Die Stadt Zürich plant ihre Tempo-30-Offensive – aber einfach ist das nicht: Diese Stolpersteine lauern

In der Birmensdorferstrasse will die Stadt Tempo 30, ausser für Trams. Bild: Patrick Federi / Unsplash

Auf 150 Kilometern Strassen will die Stadt Zürich neu Tempo 30 signalisieren. Doch das ist einfacher angekündigt als umgesetzt, denn für jede Strasse muss ein eigenes Gutachten erstellt werden. Das wurde bisher noch nicht gemacht. Folgt nun die böse Überraschung für die Verkehrsberuhigungs-Pläne?

von Stefan Ehrbar
3. Januar 2022

Die Stadt Zürich hat Anfang Dezember kommuniziert, wie die dritte Etappe der Strassenlärmsanierung aussehen soll. Auf weiteren 150 Kilometer Strassen soll Tempo 30 realisiert werden. So sollen tagsüber 48’000 Personen und nachts 95’000 Personen von einer deutlichen Lärmreduktion profitieren, heisst es in der Mitteilung. Die Lärmsanierung ist gesetzliche Aufgabe der Stadt. Die betroffenen Strecken sind in einem interaktiven Stadtplan aufgeschaltet.

Wo der ÖV mit Tempo 30 zu stark behindert wird, soll geprüft werden, ob für ihn ein sogenannter Unabhängiger Bahnkörper (UBK) geschaffen werden kann. Eine solche Abgrenzung vom übrigen Strassennetz würde es ihm erlauben, weiterhin mit Tempo 50 zu verkehren. Ausserdem soll auf diversen Strecken Tempo 30 nur nachts signalisiert werden, damit der ÖV tagsüber nicht gebremst wird. Das ist auch die Rückfallebene für die Strassen, auf denen ein UBK vorgesehen ist, sich dieser aber als nicht realisierbar erweist.

Das Gesamtkonzept zur Strassenlärmsanierung breitet auf 46 Seiten aus, nach welchen Kriterien die Stadt vorgegangen ist (Link zum PDF-Dokument). Die Lektüre legt aber auch offen: Die Hindernisse sind nach wie vor gross. Mobimag zeigt, woran Tempo 30 noch scheitern könnte.

Die Rechtslage ist klar: Strasseneigentümer sind gemäss Umweltrecht zur Lärmsanierung verpflichtet. In erster Priorität müssen Massnahmen an der Quelle ergriffen werden. Geschwindigkeitsreduktionen sind eine einfache und wirksame Massnahme – und zwar deutlich wirksamer als etwa lärmarme Belage. Trotzdem gilt in der Schweiz grundsätzlich Tempo 50 innerorts. Davon abgewichen werden darf nur, wenn die Immissionsgrenzwerte überschritten sind, wenn eine Massnahme geeignet ist, eine Lärmminderung von mindestens 1 dB zu erzielen und wenn keine Interessen entgegenstehen, die das Gesundheitsinteresse der Anwohnenden überwiegen.

Konkret heisst das: Tempo 30 kann nicht einfach für die ganze Stadt verfügt werden, sondern für jeden Strassenabschnitt muss ein Gutachten erstellt werden, welches auch die Logik des Gesamtnetz berücksichtigt.

Das tönt unproblematisch, ist doch die lärmmindernde Wirkung von Tempo 30 gut erforscht. Gegenüber Tempo 50 wird eine Lärmreduktion von etwa 4 bis 5 dB erzielt – deutlich mehr als etwa durch lärmarme Belage (-2 dB) oder leise Reifen (1 bis 2 dB). Die Elektrisierung des Verkehrs hat einen noch geringeren Einfluss, weil bei Geschwindigkeiten ab 20 Kilometer pro Stunde bei Autos sowieso das Rollgeräusch überwiegt und das Antriebsgeräusch sekundär wird.

Doch so einfach ist es nicht. Denn Tempo 50 wird auf den meisten Strassen in der Stadt kaum je gefahren. Die effektiven Durchschnittsgeschwindigkeiten sind viel niedriger, der lärmmindernde Effekt von Tempo 30 demnach auch. Bei einem Monitoring auf verschiedenen Abschnitten hat die Stadt Zürich festgestellt, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Tempo-50-Strecken vor ihrer Umsignalisierung zu Tempo-30-Zonen bei 42,3 Kilometer pro Stunde lag.

Dieser Effekt wurde bei den aktuellen Plänen mit einberechnet, sagt Nadja Häberli von der zuständigen Dienstabteilung Verkehr (DAV) zu Mobimag. «Die tiefere Durchschnittsgeschwindigkeit wurde bei den Lärmberechnungen berücksichtigt, indem für die Lärmminderungswirkung von Tempo 30 nicht die potentiell möglichen -4 bis -5 Dezibel einberechnet wurden, sondern nur -3 Dezibel.» Nur: Ob auf den einzelnen Abschnitten die Durchschnittsgeschwindigkeit nicht heute schon tiefer ist, weiss niemand. Erst die Gutachten werden dies zeigen – und damit die Frage beantworten, ob die behaupteten Lärmminderungen überhaupt realisiert werden können.

Dass Zweifel angebracht sind, zeigt ausgerechnet ein verkehrstechnisches Gutachten der Stadt Zürich. Sie liess schon im Dezember 2020 durch das Büro ewp die Auswirkungen von Tempo 30 auf der vielbefahrenen Rosengartenstrasse untersuchen. Auch auf dieser soll im Rahmen der aktuellen Pläne Tempo 30 signalisiert werden. Nur: In Richtung Bucheggplatz, also bergaufwärts, beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit gemäss dem Gutachten bereits heute nur 35 Kilometer pro Stunde. Ob Tempo 30 also für die Lärmminderung im gewünschten Umfang sorgen würde, ist unklar. Selbst auf der Bucheggstrasse weiter oben beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit in Richtung Bucheggplatz nur 40 Kilometer pro Stunde. Höher ist sie hingegen die Bucheggstrasse runter mit 49 km/h.

Ein Hindernis für Tempo 30 sei das nicht, sagt Nadja Häberli von der DAV. «Auch wenn die tatsächlichen gefahrenen Geschwindigkeiten wesentlich unter 50 km/h liegen, kann die Einführung von Tempo 30 aus Lärmschutzgründen zweckmässig sein, da der Verkehrsfluss homogenisiert und lärmtechnisch problematische Ausreisser reduziert werden können. Zudem kann auch aus Sicherheitsgründen eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zweckmässig sein.» Für die Gutachten wird die Stadt nun für jeden Abschnitt Geschwindigkeitsmessungen durchführen. Erst wenn diese vorliegen, kann über die Tempo-30-Pläne für die einzelnen Abschnitte entschieden werden. Sie bilden die «Grundlage für die Prüfung der Verhältnismässigkeit», sagt Häberli.

Einen Stein in den Tempo-30-Weg legen könnten auch die Unabhängigen Bahnkörper für die Tramlinien. Nur wenn diese verwirklicht werden können, will die Stadt auf Strassen wie der Badenerstrasse Tempo 30 einführen. Sonst soll weiterhin Tempo 50 gelten. Allzu viele Beispiele dafür gibt es noch nicht – das DAV verweist etwa auf die Dübendorfstrasse oder die Winterthurerstrasse. «Ein unabhängiger Bahnkörper, würde es erlauben, dass das Tram sich nicht an die Höchstgeschwindigkeit der Strasse halten muss. Das bedingt bauliche Massnahmen, die im Rahmen von Strassenbauprojekten geprüft werden müssen», sagt Häberli.

Die Erfolgsaussichten im sowieso schon dichten Zürcher Strassennetz sind wohl gemischt. Ein Eigentrasse reicht nicht: Tramspuren müssen – wie es der Name sagt – baulich abgetrennt sein. Ob sich das auf dem beschränkten Strassenraum verwirklichen lässt, ist unklar. Wie schon heute um Zentimeter gerungen wird, zeigt etwa eine Einsprache von Pro Velo zu einer Strassensanierung in der Badenerstrasse. Dort wurde selbst eine Verbreiterung der Velospur um 0,25 Meter von der zuständigen Behörde abgelehnt, wie Pro Velo Zürich berichtete. Ob da noch ein Betonkörper Platz hätte, der die Tramspur von der Strasse trennt, und der an dieser Stelle von der Stadt im Rahmen ihrer Tempo-30-Pläne geplant ist?

Diese Option ist übrigens nur eine für Trams. Unabhängige Bahnkörper unterliegen dem Eisenbahngesetz, für Busse sind sie nicht erlaubt. «Unabhängig von der Art der Busspur gilt für den Busverkehr immer die signalisierte Höchstgeschwindigkeit der Strasse», sagt Nadja Häberli. Das gilt auch für Trolleybusse. Diese unterliegen dem Trolleybusgesetz. «Sie haben kein Autokennzeichen, werden mittels Eisenbahngesetz bewilligt, verkehren jedoch im Strassenraum und müssen sich  – wie Busse – an das Strassenverkehrsgesetz halten», sagt Häberli.

3 Comments

  1. Mich interessiert, ob bei einem UBK nicht auch mehr als 50 km/h möglich wäre. Meines Wissens wäre das kein Problem. Die Flexity- und Cobra-Tram wären fähig, 60 km/h zu fahren. Damit könnte man vermutlich punktuell die Nachteile der 30er-Zonen etwas mildern, allgemein Reisezeiten verkürzen und die Attraktivität des ÖV gegenüber dem MIV steigern. Weiss das jemand?

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