Mehr Auto, weniger Velo: Plant der Kanton Zürich in die falsche Richtung?

Gibts in Zürich bald mehr Autos? Bild: Patrick Federi / Unsplash

Der Kanton Zürich hat seine Ideen für das vierte Agglomerationsprogramm vorgestellt. Die Veloförderung spielt darin eine zentrale Rolle. Allerdings gehen die Prognosen des Kantons genau in die andere Richtung: Demnach nimmt der Veloverkehr sogar ab. Warum?

von Stefan Ehrbar
11. Juni 2021

Bis am nächsten Dienstag können die Kantone und Gemeinden ihre Ideen für das Agglomerationsprogramm der vierten Generation beim Bund einreichen. Dieser entscheidet dann, welche Massnahmen er finanzieren will. Je nach Qualität der eingereichten Projekte beteiligt sich der Bund im Bereich Verkehr mit 30 bis 50 Prozent an den Investitionskosten für umsetzungsreife Massnahmen.

Zu den grössten Profiteuren der bisherigen drei Agglomerationsprogramme gehört der Kanton Zürich: Er hat Beträge in der Höhe von 1,04 Milliarden Franken zugesprochen erhalten. Nun hat er im Rahmen der 4. Generation der Agglomerationsprogramme drei weitere Massnahmenpakete eingereicht – nämlich für die Regionen Stadt Zürich/Glattal, Zürcher Oberland und Limmattal.

Die Liste der Projekte ist lang – und Massnahmen für den Veloverkehr und den ÖV dominiere. So hat der Kanton Veloschnellrouten von Dietikon an die Grenze zum Kanton Aargau und von Schlieren nach Dietikon ins Programm aufgenommen, die alleine 75 Millionen Franken kosten würden. Die Verlängerung der Glattalbahn vom Flughafen Zürich nach Kloten wird mit 262 Millionen Franken budgetiert, die Velohauptverbindung von Kloten nach Bassersdorf mit 81 Milllionen Franken.

Um in der Stadt Zürich die Hardturmstrasse umzugestalten, werden weitere 17 Millionen Franken benötigt, die der Bund mitfinanzieren soll. Die bessere Erschliessung des Hochschulgebiets mit dem ÖV kostet 40 Millionen Franken, ein neuer Bushof in Regensdorf knapp 17 Millionen Franken. Für die Verbindung der Stadtkreise 4 und 5 mit einer Veloroute werden 50 Millionen Franken veranschlagt, für die Velohauptverbindung Baltenswil-Dietlikon 49 Millionen Franken und für eine Veloschnellroute vom Bahnhof Wallisellen in die Stadt Zürich 20 Millionen Franken – alles Projekte der höchsten Prioritätsstufe «A».

Die Stossrichtung ist klar: «Der Kanton hat sich zum Ziel gesetzt, den ÖV-Anteil, aber auch jenen des Fuss- und Veloverkehrs zu steigern. Deshalb sollen unter anderem attraktive Fuss- und Velowege entstehen», heisst es im Bericht.

Umso mehr irritieren die Prognosen, die der Kanton darlegt – denn sie zeigen in die falsche Richtung.

Im Limmattal etwa soll der ÖV-Anteil gemäss den Prognosen des Kantons zwar von heute auf 2040 genauso steigen, wie der Anteil des Autoverkehrs (MIV) sinken soll. Allerdings: Der Anteil der Fussgänger und Velofahrer an den zurückgelegten Wegen pro Tag sinkt laut den Zahlen des Kantons ebenfalls – und zwar von 25 auf 24 Prozent.

Noch schlechter sieht es in der Stadt Zürich und im Glattal aus. Gemäss den Unterlagen des Kantons nimmt etwa der Anteil der Autofahrten an den Wegen ausgerechnet in der Stadt Zürich zu – von heute 29 Prozent auf 30 Prozent im Jahr 2040. Der Anteil der Fussgänger und Velofahrer sinkt demnach sogar stark: Von 39 Prozent auf 33 Prozent in der Stadt Zürich und von 26 auf 33 Prozent im Glattal.

Unerwünschte Effekte sind auch in der Stadt Winterthur und Umgebung zu beobachten: Der Anteil der Fussgänger und Velofahrer sinkt demnach bis 2040 in der Stadt Winterthur von heute 38 auf 36 Prozent, in der Umgebung von 17 auf 15 Prozent. Es wäre genau das Gegenteil jener Entwicklung, welche der Kanton im Bericht verspricht: Statt mehr Velofahrern weniger, statt weniger Autos in der Stadt eine Zunahme.

Wie kommt es zu diesen Zahlen?

Markus Gerber vom zuständigen Amt für Mobilität des Kantons sagt, die Daten seien teilweise nicht mehr ganz aktuell. «Es handelt sich bei den dargestellten Zahlen aus dem kantonalen Gesamtverkehrsmodell (GVM) um eine Trendprognose, ohne die Massnahmen des Agglomerationsprogramms der vierten Generation. Einzelne Modellgrundlagen im GVM stammen von 2005/2010, weshalb das heutige Verkehrsmittelwahl-Verhalten nicht ganz adäquat abgebildet wird. Zudem wird das Nachfragepotenzial 2040 gemäss dieses Verkehrsmittelwahlverhaltens hochgerechnet.» Bis 2023 werde sein Amt ein grundlegend neues Gesamtverkehrsmodell erstellen.

Mit den Massnahmen aus dem Agglomerationsprogramm hofft der Kanton, die prognostizierten Entwicklungen zu korrigieren. «Es ist ein wesentliches Ziel der Agglomerationsprogramme, den MIV-Anteil am Modalsplit zu reduzieren und jene von Fuss- und Veloverkehr sowie des ÖV zu erhöhen», sagt Gerber. «Ein klarer Schwerpunkt in allen drei Agglomerationsprogrammen stellen deshalb Massnahmen zugunsten des Fuss- und insbesondere des Veloverkehrs dar, wie sich in den Massnahmenlisten eindeutig zeigt. Der Handlungsbedarf ergibt sich somit insbesondere auch aus der Trendprognose.»

Die Stadt Zürich wiederum sei daran, den Anteil des Autoverkehrs zu verringern – auch wegen der angenommenen Volksinitiative «Zur Förderung des ÖV, Fuss- und Veloverkehrs in der Stadt Zürich». «Das ist ihr in den letzten Jahren auch gelungen», sagt Gerber. «Die nun im Agglomerationsprogramm der 4. Generation enthaltenen Massnahmen in der Stadt Zürich werden die Erreichung dieses Ziels zusätzlich unterstützen.»

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