GLP-Verkehrspolitiker Sven Sobernheim: «Beim Thema Elektromobilität schläft der Zürcher Stadtrat»

GLP-Gemeinderat und Verkehrsplaner Sven Sobernheim. Bild: GLP

Sven Sobernheim ist einer der aktivsten Verkehrspolitiker der Stadt Zürich. Der Verkehrsplaner sitzt für die GLP im Gemeinderat und dort unter anderem in der Spezialkommission Sicherheit/Verkehr. Als Mitglied der Regionalen Verkehrskonferenz Zürich ist der 31-Jährige nahe an allen Entwicklungen zum öffentlichen Verkehr. Im Interview sagt er, warum der Stadtrat zu wenig für die Elektromobilität macht, warum er Daten von den Veloverleihern möchte und was er von einer U-Bahn in Zürich hält.

Interview: Stefan Ehrbar
31. März 2021

Herr Sobernheim, welches sind die grössten Baustellen der Stadt Zürich im Bereich Verkehr?
Es sind zwei Themen: Die Elektromobilität und der Veloverkehr. Bei letzterem hat der Stadtrat selbst die Velorouteninitiative zur Annahme empfohlen. Trotzdem ist seither nicht viel passiert. Auch die Motion von Marco Denoth und mir, welche die Umsetzung der Veloschnellrouten fordert, dümpelt vor sich hin. Das Einzige was der Stadtrat bis jetzt beschlossen hat ist, dass die Veloschnellrouten jetzt Velovorzugsrouten heissen. Die Elektromobilität wird durch den Stadtrat aktiv blockiert und es kommen Aussagen wie «der Technologieentscheid» sei noch ausstehend. Es ist wichtig, dass die Stadt den Individualverkehr reduziert, aber der restliche Individualverkehr muss möglichst rasch vollständig elektrifiziert werden. Hier schläft der Stadtrat.

Einer ihrer aktuellen Vorstösse im Gemeinderat befasst sich mit der Frage, warum die Stadt sich schwer tut mit Ladestationen für Elektroautos. Verpasst die Stadt einen Trend?
Dass er einen Trend verpasst, ist zu nett formuliert. Wir riskieren, dass wir Netto Null verschlafen. Beim grössten Punkt, dem Wohnen, gibt der Kanton mit dem neuen Energiegesetz Gas. Beim Verkehr sind wir alleine in der Verantwortung und mit der Verhinderung der Elektromobilität fördern wir indirekt die fossilen Treibstoffe.

Die Städtekonferenz Mobilität hat in einer Studie unlängst verschiedene Vorschläge gemacht, wie Städte mit dem Verkehr umgehen können. Dazu gehören etwa die Aufhebung von Anwohnerparkplätzen, wenn privat erstellte zur Verfügung stehen, der Bau von Parkhäusern in Quartieren statt blauen Zonen oder der Gratis-ÖV für Kinder und Jugendliche. Was halten Sie von diesen Ideen?
Seit 1975 ist im kantonalen Planungs- und Baugesetz vorgesehen, dass die Parkierung privat zu lösen ist. Daher ist es völlig logisch, dass die Blaue Zone abgebaut werden muss, wenn die Parkplätze privat erstellt werden. Bei Quartierparkhäusern bin ich skeptisch. Einerseits bin ich überzeugt, dass dort, wo Quartierparkhäuser interessant wären, sie nicht realistisch sind. Wenn wir also keinen Platz für die private Parkierung haben, dann finden wir wohl auch keine bezahlbare Parzelle für ein Quartierparkhaus, zumindest in der Innenstadt. Dort, wo wir Platz finden für ein Quartierparkhaus, etwa am Stadtrand, sind die Parkplätze in der Blauen Zone kein Problem.

Ebenfalls als Idee vorgestellt wurde die grüne Welle für Velos an Ampeln. Sie haben bereits 2019 einen ähnlich lautenden Vorschlag in einem Postulat eingebracht. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Das Parlament sollte das Postulat endlich im ersten Quartal dieses Jahres dem Stadtrat überweisen. Grundsätzlich ist es ja so, dass die grüne Welle beim Auto berechnet wird. Es fahren alle 45 km/h, also kommt man mit 45 km/h gut durch. Das ist beim Velo schwieriger, denn dort sind die Geschwindigkeitsdifferenzen viel grösser. Daher ist meine Idee, dass mit zusätzlichen Schlaufen – so wie es heute schon bei Kreuzungen der Fall ist – das Velo sich in der Anfahrt sozusagen voranmelden kann. Die Idee ist, dass die Lichtsignalanlage schon viel früher weiss, dass da ein Velo kommt und so im Idealfall grün ist, wenn ich mit dem Velo bei ihr eintreffe.

Sie beschäftigen sich im Gemeinderat und auf Twitter immer wieder mit Free-Floating-Systemen. Welche Strategie im Umgang mit den unzähligen Anbietern empfehlen Sie der Stadt?
Es ist wichtig, dass einheitliche Regelungen bestehen und für alle die gleichen Konditionen gelten. Ich bin überzeugt, dass die paar Franken, welche wir mit Gebühren einnehmen, nicht interessant sind. Viel interessanter für unsere Stadt wäre, wenn wir im Gegenzug zur Nutzung des öffentlichen Grunds die Mobilitätsdaten der Anbietenden verlangen würden. So würden wir wichtige Veloachsen erkennen, Mobilitätsdaten über das ganze Jahr erhalten und so weiter. Diese Daten sind sehr wertvoll, könnten uns viel bringen und wären verfügbar. Stattdessen will der Stadtrat lieber ein paar wenige Franken an Gebühren einnehmen.

Publibike-Station in Zürich. Bild: Mobimag

Die Stadt hat mit Publibike einen Vertrag abgeschlossen, der noch bis Ende 2022 läuft. Die Post-Tochter ist hoch defizitär, auch wegen Verträgen wie jenem in Zürich. Sollte der Vertrag verlängert werden?
Zu den gleichen Konditionen kann aus meiner Sicht der Vertrag verlängert werden. Wenn Publibike aber Geld von der Stadt will, dann stimmt der Deal aus Sicht der Stadt Zürich nicht mehr. Wir werden nie einem Vertrag zustimmen, mit welchem die Stadt Publibike für ihr Angebot bezahlen soll. Dafür gibt es unterdessen genug Konkurrenz, welche es auch ohne staatliche Beiträge machen kann.

Wird Publibike in der Stadt zu Ungunsten der Konkurrenz unfair bevorzugt?
Nein. Es war eine Ausschreibung auf welcher sich jede und jeder bewerben konnte. Wir wissen unterdessen aber aufgrund des Postautoskandals, dass die offerierten Konditionen nicht mit fairen Mitteln erreicht wurden.

Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) rechnen wegen einer allfälligen zweiten Welle von Tempo 30 mit Mehrkosten von 20 Mio. Fr. jährlich und 75 Mio. Investitionskosten – Kosten, die der Zürcher Verkehrsverbund, der den ÖV im Kanton Zürich finanziert, nicht tragen will. Soll die Stadt diese Kosten übernehmen? 
In erster Linie ist der ZVV in der Pflicht. Dies hat der Kantonsrat auch in der letzten ZVV-Strategie explizit bestätigt. Sollte sich der ZVV aber weiterhin weigern und dies auch gerichtlich bestätigt werden, dann muss die Stadt das übernehmen. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass wir jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbeitrag für «Stabilisierungsmassnahmen» ausgeben. De facto heissen Stabilisierungsmassnahmen, dass wir den ÖV finanziell stützen müssen, weil dieser durch den motorisierten Individualverkehr blockiert wird. Diese Gelder hinterfragt auch niemand, obwohl sie auch von unseren Geldern für den Ausbau abgezogen werden.

Muss Tempo 30 angesichts dieser Problematik überdacht werden?
Nein.

Braucht Zürich eine U-Bahn?
Jein. Wir brauchen einen Mittelverteiler. Also etwas Schnelleres als das Tram und langsameres als die S-Bahn. Dieser Mittelverteiler soll unabhängig, also auf einer eigenen Infrastruktur geplant werden. Dies geht in der Innenstadt wohl nur unterirdisch. Das U in U-Bahn würde ich aber wie in Hamburg als unabhängig und nicht als unterirdisch definieren.

Der Verkehrsplaner Paul Stopper fordert in einer Einzelinitiative im Kantonsrat eine unterirdische Verlängerung der SZU unters Hochschulquartier, die Uni Irchel und ETH Hönggerberg. Was halten Sie von dieser Idee?
Ich halte sie für prüfenswert.

Wie bewegen Sie sich selbst in der Stadt fort?
Mein (schnelles) E-Bike bringt mich ganzjährig in der Stadt an jeden Ort und, ausser im Winter, auch mehrheitlich zu meinem Arbeitsort nach Winterthur. Ergänzt wird dies durch den ÖV, wobei der Weg zum Bahnhof dann auch das E-Bike ist.

Fahren Sie Auto – und besitzen Sie eines?
Nein. Es ist allgemein bekannt, dass ich nicht mal einen Autofahrausweis besitze.

Sven Sobernheim auf Twitter: Link
Das Interview wurde schriftlich geführt.

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