Der Bund könnte den Zürcher Stadttunnel bald offiziell beerdigen – Alternativen gibt es keine

Der Stadttunnel wurde unter dem Hauptbahnhof bereits im Rohbau erstellt. Bild: Stadt Zürich

Zurzeit prüft das Bundesamt für Strassen, ob es den Zürcher Stadttunnel endlich aus seinem Netzbeschluss streichen soll. In diesem Fall kämen eigentlich Alternativen zum Zug – doch die werden kaum je umgesetzt, wie eine Nachfrage bei der zuständigen Behörde offenbart.

von Stefan Ehrbar
5. Juli 2021

1,615 Milliarden Franken würde er nach den letzten Schätzungen kosten, über ihn gestritten wird schon seit 50 Jahren: Der Zürcher Stadttunnel. Er sollte eigentlich von der Brunau unter der Sihl und dem Hauptbahnhof hindurch zum Platzspitz führen und weiter unter dem Zürichberg hindurch zum Anschluss Wallisellen der A1. Die Verbindung würde die Lücke der Autobahnen im Raum Zürich schliessen.


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Dass das Projekt noch realisiert wird, glaubt kaum jemand mehr. Schon 2017 bat der Zürcher Regierungsrat das Bundesamt für Strassen (Astra), das Projekt aus dem Nationalstrassennetz zu streichen. Am 13. Juni stimmten die Stadtzürcher mit einer überwältigenden Mehrheit dafür, dass das bereits in den 80er-Jahren gebaute und für das Projekt gedachte Tunnelstück unter dem Hauptbahnhof als Velotunnel umgenutzt wird. Fast zehn Millionen Franken budgetierte die Stadt allerdings für einen Rückbau, falls der Bund den Stadttunnel dereinst doch noch umsetzen sollte. Im aktuellen «10. langfristigen Bauprogramm für die Nationalstrassen» des Astra zur Netzfertigstellung ist das Projekt nach wie vor enthalten.

Die geplante Streckenführung des Stadttunnels. Bild: Wikipedia

Nun könnte der Bund allerdings dem Autotunnel, den fast niemand will, offiziell den Todesstoss versetzen. Das Astra führt derzeit eine Untersuchung im Bereich Netzvollendung des Nationalstrassennetzes im Bereich der Stadt Zürich durch, wie ein Sprecher bestätigt. «Im Rahmen dieser Untersuchung wird abgeklärt, ob er aus heutiger Sicht noch zweckmässig ist», sagt Sprecher Benno Schmid. «Letztlich wird das Schweizer Parlament zu entscheiden haben, wie es mit dem Stadttunnel weiter gehen wird. Das Parlament ist für die Festlegung des Nationalstrassennetzes zuständig. Solange der Stadttunnel im Netzbeschluss enthalten ist, sind auch die entsprechenden finanziellen Mittel im Bauprogramm eingestellt.»

Sollte die Untersuchung zum wenig überraschenden Schluss kommen, dass es den Stadttunnel nicht braucht – schliesslich wurde die Stadt mit der Westumfahrung und dem laufenden Ausbau der Nordumfahrung mit der dritten Gubrist-Röhre deutlich vom Durchgangsverkehr entlastet – kämen eigentlich Alternativen zum Zug.

Im Richtplan des Kanton Zürich ist ein Tunnel unter dem Seebecken vorgesehen, falls sich der Stadttunnel als nicht realisierbar erweisen sollte. Dieser soll vom Anschluss der A3 in Zürich-Brunau über Tiefenbrunnen zum Anschluss der A1 bei Dübendorf führen und ist als städtische Hochleistungsstrasse vorgesehen. Ebenfalls als städtische Hochleistungsstrasse vorgesehen ist ein Seebeckentunnel im Bereich des Bellevue.

Dass einer dieser beiden Tunnels statt des Stadttunnel gebaut wird, darf aber bezweifelt werden. In einer kürzlich veröffentlichten Antwort auf eine entsprechende Anfrage schreibt der Zürcher Regierungsrat, Auswertungen aus dem kantonalen Gesamtverkehrsmodell zeigten, dass nur ein geringer Anteil des motorisierten Individualverkehrs von den Regionen Fahrziele ausserhalb der Stadt Zürich habe. «Für diesen Verkehr bringt ein vollständiger Ring um die Stadt Zürich nur wenig Nutzen. Derzeit sind auf kantonaler Ebene daher keine weiteren Planungen hinsichtlich einer
Hochleistungs-Ringstrasse vorgesehen.» Zuständig für die Umsetzung wäre gemäss dem kantonalen Strassengesetz sowieso die Stadt.

Die macht keine Anstalten, sich um eines der Projekte zu kümmern. «Die Stadt Zürich hat bereits 2009 eine Zweckmässigkeitsstudie zur unterirdischen Verkehrsführung entlang des Seebeckens erarbeitet. Die Studie weist ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis für einen Tunnel im Bereich des Seebeckens aus, insbesondere weil ohne Zwischenanschlüsse nur eine geringe Entlastung des Seebeckens erreicht wird und die Kosten von über 600 Mio. Franken plus entsprechende jährliche Unterhaltskosten sehr hoch sind», schreibt Roger Schaad vom städtischen Tiefbauamt auf eine Anfrage von Mobimag.

«Die Studie zeigt weiter, dass im Bereich der Portale schwierige stadträumliche und städtebauliche Situationen entstehen würden, die den zentralen, international bedeutenden Stadtraum mitten im Siedlungsgebiet für die Zukunft negativ prägen würden», so Schaad. «Die Stadt Zürich hat unter anderem aus diesen Gründen bis anhin von weiterführenden Planungen einer solchen Massnahme abgesehen.» Aufgrund der negativen Ergebnisse der Studie «rechnen wir nicht mit der Umsetzung», schreibt Schaad.

Es ist wohl keine besonders gewagte Prognose: Das Strassennetz rund um Zürich ist gebaut. Das Astra dürfte diese Einschätzung wohl schon bald offiziell bestätigen. Damit wären jahrzehntelange Diskussionen um Autobahnen mitten in der Stadt beendet – in einer Zeit, in der solche Projekte definitiv nicht mehr ganz zeitgemäss wirken.

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