch wollten die Grünen dieser Liste nicht zustimmen. Das weitere Vorgehen könnte auch davon abhängen, wie die Grünen und die FDP bei den Landtagswahlen in Berlin an diesem Sonntag abschneiden. «Je schlechter, desto schwieriger ein Kompromiss», schreibt das Magazin.

So knapp werden Velofahrende überholt

Einen rechtsverbindlichen Mindestabstand beim Überholen von Velofahrenden durch Autofahrer gibt es in der Schweiz zwar nicht, weil das Bundesgericht in Urteilen die Abwägung im Einzelfall betont hat. Als Faustregel gilt aber: Ein Abstand von einem bis 1,5 Meter sollte eingehalten werden.

In Deutschland ist der Abstand von 1,5 Metern innerorts gesetzlich vorgeschrieben, ausserorts sind es 2,0 Meter. Eine neue Studie zeigt nun: Eingehalten wird das kaum je. Dafür haben Forschende der Hochschule RheinMain und der ADFC Darmstadt knapp 30’000 Überholvorgänge mithilfe von Abstandssensoren vermessen, wie das Portal nimms-rad.de berichtet.

Die Resultate seien «ernüchternd»: Innerorts werde der Abstand von 1,5 Metern in 50 Prozent der Fälle unterschritten, ausserorts würden die 2,0 Meter gar in 80 Prozent der Fälle nicht eingehalten.

Laut Studienleiter Heinz Werntges wurde zweimal sogar eine Berührung zwischen dem überholenden Fahrzeug und dem Velo festgestellt und Messwerte von unter 50 Zentimetern seien mehrfach vorgekommen.

Mit der Datensammlung ging es laut den Forschern nicht darum, im Einzelfall Rechtswidrigkeiten zur Anzeige zu bringen, sondern eine objektive Bestandesaufnahme für Velofahrende und deren Situation im deutschen Strassenverkehr zu ermitteln. Zudem könne die städtische Verkehrsplanung mit solchen Datensammlungen Gefahrenquellen leichter erkennen und gegebenenfalls baulich entschärfen.

Bei den eingesetzten «OpenBike»-Sensoren handelt es sich um Geräte, die den Abstand zwischen Auto und Velo mittels Ultraschall messen. Die Baupläne für diese Sensoren werden vom Verein OpenBikeSensor e.V. auf seiner Internetseite zur freien Verfügung gestellt.

Stadt Boston setzt auf den öffentlichen Verkehr

Die Stadt Boston im US-Bundesstaat Massachusetts an der Ostküste setzt auf die Förderung des öffentlichen Verkehrs bei ihren Angestellten. Das berichtet das Portal govtech.com.

Ein neues Leistungspaket für die Angestellten zielt demnach darauf ab, mehr Autos von der Strasse zu holen. Die Bürgermeisterin Michelle Wu kündigte letzte Woche an, dass die Stadt Boston künftig 65 Prozent des Preises einer Monatskarte des ÖV-Betreibers MBTA bezahlen wird.

Ausserdem offeriert die Stadt kostenlose Mitgliedschaften des Velo-Verleihsystems Bluebike. Bisher wurden die Jahreskarten im Wert von 119 US-Dollar für 60 Dollar an die Stadt-Mitarbeitenden abgegeben.

Die Stadt Boston sei mit ihren 18’000 Mitarbeitenden einer der grössten Arbeitgeber, wird Kat Eshel zitiert, die stellvertretende Direktorin für Klima- und Umweltplanung. Wenn sich die Stadt in diese Richtung bewege, sende sie ein klares Signal an andere Arbeitgeber aus, dass sie sich ernsthaft mit der Art der Fortbewegung ihrer Mitarbeitenden bewegen müssten.

Eine Gruppe von Mitarbeitenden, die sich «Bicycle and Active Transportation Employee Resource Group» nennt, habe bereits 2020 Änderungen vorgeschlagen, wie sie nun umgesetzt wurden. Beim damaligen Bürgermeister seien sie damit aber nicht durchgedrungen – auch weil die Politik unter dem Eindruck der Pandemie und des zunehmenden Homeoffice stand, heisst es im Artikel.

Die Gruppe stösst sich auch daran, dass städtische Angestellte viele Parkplätze kostenlos benützen können, während Mitarbeitende privater Firmen dafür bezahlen müssen. Das komme einer Subventionierung des Autofahrens gleich.

Umfragen hätten gezeigt, dass die Menschen bereit seien, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie Zuschüsse für das Velofahren, die Nutzung des ÖV oder andere aktive Verkehrsmittel bekommen, sagt Alex Lawrence, der Chief People Officer der Stadt.

Das neue Leistungspaket werde auch als Instrument zur Mitarbeiterbindung und -rekrutierung eingesetzt. Schliesslich wolle die Stadt ein attraktiver Arbeitgeber sein.

Zudem beteiligt sich Boston an einem Pilotprojekt des ÖV-Unternehmens MTBA, bei dem 4’000 zufällig ausgewählte Mitarbeitende unbegrenzten Zugang zum ÖV erhalten. Auch Arbeitgeber wie Google oder Sanofi nehmen am Test teil. Davon erhoffen sich die MTBA und die Firmen bessere Daten zur Frage, was die kostenlose Nutzung des öffentlichen Verkehrs bringen könnte.

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